NZZ am Sonntag vom 17.05.2015
Der 33-jährige FCB-Captain Marco Streller steht am Ende der Karriere, der 18-jährige Breel Embolo am Anfang. Streller sagt, er schütze Embolo – ohne dass der es merke.
Interview: Stephan Ramming
NZZ am Sonntag: Breel Embolo, wie sieht es aus mit den Kenntnissen in Buchhaltung?
Embolo: Reden Sie jetzt von der Schule?
Ja. In einem Monat wollen Sie die Abschlussprüfungen für die Bürolehre bestehen.
Streller: Keine Schwarzmalerei! Breel wird die Prüfung bestehen, da bin ich sicher.
Embolo: Ich hoffe, ich schaffe es. Noch ist Meisterschaft, danach bleibt mehr Zeit zum Lernen. Ich will nicht jetzt zu viel büffeln auf die Gefahr hin, dass ich es dann wieder vergessen habe in einem Monat.
Meisterfeier, Cup-Final, Lehrabschluss – Marco Streller, wie sahen Ihre Tage aus, als Sie vor zwölf Jahren die Prüfung machten?
Streller: Ziemlich ähnlich. Ich war etwas älter und als Fussballer noch nicht so weit wie Breel. Ich war erst auf dem Sprung in die erste Mannschaft und arbeitete auf einer Bank. Sie war FCB-Sponsor, und man ist mir dort ziemlich entgegengekommen. Wenn mich der Trainer Christian Gross brauchte, damit er genügend Spieler für einen Elfer-Match zusammenbekam, drückte man auch in der Schule ein Auge zu. Es war schon stressig, und ich weiss, was Breel derzeit durchmacht. Umso bewundernswerter ist es, dass man ihm im Alltag nichts anmerkt.
Breel Embolo, wie sieht Ihr Alltag aus?
Embolo: Montags und freitags ist Schule in einer Sportklasse. Zurzeit bin ich nur noch selten am Arbeitsplatz im Nordwestschweizer Fussballverband, die freie Zeit nutze ich für Nachhilfestunden, damit ich den verpassten Stoff nachholen kann, weil wir viel unterwegs sind. Es ist schon anstrengend und manchmal viel. Dafür bin ich am Abend kaputt und gehe früh ins Bett.
Erlebten Sie diese Phase auch so konfliktfrei, Marco Streller?
Streller: Ich stand noch nicht so in der Öffentlichkeit. Von mir machte niemand ein Video, wenn ich zur Schule ging, wie das bei Breel der Fall war. Vielleicht war es deshalb einfacher für mich. Sport war eher ein Ausgleich, Schule anstrengender als Fussball. Ich musste mich vielleicht mehr selber organisieren, Breel ist seit anderthalb Jahren fest in den Strukturen der 1. Mannschaft eingebunden. Im Fussball empfand ich in jener Zeit nie Druck, nur Spass. Als ich aber die Lehrabschlussprüfung unbedingt bestehen wollte, spürte ich zum ersten Mal Druck.
Wie haben Sie dem standgehalten?
Streller: Im Französisch musste ich einen Vierer zustande bringen. Ich habe gelernt, was möglich war. An der Prüfung sass ich zwei älteren Damen gegenüber. Ich liess meinen Charme spielen und sagte auf Französisch, ich müsse unbedingt einen Vierer erreichen, weil ich ab Sommer FCB-Profi sein würde. Ich bekam einen Vierer.
Sie verdienen schon viel Geld, eine grosse Karriere wartet – warum wollen Sie die Lehrabschlussprüfung bestehen, Breel Embolo?
Embolo: Meine Mutter ist sehr emotional. Sie verlangte immer, dass ich eine Ausbildung mache, man wisse nie, was passiert. Nun will ich diesen Abschluss unbedingt.
In dieser Saison sind Sie zum Basler Liebling geworden, debütierten in der Nationalmannschaft, spielten in der Champions League und stehen nun vor den Schulprüfungen. Ist Ihnen das alles nie über den Kopf gewachsen?
Embolo: Ich zähle die Schultage und werde froh sein, wenn es vorbei ist. Ich machte mir im Winter diese Gedanken auch und fürchtete, dass das alles meine Leistungen beeinträchtigen könnte. Aber ich spürte irgendwann, dass das nicht der Fall ist. Dann fiel mir alles wieder leichter. Man hat mir im FCB und im Betrieb geholfen, die Lehrer sind mir entgegengekommen. Das ist nicht selbstverständlich, dafür bin ich dankbar.
Als Sie im Januar vor einem Jahr zum ersten Mal in die 1. Mannschaft kamen, war es Marco Streller, der Sie wie ein Vater eingeführt hat. Sind Sie angewiesen auf Vaterfiguren?
Embolo: Ja, sicher. Er gab mir Tipps und half, wo er konnte. Und weil wir Stürmer sind, haben wir rasch gemerkt, dass wir gerne miteinander spielen. Am Anfang getraute ich mich zum Beispiel zu wenig, selber zu schiessen. Ich war unsicher. Diese Unsicherheit hat mir Marco genommen.
