Presseschau

SonntagsZeitung vom 15.03.2015

«Das hat meine Karriere verdient»

Marco Streller über einen Rücktritt auf der grossen Bühne, den Wandel seines Rufs – und eine grosse Stärke neben dem Rasen
Peter M. Birrer und David Wiederkehr

Basel Als Marco Streller vor drei Wochen in Bern auf den Platz lief, um mit dem FC Basel gegen YB anzutreten, kam dieses Gefühl in ihm hoch: dass er ab Sommer nicht mehr Profi sein will. Noch maximal 15-mal führt er als Captain seine Mannschaft an, dann ist Schluss nach 15 Jahren. Den bald 34-jährigen Stürmer hat dieser Entscheid erleichtert – und er spornt ihn auch an, sich mit dem Double zu verabschieden.

Nehmen Sie gerne Abschied?

Gar nicht, überhaupt nicht, ganz schlimm. Als ich 2004 zu Stuttgart wechselte, musste ich die Mannschaft über Nacht verlassen und ins Trainingslager reisen. Mit dem Flugzeug ... Ich fliege ja auch nicht gern. Mir ging es richtig schlecht.

Warum gaben Sie Ihren Rücktritt jetzt so früh bekannt?

Weil ich fand: Ein solch grosser Entscheid muss sofort kommuniziert werden, das kann man kaum geheim halten. Aber ja: Eigentlich wäre mir ein Zeitpunkt drei Tage vor Saisonende lieber gewesen. Kurz und schmerzlos.

Jetzt dauert Ihre Abschiedstour länger.

Solange du Ziele hast, ist das kein Problem. Schon bei Beni (Huggel), Alex (Frei) oder Vali (Stocker) wusste ich, dass sie irgendwann gehen müssen. Als es so weit war, tat mir das fürchterlich weh. Aber bis zu diesem Zeitpunkt konnte ich das ausblenden.

Kann ein emotionaler Mensch wie Sie Tränen unterdrücken?

Mein Umfeld ist emotionaler. Als meine Frau den TV-Bericht von meiner PK gesehen hat, flossen bei ihr Tränen. Mich berührte es nach dem Heimspiel gegen Thun sehr, dass die Muttenzer Kurve mir zu Ehren ein Lied umgedichtet hatte. Aber ich spare mir meine Tränen für das letzte Spiel auf.

Sie sind auch schon vom Rücktritt zurückgetreten, Stichwort Nationalmannschaft.

Ach, diesen Entscheid fällte ich aus der Emotion heraus. Das ist nicht zu vergleichen.

Diesmal war es ein reiner Kopfentscheid?

Ja, und es war ein Entscheid, den ich allein getroffen habe. Die Erwartungen an mich werden nicht kleiner, ich werde aber älter. Ich habe nicht mehr die Dynamik wie früher. Jetzt kann ich auf dem ­hohen Niveau noch spielen, aber es geht schnell, bis dem nicht mehr so ist. Von einer Verletzung würde ich mich kaum noch erholen. Das wäre kein würdiger Abschied.

Ist es also ein intelligenter Entscheid?

Ich finde schon. Ich möchte durch die grosse Tür abtreten. Das hat meine Karriere verdient.

Fiel Ihnen der Entscheid auch leichter, weil die Wahrscheinlichkeit gross ist, noch einmal Meister zu werden?

Das war nicht das Hauptargument, aber ja: Ich habe mir immer gewünscht, mit einem Pokal abzutreten. Das würde den Moment vollkommen machen. Wir gehen auch nächste Saison wieder als Titelkandidat ins Rennen, aber keiner kann garantieren, wie das herauskommt. YB hat wichtige Verträge verlängert und ist hungrig.

Sie treten ab als Spieler, von dem auch in Erinnerung bleibt, dass er während langer Zeit polarisiert hat.

Dieses Wort mag ich nicht. Ich habe ja nicht von mir aus polarisiert, ich wurde zu etwas gemacht.

Daran waren Sie nicht unschuldig.

Richtig. Ich habe in meinen jüngeren Jahren vielleicht etwas forsch kommuniziert.

Sie meinen: grossmäulig?

Ja. Ich musste das lernen. Es gibt Leute, die finden es toll, Streit zu suchen. Ich nicht, ich bin ein harmoniesüchtiger Mensch.

Trotzdem kamen Sie regelmässig an die Kasse.

Das hat mich auch demütig werden lassen. Ich gab ja Fehler zu.

Welche?

Nach dem verschossenen Penalty (im WM-Achtelfinal 2006) hätte ich mich nicht über das Publikum in Köln beschweren dürfen, das deutsche Lieder sang bei einem Spiel Schweiz - Ukraine. Das war dumm. Dann die Sache mit dem Rücktritt vom Rücktritt: Das war ebenfalls unglücklich.

