Sonntagsblick vom 08.03.2015
Oskar Beck
Oskar Beck, wohnhaft in Stuttgart, ist Kolumnist und Autor. Seine Arbeit wurde wiederholt mit Auszeichnungen und Preisen gekrönt. Er schreibt jede Woche im SonntagsBlick.
Marco Streller hört auf. Er hat sich diese Woche die Beine aufgesägt, seine Jahresringe gezählt und bekannt gegeben: «Im Sommer ist Schluss.» Mit 33. Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist, sagt der FCB-Bomber.
Das sagen alle, die viel zu früh aufhören, und irgendwann bedauern sie es. Früher oder später, und schlimmstenfalls viel zu spät. Muhammad Ali und Joe Frazier fallen mir ein. Drei der blutigsten Schlachten der Boxgeschichte haben die zwei sich geliefert, und vor ein paar Jahren trafen sie sich als Rentner zufällig bei einem Basketballspiel. Frazier sagte: «Ali, wie wärs mit ein paar Runden? Ich weiss, du bewegst dich nicht mehr gut, aber ich kann dir ja sagen, wann du dich ducken musst.» Gescheitert ist das Comeback der beiden letztlich nur an Fraziers Tod.
Wir lernen daraus: Jeder Rücktritt gehört gut überlegt. Wird auch Streller seinen eines Tages bedauern? Der Basler ist fit, er schimmelt nicht, steht morgens mit zwanzig Liegestützen, dreissig Kniebeugen und drei hartgekochten Eiern im Tomatensaft auf, kann noch ohne Brille problemlos die BLICK-Überschriften lesen – und so einer tritt mit 33 zurück, um den Rest seines Lebens mit Kreuzfahrten durch die Adria, mit der Rosenzucht oder dem Gassiführen des Hundes zu bestreiten?
Sagen wir es deutlich: Er ist sich ja selbst nicht sicher. Am Donnerstag, als die Bombe platzte, soll der Marco dem Streller die empörte Frage um die Ohren geschlagen haben: «Hast du sie noch alle? Haben wir nicht neulich noch an West Ham gedacht und in Basel den Vertrag verlängert mit dem Schwur, dass wir noch ein hungriger Adrenalinjunkie sind? Wollten wir nicht zumindest noch ein bisschen in China oder Amerika kicken?»
Plötzlich will Streller durch Amerika nur noch Auto fahren, mit der Frau, und ein paar Wochen in die Toskana, und in die Weinberge der Provence. Auf die Malediven. Und zum Heliskifahren nach Kanada.
Anfangs ist alles einfach. Man holt als Zurückgetretener die bezaubernden Dinge nach, zu denen man vor lauter Fussball nicht gekommen ist. Man hilft beim Staubsaugen, gönnt sich seinen Mittagsschlaf, deckt das Dach neu, räumt den Keller auf, geht einkaufen, führt zittrige Omas über gefährliche Kreuzungen. Bevor es einem langweilig wird, staubt man jeden Tag die Pokale ab, bereist mit einem Lichtbildervortrag über seine tollsten Spiele das Land, spielt Frisbee am Bodensee, schiesst als Stargast bei Kindergeburtstagen und Firmenjubiläen auf die Torwand und schreibt seine Memoiren. Und dann?
Dann wird es gefährlich. Irgendwann meldet sich die Langeweile, das Licht geht aus, und im Dunkel wartet nicht selten das Loch, dieses Leben ohne Grätsche, Glitzer und Glamour. «Ich bin tot», hat Diego Maradona eines Tages erkannt und, um dem Leben wieder einen Sinn zu geben, mit dem Luftgewehr auf Journalisten geschossen. Willi Kraus, ein einst grosser Torjäger bei Schalke 04, griff nach der Karriere zur Maschinenpistole und überfiel eine Bank. Andere flüchten vor der Leere ins RTL-Dschungelcamp, oder es geht gar aus wie bei Gustav («Bubi») Bubi Scholz – der Berliner war Deutschlands populärster Boxer, aber später hat er die Leere im Alkohol ertränkt und nicht mehr nur den Tag totgeschlagen, sondern seine Frau erschossen, durch die Toilettentür.
Ich will Desiree Streller keine Angst machen, aber der verantwortungsvolle Journalismus zwingt mich, die Frage zu stellen: Weiss Marco, was ihn erwartet? Wusste er, was er tut? Mit 33 hört er leichtfüssig auf, während Giovanni Trapattoni mit bald 80 sagt: «Man wird mich mal mit Fusstritten aus dem Fussball jagen müssen.» Fast hätten wir jetzt Phil Taylor vergessen. Die Darts-Legende ist Mitte 50 und schimpft: «Meine Groupies werden alt, haben keine Zähne mehr und gehen am Stock.» Aber Phil denkt nicht ans Aufhören – lieber Zahnlose als gar keine. Weiss Marco Streller wirklich, was er aufgibt?