Presseschau

Liechtensteiner Vaterland vom 11.11.2014

0:4 entschärft Hochrisikospiel

VON PHILIPP KOLB (TEXT/BILDER) UND EDDY RISCH (BILDER)

FUSSBALL. Unvergessen sind die wüsten Szenen im zweitletzten Spiel der vergangenen Saison, als der FC Basel sich im Aarauer Brügglifeld den Meistertitel sicherte und eine Horde Idioten nichts Besseres wusste, als Aarauer Fans zu provozieren, anstatt den Titel zu feiern. Die Basler Fans haben ihren Ruf, genauso wie jene des FC Zürich, der Grasshoppers oder des FC St. Gallen. Am Sonntag besuchten die Basler Anhänger das Rheinpark Stadion. 150 Risikofans waren mit von der Partie – verhielten sich dann aber, wohl auch wegen dem klaren 0:4-Sieg ihrer Idole, mit Ausnahme weniger Pyros, unauffällig. Insgesamt waren 6733 Fans im Stadion – ausverkauft.

Grosser Aufwand für die Sicherheit

Bereits einige Tage vor dem Anpfiff durch Schiedsrichter Erlachner begann die Arbeit der Landespolizei Liechtenstein im Hinblick auf dieses Spiel. Die sogenannten Szenenkenner tauschten sich, wie bei jedem Spiel, mit ihren Kollegen des Polizeikorps der Gastmannschaft aus. «So können wir einschätzen wie viele gegnerische Fans kommen und vor allem wer dabei sein wird. Zwei Szenekenner aus Basel sind jetzt hier im Stadion. Sie kennen ihre Pappenheimer ganz genau, wer gefährlich ist, oder wer ein Stadionverbot hat», erklärt ein Szenekenner der Landespolizei vor dem Stadion. «Fürs heutige Spiel wissen wir, dass 150 Risikofans anreisen. Zudem wurden wir gewarnt, dass Angriffe auf Polizisten in zivil möglich sein könnten», heisst es weiter. Ebenfalls ein Thema seien Störungen durch Laserpointer. «In Basel haben Teile der Sicherheitskräfte Spezialbrillen, da solche Laserpointer-Angriffe zugenommen haben.» Die Szenekenner, zivil gekleidet, machen genau das, was auch die in Orange gekleideten anderen Polizisten vor dem Stadion tun. Sie beobachten, verhalten sich ruhig und melden Vorkommnisse der Einsatzleitung. Jules Hoch, der Chef der Landespolizei, erklärt: «Wir machen es so wie immer. Wir betrachten die Zuschauer als Fans, die Sport schauen wollen. Wir helfen und beobachten. » Die mit Pfefferspray, Schlagstöcken und Gummischrot bewaffnete Eingreiftruppe, der Ordnungsdienst, bekommt der Zuschauer im Rheinpark Stadion gar nicht zu Gesicht. «Diese Teams halten wir in der Hinterhand. Normal gekleidete Polizisten werden akzeptiert. Der Ordnungsdienst würde die Fans provozieren», so Jules Hoch weiter. Er war beim Spiel ebenfalls vor Ort, zeigte Hanspeter Ludescher, dem Landespolizei-Direktor Vorarlbergs, den Einsatz der Landespolizei, die von Kollegen der Kantonspolizeien St. Gallen und Graubünden sowie der Stadtpolizei St. Gallen unterstützt wurden, vor Ort.

600 Fans mit dem Sonderzug

Zwei Stunden vor Spielbeginn ist es vor dem Rheinpark Stadion absolut friedlich. Bereits sind einige individuell angereiste Basler Fans vor Ort und warten, bis die Ticketschalter öffnen. Auch der «Freund und Helfer» zeigt sich, wie erwähnt ganz in Orange, beobachtet und hilft bei Fragen. «Die Fans reagieren unterschiedlich auf uns. Die einen unterhalten sich, andere grüssen und wieder andere machen einen Bogen um uns. Wir beobachten hier, versuchen aber auch, wenn’s Probleme gibt, diese im Keim zu ersticken. In dieser Saison gab’s beim Sion-Spiel Auseinandersetzungen, allerdings bei den Walliser Fans untereinander», erklärt ein Polizist, der dann schmunzelnd anfügt: «Wir sind so als Beobachter ein wenig die Kuschelpolizei». Übrigens gab’s beim gestrigen Einsatz auch «Bärenführer». So wird der Liechtensteiner Polizist genannt, der in einer Gruppe St. Galler oder Bündner Einsatzhüter bezüglich der örtlichen Gegebenheiten hilft.