Sie würden es heute nicht mehr tun?

Natürlich nicht, aber man kann ja auch versuchen, Verständnis für mich zu haben. Ich habe nach den Pfiffen in St. Gallen 2008 aus der Emotion heraus meinen Rücktritt erklärt. Das war noch unter Köbi Kuhn. Dann rief mich Ottmar Hitzfeld an, den ich nur vom Fernsehen kannte und bewunderte, und natürlich wollte ich unter ihm spielen. Doch bevor ich mich erklären konnte, hat der Verband gleich am nächsten Tag die Mitteilung veröffentlicht. Das war unglücklich, keine Frage – aber nicht nur meine Schuld. Ich hätte vielleicht besser geschützt werden können.

Der Abschied 2011 war dann aber endgültig.

Und er war eine Befreiung für mich. Ich hatte genug davon, jedes Mal für Niederlagen mitverantwortlich gemacht zu werden.

Woher kam die Ablehnung der gegnerischen Fans?

Das habe ich Zürcher oder Berner auch schon gefragt: «Was mache ich denn falsch, dass ihr mich unausstehlich findet?»

Und?

Sie konnten es nicht erklären. Es ist vielleicht die Summe einiger Faktoren.

Sie sind Basler …

… genau …

… sprechen ausgeprägten Basler Dialekt …

… ja …

… gewinnen Titel um Titel …

… und die ganze Schweiz will, dass der FC Basel auf die Nase fällt. Und wer ist eines der bekannten Gesichter des FCB? Ich.

Heute zeigen selbst FCZ-Fans Respekt für Sie. Das muss Ihnen ja fast unheimlich werden.

(lacht) Ist doch schön! Ich habe niemals eine Geste zum gegnerischen Publikum gemacht und nie «blöde Zürcher» oder «doofe Berner» gesagt, das verbietet mir mein ­Anstand. Und ich darf auch als Captain des FCB sagen, wenn mir eine Choreografie der Zürcher Südkurve gefällt.

Wie sehr hat der Fussball Sie als Menschen verändert?

Fast gar nicht. Ich habe mich immer bemüht, meine Offenheit, meine Authentizität beizubehalten. Klar: Ehrlichkeit und Harmoniesucht passen nicht immer zum Fussball (schmunzelt). Wir haben hier in Basel aber ein Modell mit Georg Heitz als Sportchef und ­Bernie (Heusler) als Präsident – Wahnsinn. Uns ist es gelungen, einen Club mit Vertrauen, Herzlichkeit und Freude zu führen.

Ist das für Sie einmalig?

In meiner Zeit bei Stuttgart habe ich einiges gelernt. Wir wären dort nicht Meister geworden, wenn wir nicht einen solchen Zusammenhalt in der Mannschaft gehabt hätten. Nach den Spielen gingen wir alle zusammen essen, 16 Spieler mit ihren Partnerinnen. Das war der Schlüssel zum Titelgewinn 2007 und hat mich sehr geprägt.

Wie haben Sie sich mit Beratern und ihrem starken Einfluss in diesem Geschäft arrangiert?

Ich hielt mich immer von Leuten fern, die mich hätten nerven können. Mein Vater blockte immer alles ab. Ich habe seit den Anfängen denselben Vermögensberater und denselben Anwalt. Und diesen brauchte ich nicht mehr, weil alles zwischen dem Präsidenten und mir als Gentleman’s Agreement abläuft. Aber natürlich sehe ich auch, wie die jungen Spieler heute geködert werden.

Wären Sie gern noch mal 20?

Ich bin sehr froh, dass ich im Juni 34 werde. Marco Zwyssig (einstiger Teamkollege) sagte mir einmal, dass es ihm stinken würde, noch mal 20 zu sein. Ich dachte: «Spinnst du?» Jetzt weiss ich, was er meinte. Ich habe den Weg geliebt, aber nochmals so viel Dreck fressen wie zum Beginn meiner Karriere, nochmals so unten durch müssen – nein, danke.

Was raten Sie einem jungen Spieler, der Sie fragt, wie er sich öffentlich verhalten soll?

Lösche dein Facebook-Konto und twittere nicht. In den sozialen Medien lauern so viele Fallen. Man kann sich heute kaum noch an einem Anlass bewegen, ohne mit dem Handy fotografiert zu werden. Wenn der Spieler einmal an einem Oktoberfest vor einem Bier sitzt, sieht er das Bild in der Zeitung. Und jener, der es geknipst hat, bekommt auch noch Geld. Das ist doch verrückt.

Ist für Querdenker im Fussball kein Platz mehr?