Marco Streller, als Embolo auftauchte, haben Sie ihn vom Fleck weg adoptiert. Warum?
Streller: Adoptiert ist übertrieben. Breel geht seinen Weg selber. Aber es stimmt, ich habe Breel sofort in mein Herz geschlossen, sein offenes, sonniges Wesen. Als Valentin Stocker zu uns kam, war das ähnlich. Ich habe einiges erlebt, Gutes und Schlechtes. Davon will ich etwas weitergeben. Breel gibt viel zurück, er hört zu, mit ihm kann man reden. Er hat nicht nur ein Riesenpotenzial als Fussballer, er ist auch ein toller Mensch.
Das klingt nach väterlicher Verliebtheit.
Streller: Auch das ist übertrieben. Ich habe schon viele Talente gesehen, die es nicht geschafft haben, weil es im Kopf nicht gestimmt hat. Bei Breel ist das anders. Er macht intuitiv das Richtige. Ich muss ihm gar nicht viel sagen oder erklären. Ich mache wohl indirekt Dinge, um ihn zu steuern oder ihn zu schützen. Breel soll gar nicht wissen, wenn ich sein Schutzschild bin.
Embolo: Das höre ich zum ersten Mal.
Streller: Eben, das ist ja die Absicht, dass du nicht alles mitbekommst. Du sollst nicht alles wissen.
Embolo: Das ist mir schon klar. Marco weiss, dass ich es sehr schätze, dass er viel für mich macht. Ich geniesse es einfach, mit ihm zu spielen und im Team zu sein. Wenn ich früher vor der Muttenzer Kurve stand, freute ich mich immer, wenn ich ihm genau zuschauen konnte. Und nun spiele ich mit ihm. Das ist schon ein Traum.
Der Traum von jedem Knaben, der in Basel Fussball spielt.
Embolo: Ja. Aber Marco ist als Mensch ganz anders, als er vielleicht nach aussen wirkt. Es regt mich immer auf, wenn ich etwas Schlechtes über ihn höre. Auf dem Platz ist alles viel schwieriger, als es aussieht. Marco ist nicht nur ein feiner Mensch, sondern eben auch ein Superfussballer. Und er könnte problemlos noch zwei Jahre spielen.
Marco Streller hört nun aber auf, nachdem Sie im November gemeinsam die Vertragsverlängerungen verkündet haben. Breel Embolo, lässt Sie Marco Streller nun im Stich?
Embolo: Nein. Im ersten Moment konnte ich es nicht glauben. Aber es ist sein Entscheid und deshalb richtig. Der Verein, die Mannschaft, Spieler wie Fabian Frei – alle werden zusammen versuchen, die Lücke zu schliessen, die Marco hinterlassen wird.
Streller: Vielleicht war mein Entscheid so gesehen etwas egoistisch, aber ich habe ihn mir gut überlegt und genug darüber gesagt. Aber man sieht ja: Auf dem Platz ersetzt mich Breel 1:1. Da mache ich mir überhaupt keine Sorgen.
Breel Embolo, als Sie vor acht Jahren im FC Nordstern fragten, ob Sie mitspielen dürfen, wussten Sie damals, wer Marco Streller ist?
Embolo: Nein. Ich wusste auch nicht, dass es den FC Basel gibt. Ich wusste wenig über Fussball.
Wann haben Sie gemerkt, dass es den FC Basel gibt, das Stadion, die FCB-Begeisterung?
Embolo: Bis ich etwa elfjährig war, bedeutete Fussball für mich, einmal oder manchmal auch keinmal ins Training zu gehen und am Samstag den Match zu spielen. Irgendwann sagte der Trainer, dass drei oder vier von uns zu einem Probetraining gehen sollen. Wir hörten immer, dass die Junioren vom FCB wieder 13:0 gewonnen hatten, und hofften, dass wir nie gegen die spielen müssen. So lernte ich den FC Basel kennen.
Und wie war es in diesem Probetraining?
Embolo: Ich begriff das alles nicht so richtig. Mir leuchtete nicht ein, dass ich viermal ins Training gehen soll, wenn ich bei Nordstern einmal gehen muss, um am Samstag zu spielen. Meine Familie hat das alles nicht sehr interessiert, für sie ging Breel einfach zum Tschutten, damit er am Abend müde ist und schneller einschläft. In der Probewoche ging ich nur einmal hin, die anderen drei Tage haben mich die Trainer gesucht. Sie schickten mich dann zu Concordia, nach drei Wochen war es mir zu viel, und ich hörte auf. Auch wegen der Schule, die schon damals sehr wichtig war. Dann fragten die Old Boys an, dort war ein guter Kollege von mir, deshalb stimmte es für mich. Nach einem halben Jahr fragte mich wieder der FCB und holte mich in die U 13. Da begann ich langsam zu begreifen, worum es geht. Und so kam nach und nach Struktur in die Sache.