Angespannter wird die Situation gegen 12.30 Uhr, jetzt werden die rund 600 Fans erwartet, die mit einem Sonderzug anreisen. Sie werden am Bahnhof Sargans abgeholt und mit sechs Gelenkbussen direkt vor den Eingang des Gästesektors geführt. Noch am Freitag hiess es, dass 800 Fans mit dem Spezialzug anreisen wollten, tatsächlich waren es rund 600, die über die Landstrassen und nicht über die Autobahn zum Rheinpark Stadion gebracht werden.

Sonnenbrillen und Kapuzen

Aus den Bussen steigen dann meist jüngere Fans, häufig mit Sonnenbrillen und Kapuzenjacken ausgestattet. «Das sind ja fast alles Bubis», meint ein Vaduzer Fan, der das Treiben von Weitem beobachtet. Tatsächlich gehören der Gruppe viele männliche Teenager an, doch zu spassen ist mit ihnen nicht. In der Gruppe sind sie stark und auch bereit, Gesetze zu brechen, wie sie immer mal wieder, vor allem bei Auswärtsfahrten, beweisen. Vom Fotografieren der erstaunlich ruhigen Gruppe wird abgeraten. «Sie mögen keine Medienleute und können handgreiflich werden», wird vonseiten der Basler Fanbeauftragten gewarnt.

Pyros nach dem 0:1

Die Gruppe Basler Fans ist schnell im Stadion und mit ihnen auch die eine oder andere Pyrofackel, wie man später im Spiel sieht. Tags zuvor haben sie die Fackeln nicht ins Stadion geschmuggelt, ist Gabriel Goop, der vom FC Vaduz für die Sicherheit verantwortlich ist, überzeugt. Früher hatten sie das aber auch schon geschafft. St. Galler Fans deponierten am 22. Mai 2012 massenweise Pyros in einem Schacht und zündeten diese dann tags darauf während dem Spiel – damals noch in der Challenge League. «Dieser Schacht ist mittlerweile verschlossen. Wir haben daraus gelernt», erklärt Goop. Hin und wieder würden gegnerische Fans am Vortag ums Stadion schleichen, und sie haben auch schon Sachschaden angerichtet, weiss Goop weiter. Er sitzt im Kommandoposten der Polizei, prominent in der Mitte der Haupttribüne. Dort laufen alle Informationen zusammen. Die Einsatzzentrale ist somit das Hirn oder das Herz der Polizei während des ganzen Einsatzes. «Hier entscheiden wir, wie wir bei Problemen vorgehen», heisst es vom Einsatzleiter. In diesem Kommandoposten werden auch die Live-Videobilder (Bilder unten) ausgewertet und nach der Basler Führung nach 27 Minuten laufen dort die Computer auf Hochtouren. Die ersten Pyrofackeln werden gezündet. Dabei gehen die Fans raffiniert vor. Unter Fahnen verdeckt, tauchen sie irgendwo mit vermummtem Gesicht auf und brennen die über 1000 Grad heissen Fackeln ab. Ein Gesicht ist dabei nicht zu erkennen und auch nach dem Abbrennen ist der Übeltäter meist nicht mehr zu finden. «Unter Fahnen oder hinter anderen Fans tauchen die Delinquenten wieder ab und kommen dann irgendwo in der Gruppe wieder hervor, manchmal tragen sie danach andere Kleider», erklärt der Einsatzleiter. Am Sonntag schafften es die Basler zudem, eine Kamera am Stadiondach mit einem Bierbecher zu verdecken. Zuerst versuchten sie es mit einem Papiersack, was nicht klappte. Um bis ans Stadiondach zu gelangen, werden Fahnenstangen zusammengesteckt. Ins Stadion bringen sie die verbotenen Pyros im Übrigen meist im Genitalbereich versteckt. Einer der Pyromanen ist den Ordnungshütern am Sonntag aber doch ins Netz geraten. Er konnte identifiziert werden, wurde angezeigt und erhält nun ein schweizweites Stadionverbot – in der Regel für zwei Jahre. Beim letzten Auswärtsspiel des FC Vaduz erhielten auch zwei Liechtensteiner Fans eine solche Strafe. Auch sie haben mit Pyros gegen das Sprengstoffgesetz verstossen. In der kleinen Gruppe Auswärtsfans, die der FC Vaduz jeweils stellt, war die Identifizierung in Bern allerdings um einiges leichter als am Sonntag in der grossen Menge Basler Fans.