Offenbar nicht mehr, leider. Spontan kommt mir ein Daniel Gygax in den Sinn, der anders ist als die anderen, Alain Nef vielleicht. Aber es gibt keinen Alex Frei, keinen Benjamin Huggel, keinen Ludovic Magnin, keinen Ricardo Cabanas mehr, die sagten, was sie dachten. So hielt ich das auch. Und uns ­allen war bewusst, dass wir mit den Konsequenzen leben mussten.

Welchen Makel hat Ihre Karriere?

Manche sagen, ich hätte mich in Deutschland nicht durchgesetzt. Das kann man so sehen, aber ich habe in der Meistersaison in Stuttgart 30 von 34 Spielen bestritten. Ich hätte 2007 zu Nürnberg wechseln können oder nach England, aber es kam das Angebot von Basel, und ich war Feuer und Flamme.

Sie galten in jungen Jahren als Lebemann, der gern einmal über die Stränge schlug …

… das war in sehr jungen Jahren …

… haben Sie nie überlegt, was mit einer professionellen Einstellung möglich gewesen wäre, zu der Sie mit zunehmendem Alter fanden?

Nein. Mein Lebenswandel damals ist auch ein Teil von mir. Vielleicht würde ich heute während meines Beinbruchs etwas professioneller sein, aber ich bereue trotzdem nichts. Ich bin mit mir vollkommen im Reinen.

Der verschossene Penalty an der WM 2006 und das Zungenspiel liegt wie ein Schatten über Ihrer Karriere …

… ja …

… wann haben Sie akzeptiert, dass er für immer ein Teil Ihrer Geschichte sein wird?

Ein halbes Jahr danach, als ich das erste Mal einen Spruch darüber machen konnte. Was ich mir nie vorwerfen lassen muss: dass ich keine Verantwortung übernommen habe. Gut, ich bin gescheitert, aber ich habe mich nicht versteckt. Es brauchte fünf Schützen, einer fehlte, da ging ich halt. Aber so bin ich. Und dann kam das mit der Zunge, ich war ja auch nervös.

Möchten Sie das gar nicht von der Festplatte löschen?

Nein, das gehört zu mir. Ich musste mir selbst von Freunden grausame Sprüche anhören, aber mich hat das Ganze stärker gemacht. Obwohl ich mir die Szene nicht wöchentlich ansehen muss.

Stehen Sie immer noch gern in der Öffentlichkeit?

Ich stehe oft im Mittelpunkt, aber ich suche das längst nicht mehr.

Früher war das anders.

Klar, ich war jung, voller Energie, fand es lässig, wenn über mich berichtet wurde. Wer behauptet, dass das nicht schmeichelt und schön ist, der lügt. Aber seit der WM 2006 hat sich das bei mir geändert.

Sie haben angekündigt, im Sommer lange Familienferien zu machen. Haben Sie noch nicht genug von Hotels?

Es ist denkbar, dass wir ein paar Tage mit dem Camper unterwegs sind. Ich freue mich wahnsinnig auf sechs Wochen, in denen ich nicht aufpassen muss, was ich esse. Ich darf Ende August ein Kilo mehr haben, kein Problem, ich muss kein schlechtes Gewissen haben, wenn wir eine Flasche Wein trinken. Diesen Druck habe ich nicht mehr.

Und Sie müssen auch nicht so schnell wie möglich wieder ein Einkommen haben.

Ja, aber ich werde relativ schnell kribblig, da bin ich ein richtiger Schweizer. Ich will arbeiten und eine Struktur in meinem Alltag.

Sie hätten es sich einfach machen, den Vertrag absitzen und sich auf den schönen Zahltag am 25. freuen können.

So funktioniere ich nicht. Geld ist nie mein Ansporn gewesen, es war nie das Wichtigste, möglichst viel zu verdienen. So bin ich nicht erzogen worden. Angetrieben hat mich oft eine Stärke. Ich glaube, dass ich es beherrsche, Brücken zu schlagen zwischen Menschen.

Gibt es einen unerfüllten Traum?

Nein. Ich war dreieinhalb Jahre im Ausland, aber ich fühle mich nirgends wohler als in Basel. Ich könnte mir niemals vorstellen, anderswo zu leben. Ich hatte die Möglichkeit, zu West Ham zu wechseln, nach London zu ziehen, eine Wahnsinnsstadt. Aber für mich war schnell klar: nein. Mein Daheim ist Basel.

Sind Sie kein Abenteurer?

Oh nein, überhaupt nicht. Ich hatte ein Lebensziel: eine Familie. Und ich hatte einen Traum: für den FC Basel zu spielen. Es ist alles in Erfüllung gegangen. In Zukunft kann ich es mir leisten, an einem Wochenende nach Grächen zu fahren und auf die Ski zu stehen. Für mich ist das Luxus.

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