Basler Zeitung vom 04.04.2015
Raimondo Ponte feiert mit Aarau gegen den FC Basel Liga-Premiere und zugleich einen runden Geburtstag
Von Dominic Willimann
Aarau. Von heute an ist im Leben von Raimondo Ponte vieles anders. Zumindest auf dem Papier. Seinen 60. Geburtstag feiert der Fussballtrainer just an dem Tag, an dem er mit dem FC Aarau seine Super-League-Premiere an der Linie gibt. Auch wenn er sagt, «dass am Samstag der Match im Zentrum steht», weiss er, dass am Tag des Gastspiels im St.-Jakob-Park eine neue Ära seines Lebens anfängt. Eine Dekade, in der der Trainer im Fussballgeschäft weiter von sich reden machen will. «60 ist ein Alter, in dem man als alter Mann angeschaut wird. Ich fühle mich aber noch jung.» Trotzdem: In der Super League ist er, nachdem er am 22. März bei Aarau als Nachfolger von Sven Christ präsentiert wurde, der älteste Trainer der Liga.
Alt fühle er sich unter all den Jungtrainern also überhaupt nicht. «Ich habe mich den Gegebenheiten angepasst.» Der Trainerjob sei im letzten Jahrzehnt anspruchsvoller geworden, die modernen Kommunikationsmittel hätten die Gesellschaft verändert. «Früher sprach der Trainer mit seinen Spielern Deutsch, auch wenn es ein Teil der Mannschaft nicht verstand. Ist ein Trainer heute einsprachig, trainiert er selten ein Profi- Team», sagt Ponte. Er selbst beherrscht vier Sprachen fliessend, bei Aarau kommuniziert er mehrheitlich in Deutsch und Italienisch. «Wer die Sprache redet, die der Spieler redet, vermittelt die Information korrekt.»
Dass der Aargauer mehrsprachig ist, hat er nicht nur seinem süditalienischen Elternhaus zu verdanken. Seine zwölf Jahre als Aktiver beim Grasshopper Club Zürich wurden von 1980 bis 1982 von zwei Ausland-Engagements unterbrochen: 21-mal lief der offensive Mittelfeldspieler für Nottingham Forest auf, ehe er für eine Saison auf Korsika den Dress des SC Bastia trug. «Die beste Zeit», erinnert sich Ponte, «hatte ich aber mit GC.» 336-mal streifte er sich das blau-weisse Trikot über und wurde dabei dreimal Meister und zweimal Cupsieger. Zudem zählte Ponte in der Saison 1977/1978, als GC bis in den Halbfinal des Uefa-Cups vorstiess, zu den Schlüsselspielern. Gekrönt wurde diese Spielzeit für ihn mit der Auszeichnung zum Uefa-Cup-Torschützenkönig. Achtmal hatte Ponte getroffen, wie auch der Holländer Gerrie Deijkers. Das Duo liess Grössen wie Johan Cruyff, Karl-Heinz Rummenigge oder Gerd Müller hinter sich.
Die goldene Zeit bei GC
Ponte weiss also, wie das Toreschiessen funktioniert. Die letzten Meter vor dem gegnerischen Gehäuse sind hingegen das grosse Manko der Mannschaft, die er seit knapp zwei Wochen führt. 19 Treffer hat Aarau in 25 Partien erzielt, so wenig wie kein anderer Konkurrent in der Super League. «Der Mannschaft fehlte es an Sicherheit», weiss Ponte. «Nun ist es meine Aufgabe, dass sich die Spieler in den letzten elf Partien von einer anderen Seite zeigen.» Die Herausforderung, die er bei dem Club angenommen hat, für den er von 1972 bis 1974 seine ersten Ernstkämpfe auf Profistufe absolvierte, sei riesig, «aber nicht unlösbar».
Pontes Heimkehr ist auch eine Rückkehr ins Scheinwerferlicht des Schweizer Fussballs. Bereits vor Jahresfrist, als er für den FC Sion als «Feuerwehrmann» geholt wurde, tauchte Pontes Name ein erstes Mal wieder auf höchstem Niveau auf. «Ich muss Christian Constantin Danke sagen, dass er mir die Möglichkeit gegeben hat, mich zu präsentieren», erzählt Ponte. Zuvor war er zwölf Jahre lang vom nationalen Radar verschwunden und trainierte die US Carrarese in Italien, den FC Wohlen, YF Juventus Zürich, den FC Chiasso, die AC Bellinzona und den FC Lugano. Ob er verbittert ist, weil ihm die ganze grosse Trainerkarriere verwehrt blieb? «Nein, überhaupt nicht. Ich habe von allen Stationen das Gute auf meinen Weg mitgenommen.» Unermüdlich ist er also, der Mann, der zuweilen wegen seiner unscheinbaren Arbeit bei Kleinvereinen unterschätzt wird, aber mit allen notwendigen Trainerscheinen ausgestattet ist. Dass er manchmal sogar auf seinen Kleidungsstil, seine teils kauzige Art oder andere Nebensächlichkeiten reduziert wird, ist ihm egal. «Andere sollen über mich denken, was sie wollen.»
