Presseschau

NZZ vom 09.05.2015

«Fussball ist traurig»

Spieler wie Matias Delgado gibt es nicht mehr oft – der FC Basel will sich einen Romantiker wie ihn leisten

Am Sonntag kann der Argentinier im Letzigrund mit dem FC Basel Meister werden. Es wäre nach 2004, 2005 und 2014 sein vierter Titel mit dem FCB.

Flurin Clalüna, Basel

Als Matias Delgado vor zwölf Jahren zum ersten Mal nach Basel kam, war er ein schüchterner Argentinier aus Buenos Aires, dem die Haare verträumt ins Gesicht fielen, er sah aus wie ein Kunststudent auf Europareise; wenn es mit dem Fussball nicht geklappt hätte, Delgado hätte im Architekturbüro des Grossvaters vielleicht Gebäude zeichnen können, das hätte ihm gefallen.

Das verwegenste Schicksal

20-jährig war Delgado, als er in die Schweiz kam, schon sein Vater war Profi gewesen, und was der FCB nun mit ihm vorhatte, war das verwegenste Schicksal im Schweizer Fussball: Delgado war ausersehen, Hakan Yakin zu ersetzen, den letzten klassischen Mittelfeld-Regisseur, den es in der Schweiz gab. Yakin musste wenig rennen und durfte viel spielen, in gewisser Weise war er unerziehbar, in besonderen Momenten aber genial. Damals gab es im Fussball noch den Glauben, dass ein Genie es richten kann, heute reicht es nicht, ein Genie zu sein. Man muss Lionel Messi sein.

Delgado war damals, was man in Argentinien «El Diez» nennt, eine Nummer 10, einer wie Diego Maradona, ein Spielgestalter, und er ist es immer noch, «ich bleibe eine klassische 10», sagt er, «ich kann nichts anderes sein».

Sieben Jahre war er fort, er hat versucht, eine grosse Karriere zu machen, zuerst bei Besiktas in Istanbul, dann wurde er zum Globetrotter und tat, was Fussballer sonst nur vor ihrer sportlichen Midlife-Crisis tun: Delgado wollte viel Geld verdienen und wechselte nach Abu Dhabi; dort wurde er nach drei Jahren zum Heimwehkranken, aber er ging nicht zurück nach Buenos Aires, sein emotionales Zuhause ist Basel, seit 2013 ist wieder zurück beim FCB.

Und wenn es beim ersten Mal schon schwierig war, den Vergleich mit Hakan Yakin auszuhalten, so ist es diesmal fast aussichtslos, einen anderen Kampf zu gewinnen: den Kampf gegen die Erinnerung und die Verklärung, gegen sein altes Ich, gegen die Statistik aus der ersten Zeit in Basel: 31 Tore in 85 Spielen. Delgado ist älter geworden, 32 inzwischen, und vor allem ist der Zeitgeist ein anderer. Delgado ist im südamerikanischen Verständnis aufgewachsen, das Schönste im Fussball seien die Regisseure, die Heiligen im Mittelfeld, Spieler wie Juan Roman Riquelme oder Pablo Aimar. Doch seine alten Helden sind tot, die Menschen leben zwar noch, aber der Fussball, für den sie standen, verschwindet. Delgado sagt: «Der Fussball ist traurig. Wenige Mannschaften wollen gewinnen, die meisten wollen nicht verlieren.» Wenn er seine jungen Kollegen hört, wie sie vor einem Spiel in der Kabine rufen, sie wollten kämpfen und gewinnen, dann sagt er: «Ja, aber spielen wollen wir doch auch.» Delgado hat seinen kindlichen Spieltrieb nie verloren. Er sagt: «Man spielt mit dem Ball, man kämpft nicht mit ihm.»

Als Delgado im Sommer 2013 per Video im Stadion seine Rückkehr ankündigte, musste man in Basel wissen, dass die Inszenierung der Realität nicht standhalten konnte. Aber der FCB muss seinem Publikum mehr bieten als nur Titel. Als Alex Frei zurückkehrte, war das noch eine Massnahme für den Erfolg; als Delgado kam, war das etwas für die Sehnsucht. Das hatte noch nie ein Schweizer Verein getan: einen ausländischen Jungstar im Herbst seiner Karriere zurückzuholen; das ist, wie wenn GC Richard Nuñez wieder gerufen hätte oder YB später noch einmal Seydou Doumbia verpflichten würde.

Der FCB wusste, wer da zurückkommen würde, Delgado aber erkannte den Klub kaum wieder; das war nicht mehr sein FCB, er war ganz anders geworden, viel grösser, und die Liga besser; Delgado hatte Schwierigkeiten, gerade auch körperlich, er war nicht fit genug. Er sagt, er habe sich geschämt, auf der Bank zu sitzen, und der Fussballstil des damaligen Trainers Murat Yakin half ihm auch nicht, sich wohler zu fühlen.

Heute sind Delgados Zahlen besser, 29 Spiele, 10 Tore, 10 Assists, aber er hat sich zu diesen Werten kämpfen müssen; er passte sich an, so gut er es mit sich eben vereinbaren konnte. «Er muss sehr viel investieren», sagt der FCB-Sportchef Georg Heitz. Aber der FC Basel versucht nicht, Delgado gegen seinen Willen umzuerziehen. In der Champions League hat er zwar nur zwei Mal gespielt, nur wenige Minuten. Aber manchmal macht der Trainer Paulo Sousa mit Delgado, was dieser am liebsten mag: Sousa lässt Delgado frei.

«Ein Anachronismus»

Heitz sagt: «Vielleicht ist Delgado ein Anachronismus im Fussball. Aber er ist immer noch der Spieler, der in unserem Team die schnellsten Entscheidungen trifft. Er soll fünf Fehlpässe spielen dürfen, wenn der sechste gelingt.» Spielertypen wie Delgado wird es irgendwann vielleicht nicht mehr geben, ein Klub muss sie sich leisten können, diese besonderen Momente, die bei Delgado nicht mehr, sondern weniger werden.

Delgado ist froh, mit seiner Art den Fussball zu interpretieren, nicht am Anfang der Karriere zu stehen. «Gott sei Dank», sagt er. Im Sommer 2017 wird er wohl mit dem Profisport aufhören, so lange läuft sein Vertrag in Basel. Das letzte Trikot, das er tragen möchte, soll jenes des FC Basel sein.

«Ich möchte, dass die Leute in Basel später einmal sagen: ‹Wir erinnern uns an ihn. Er war ein guter Spieler.›» Es klingt fast wie ein Nachruf. Aber am Ende sagt er alles über Matias Delgado. Er war nie nur ein Fussballer. Er ist ein Fussball-Spieler.

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