Bierbecher über Kamera

Nicht bestraft werden in Vaduz und auch in den meisten Schweizer Stadion jene Fans, welche die Pyrozünder mit Fahnen abdecken oder ihnen helfen, in der Menge unterzutauchen. In St. Gallen, das für die sehr strikte Handhabe gegenüber renitenten Fans (auch mit Schnellrichtern im Stadion, die Redaktion) bekannt ist, werden auch die Helfer bestraft. Einfach mit Polizisten in die Fangruppe zu marschieren und Pyromanen herauszunehmen, was unwissende Beobachter häufig fordern, ist unmöglich. Die einzelnen Polizisten würden dort garantiert tätlich angegriffen. «Wir haben dann lieber ein scharfes Bild vom Täter und gehen der Sache im Anschluss ans Spiel nach», heisst es in der Einsatzzentrale. Deeskalation ist also das Stichwort, und so gehen auch die bewaffneten Ordnungshüter vor. Sie bleiben, wenn immer möglich, im Hintergrund. Eskaliert die Situation im Stadion und müssen diese bewaffneten Sicherheitskräfte mit raus, gehe man nach dem 3D-Grundsatz aus. Dialog, Deeskalierung, Durchgreifen – so heisse die Devise. «Wir geben allen die gleichen Möglichkeiten, jedem Fan. Durchgegriffen wird erst, wenn es ans Eingemachte geht», erklärt der Leiter des Ordnungsdienstes. Am Sonntag konnten die gepanzerten und bewaffneten Einheiten in ihren «Warteräumen» bleiben. Erst nachdem die Gelenkbusse die Basler Fans wieder in Richtung Sargans davonfuhren, kamen sie, zum Erstaunen der dann noch anwesenden Matchbesucher, zum Vorschein. In mehreren Bussen folgten sie den Fans in Richtung Sargans – auch hier wieder mit genügend Abstand, um nicht zu provozieren, aber dennoch einsatzbereit.

Erfolgreicher Einsatz

Am Sonntag spielte den Polizisten das Resultat in die Hände. Die Basler Fans waren mit dem 0:4Vollerfolg natürlich vollends zufrieden und blieben friedlich. Anders hätte es vielleicht ausgesehen, wenn die Partie auch nach 80 Minuten noch 0:0 gestanden wäre und der FC Vaduz zum Beispiel fälschlicherweise einen Penalty erhalten hätte. So blieb es beim enormen Aufwand, verbunden mit grossen Kosten. Die genaue Zahl der im Einsatz gestandenen Polizisten wird aus taktischen Gründen geheim gehalten. Über die ganze Saison fallen aber sehr viele Arbeitsstunden am Sonntag an, und ohne die Hilfe des Ostpols (St. Gallen, Graubünden) wäre der Aufwand mit den Super-League-Spielen für die Landespolizei gar nicht tragbar. Lobende Worte gab’s am Schluss von Hanspeter Ludescher, dem Chef der Vorarlberger Polizei. «Wir haben mit Altach auch einen Verein in der höchsten Liga, und von der Grösse her ist es etwa vergleichbar. Das Sicherheitskonzept hier ist ausgeklügelter und perfekter. Dabei spielen auch die baulichen Massnahmen eine grosse Rolle mit diesen Drehgittern und dem abgetrennten Block für die Auswärtsfans», erklärt Ludescher, dass der Schweizer Fussballverband strengere Regeln als der österreichische hat. Vom Einsatz der Polizei, und was alles dahinter steckt, war Ludescher angetan. Vorarlberger Polizisten kommen in Liechtenstein weniger zum Einsatz. Ludescher erinnert sich ans Länderspiel gegen England zurück, als neben der Schweizer Armee auch Vorarlberger und sogar Tiroler Ordnungshüter hinzugezogen wurden. «Wir arbeiten über die Grenze hinaus zusammen. Nächstes Mal sicher beim EYOF (Europäisches Olympisches Jugendfestival). Dann, allerdings, wird der Einsatz ruhiger verlaufen, schliesslich hat man es nicht mit Fussball-Chaoten zu tun, die den Sport für ihre Abenteuerzüge und Adventurekicks missbrauchen.

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