Der fluchtartige Abgang beim FCZ
Am meisten geprägt haben Ponte die Trainerjahre beim FC Zürich. Den Club, dem er als Kind beide Daumen drückte, führte er von 1995 bis 2000. Bis zur Saison 1999/2000 tat er dies erfolgreich. In jener Spielzeit aber musste der FCZ den Gang in die damalige Auf-/Abstiegsrunde antreten. Auch deshalb, weil Ponte im Spiel gegen Xamax einen Ausländer zu viel auf dem Matchblatt notierte und die Zürcher die Partie 0:3 Forfait verloren. Dieser Irrtum war der Anfang von Pontes Ende auf dem Letzigrund, das spektakulärer nicht hätte sein können und seinem Image Schaden zufügte. Nachdem Präsident Sven Hotz ihn entlassen hatte, verliess Ponte das Stadion durch ein Milchglasfenster, um den wartenden Journalisten zu entkommen. Heute sagt Ponte in seiner noch immer markanten Stimme: «Das ist vergessen, zwischen mir und Herrn Hotz besteht heute eine gute Verbindung.»
Später schlüpfte Ponte selbst in die Rolle des Präsidenten, auch im Jahr 2015 ist er noch immer an der Spitze des FC Windisch. Bei diesem Club lernte Ponte das Fussball-Abc, «weshalb diese Aufgabe für mich eine Herzensangelegenheit ist». Zudem sei er stolz, dass der Verein 21 Mannschaften unterhalte, davon viele Junioren. «Auch dieser Job trägt seinen Teil dazu bei, dass ich mich nach wie vor vital fühle.»
Diese Energie ist für Ponte in der momentanen Lage von Vorteil. Vergleichen mit seiner letzten Aufgabe bei Sion lässt sich der Endspurt mit Aarau nur ansatzweise: Hatten die Walliser bei Pontes Einstand sieben Zähler Vorsprung auf einen Abstiegsplatz, sind es mit der Equipe vom Brügglifeld drei Punkte Rückstand auf den rettenden neunten Rang. Zudem waren die Resultate der Aargauer zuletzt miserabel, seit 14 Spieltagen warten sie auf einen Sieg. «Nichtsdestotrotz können wir den Hebel umdrehen, wenn alle, vom Platzwart bis zum Präsidenten, am selben Strick ziehen», ist Ponte überzeugt.
Die Erinnerungen an den FCB
Er sei topmotiviert und habe sich in den letzten Monaten, da er ohne Arbeit war, zahlreiche Partien im In- und Ausland angeschaut, sich weitergebildet, «um den heutigen hohen Ansprüchen gerecht zu werden». Zudem habe er sein Netzwerk im Schweizer Fussball gepflegt, «viele Freunde» getroffen.
Positiv stimmt Ponte für seine Aarau-Rettungsaktion die Bilanz mit Sion, das im letzten Frühling hinter dem FC Basel das zweitbeste Schlussquartal hinlegte. Der 34-fache Internationale hat also bewiesen, dass er im Abstiegskampf bestehen kann. Mit «der besten Mannschaft der Schweiz», so Ponte, wartet heute auf das Tabellen-Schlusslicht eine schwierige Aufgabe. Der 60-Jährige versucht dennoch, das Positive in dieser Affiche zu sehen: «Wir haben gegen den FCB nichts zu verlieren und mit ein wenig Wettkampfglück könnte mir die Mannschaft ein schönes Geschenk machen.»
Pontes Erinnerungen an Rotblau sind mannigfaltig, die schönsten rühren aus der Zeit mit dem Grasshopper Club. Im letzten Spiel der Saison 1977/1978 siegte GC gegen den FCB 4:2, Ponte erzielte das zwischenzeitliche 2:2 und feierte danach seine erste Meisterschaft mit den Zürchern. Weniger spektakulär waren indes die Begegnungen in seiner Zeit als Spielertrainer beim FC Baden mit dem FCB in der Nationalliga B. Auch nicht gerne blickt Ponte auf den Vergleich mit Sion im Februar 2014 im St.-Jakob-Park zurück. 0:1 verlor seine Mannschaft bei Pontes Trainer-Debüt und noch heute kann er sich fürchterlich über jenen Penaltypfiff ärgern, der zur «unverdienten Niederlage» führte.
Es ist offensichtlich: Raimondo Ponte hat wenig von seiner Leidenschaft eingebüsst. Der unermüdliche Antreiber glaubt felsenfest an den Ligaerhalt. «Es wird bei den Spielern Klick machen, hoffentlich schon im Spiel beim FC Basel.»