Presseschau

Basler Zeitung vom 09.03.2015

Ein bisschen bewusster als vorher

Marco Streller spielt nach seiner Rücktrittsankündigung befreit auf und muss die Tränen zurückhalten

Von Seraina Degen

Für einen kurzen Moment ist Marco Streller verschwunden. Für die Zuschauer im St.-Jakob-Park ist er nicht mehr sichtbar. Der FCB-Captain, der sonst schon allein wegen seiner Grösse auffällt. Nur die Teamkollegen sehen ihn in diesem Augenblick. In der 52. Minute bilden sie einen Kreis um ihren Anführer, der gebückt und von allen umarmt die Gratulationen zu seinem Tor entgegennimmt. Die FCB-Spieler scheinen dies besonders zu geniessen. Denn oft werden sie das nicht mehr tun können, ein Tor ihres Captains bejubeln. In drei Monaten ist für Marco Streller bekannterweise Schluss.

Als sich der Kreis wieder auflöst und der Schiedsrichter die FCB-Spieler bittet, wieder auf ihre Seite zurückzukehren, da dreht sich Marco Streller nochmals um und blickt zur Muttenzer Kurve. Der 33-Jährige ballt die Fäuste, streckt die Arme in die Luft. Ein Dank an seine Fans, die ihm beim Einlaufen einen warmen Empfang bereiten. «Sie wissen, was sie mir bedeuten, und ich weiss, was sie mir bedeuten», wird der 33-Jährige nach dem Spiel sagen. In den 90 Minuten gegen Thun sind nicht nur mehrmals «Pipi-Streller»-Rufe zu hören, die Fans überbringen ihrem Captain auch auf Plakaten ihre Botschaft: «Nur wäge paar graue Höörli – Pipi mach no e Jöörli» ist vor dem Spiel zu lesen. Zehn Minuten nach seinem Treffer steht auf einem anderen Banner: «Bis jetzt mit uns im Rugge, gli Schultere an Schultere». Die Fans scheinen den nahenden Abgang des Captains zu bedauern, aber auch zu akzeptieren.

Doch bis es so weit ist, da bleibt Marco Streller mit Herzblut und Leidenschaft Fussball-Profi. Als vorderster Mann bei den Rotblauen läuft er wie gewohnt viel, kämpft um jeden Ball, liefert sich mal ein Rencontre mit Thuns Innenverteidiger Fulvio Sulmoni oder leitet den Ball elegant mit dem Absatz zu Fabian Frei weiter. Seine beste Aktion in der ersten Halbzeit hat Streller kurz vor dem Pausenpfiff, als er aus der Drehung den Ball auf Gashi weiterleitet, der diesen Doppelpass in perfekter Torjäger-Manier zum 1:0 ins Tor befördert.

Das Trikot für Urs Fischer

Als Marco Streller auf dem Weg in die Kabine ist, hält ihn Urs Fischer auf und zupft an seinem Trikot. Arm in Arm verschwinden die beiden in der Senftube. Der Thun-Trainer macht ihn bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam, dass er schon lange auf das versprochene Trikot wartet. Denn bereits in der Hinrunde hätte Fischer das Leibchen von Streller bekommen sollen. Doch nach dem 1:1 im vergangenen September ging Fischer noch leer aus. «Ich bin nicht unglücklich, dass Marco aufhört, denn gegen uns hat er meist getroffen», findet Fischer, der in seiner Aktiv-Karriere noch gegen Streller gespielt hat, mit einem Augenzwinkern. Dieses Mal hat es nun mit dem speziellen Andenken geklappt, gerade noch rechtzeitig.

Auch Marco Streller hat im Spiel gegen Thun gemerkt, dass im ersten Spiel nach seiner Rücktrittsankündigung Ende letzter Woche alles ein wenig spezieller war als sonst. «Ich habe auf dem Platz versucht, alles ein bisschen bewusster wahrzunehmen. Ich geniesse es einfach, weil ich weiss, dass ich nicht mehr so viele Heimspiele haben werde.» So habe er das eine oder andere kurze Gespräch mit einem Gegenspieler geführt, so Streller. Überhaupt fühlte er sich befreit, auch lockerer als noch in den Spielen gegen die Young Boys oder Vaduz, wo er sich selbst und seine Mitspieler hart kritisierte. «Gegen Thun waren wir wieder elf sehr gute Spieler auf dem Platz, wir haben ein gutes Spiel gezeigt, von Beginn weg dominiert und nie nachgelassen. Ich bin zufrieden», sagte Streller über das Spiel. Es sei aber nicht so, dass er schon an das Ende denke: «Ich bleibe weiterhin locker, aber auch konzentriert, denn wir haben noch grosse Ziele vor uns.»

Eines davon will er am kommenden Dienstag erreichen, wenn der FC Basel im Achtelfinal der Champions League auswärts gegen Porto antritt und in die Viertelfinals einziehen will. Für den Aescher war die Leistung gegen Thun am Samstag wichtig, weil er und seine Teamkollegen eine Reaktion zeigten und einen guten letzten Eindruck ­hinterlassen haben.

Marco Strellers Arbeitstag ist dann in der 68. Minute zu Ende; er wird für Breel Embolo ausgewechselt. Der Captain übergibt die Binde an Fabian Frei, umarmt kurz Luca Zuffi und verabschiedet sich mit einem Lächeln von seinen Fans, klatscht in die Hände und blickt hoch zu den Rängen: Alle Zuschauer stehen auf, das ganze Stadion applaudiert.

Das Lied für den Captain

Nach der Ehrenrunde bleiben die FCB-Spieler vor der Muttenzerkurve stehen. Mittlerweile trägt Marco Streller seine vierjährige Tochter Elin Mia auf dem Arm, vor ihm steht stolz sein Sohn Sean Lionn (6). Die Muttenzer Kurve stimmt sein Lieblingslied an, hat aber den Text geändert und singt statt «Sait dr Babbe zu sim Sohn» – «Sait dr Pipi zu sim Sohn, hüt kunnsch mit ins Stadion.» Marco Streller ist sichtlich gerührt. «Das war ein sehr spezieller Moment, vor allem auch, weil meine Kinder mit dabei waren. Ich musste die Tränen zurückhalten.»

Diese, sagt Marco Streller abschliessend, möchte er sich für sein allerletztes Spiel in Rotblau aufheben.

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