Streller: Es ist nicht wichtig, ob man mit acht oder neun Jahren im FC Basel ist. Wichtig ist, dass Breel Freude am Spielen hatte. In diesem Alter geht es nicht um Geld oder Verträge. Es gab Leute, die Breel geholfen haben, sonst wäre er jetzt nicht hier. Aber am Ende setzt sich Qualität durch. Man hört immer wieder, der und der Spieler im Nachwuchs sei ein Riesentalent. Das war auch bei Breel so. Als er das erste Mal bei uns war, war vom ersten Moment an jedem klar, dass das stimmt. Ein Rohdiamant, der noch etwas Schliff braucht. Bei Granit Xhaka war das so, bei Xherdan Shaqiri, bei Ivan Rakitic. Die machen jetzt grosse Karrieren. Verletzungspech ausgeschlossen, wird das bei Breel auch so sein. Zu hundert Prozent.
Breel Embolo, wie schafften Sie es, vor dem ersten Training mit den Profis keine weichen Knie zu haben?
Embolo: Ich hatte extrem weiche Knie. Es war Zufall, dass ich überhaupt am 2. Januar 2014 in Basel war, ich war mit meinen Eltern in den Ferien. Ich konnte es gar nicht fassen, als mich der Nachwuchschef Massimo Ceccaroni anrief. Zum Glück hatte ich meine Trainingsaufgaben über die Festtage gemacht. In der Garderobe wusste ich nicht, wo ich bin, wie ich mich verhalten soll. Alle sind auf mich zugekommen und taten zumindest so, als würden sie mich kennen. Wir flogen nach Marbella ins Trainingslager, und bei der ersten Einheit war ich so nervös, dass ich Kay Voser im Luftduell heftig rempelte und er das Training abbrechen musste.
Streller: Alle haben gesehen, wie stark Breel physisch ist. Na ja, vielleicht hat er sich mit Kay auch den Kleinsten ausgesucht, jedenfalls haben wir alle laut gelacht.
Embolo: Ich fand es im ersten Moment nicht so lustig. Ich hatte Angst. Ich wusste nicht, was ich tun soll. Aber das Lachen der anderen hat mir gezeigt, dass es nicht schlimm ist. So habe ich weitergemacht.
Marco Streller, jeder Jugendliche hat mit 17 Jahren Flausen im Kopf. Wann mussten Sie mit Breel Tacheles reden?
Streller: Nie. Ich sagte es bereits – Breel hat nicht nur das Talent, bei ihm stimmt es auch im Kopf. Er hebt nicht ab. Er weiss nicht wirklich, wie gut er ist. Aber er weiss auch, wo er sich verbessern kann.
Wer sich verbessert, macht Fehler. Marco Streller, welche Fehler, die Sie gemacht haben, soll sich Breel ersparen?
Streller: Meine Fehler haben mich zu dem gemacht, was ich heute bin – das vorweg. Vielleicht wechselte ich zu früh nach Stuttgart, ich war noch nicht bereit fürs Ausland. Wenn ich Breel nun sage, dass er noch in Basel bleiben soll, dann bin ich glaubwürdig, weil ich nicht für den FCB oder aus Eigeninteresse spreche, sondern aus eigener Erfahrung. Breel muss sowieso selber entscheiden, auch wenn es schon viel höhere Angebote gibt für ihn als damals für mich.
Marco Streller, Sie hatten manchmal eine grosse Klappe. Das gab auch Schwierigkeiten.
Streller: Eine grosse Klappe? Ich habe manchmal zu offensiv kommuniziert. Breel muss wissen, dass man gerade als sogenannter Shooting-Star gewisse Boulevard-Geschichten besser nicht macht, weil man sie irgendwann wieder um die Ohren geschlagen bekommt. Auch da hilft ihm der Verein.
Breel Embolo, Sie sind ein Millionenprojekt, irgendwann sollen Sie im Ausland spielen – was geht Ihnen bei diesen Aussichten in stillen Momenten durch den Kopf?
Embolo: Ich versuche, diese Gedanken wegzuschieben. Ich freue mich am Spielen, ich will mich verbessern, alles richtig machen. Wenn ich solche Dinge im Kopf habe, werde ich nervös. Bin ich nervös, mache ich Fehler. Ich habe das bei meinem U-16-Trainer Werner Mogg gelernt. Der hat während des Spiels ständig Anweisungen gegeben. Das machte mich nervös, und ich musste lernen, ruhig zu bleiben. Mir hilft, dass meine Familie nicht erwartet, dass ich im Fussball Karriere machen muss. Meine Mutter redet mit mir wie früher. Bin ich zu Hause, bin ich der Breel, so wie immer.
Streller: Man muss jetzt einmal aufhören mit diesen Fragen und Bedenken. Breel ist in einem Alter, in dem er einfach in den Tag hinein leben soll. Die Zeit zum Nachdenken wird für Breel automatisch kommen. Jetzt soll man ihn machen lassen und nicht immer auf mögliche Wechsel ansprechen.
Alle wissen, dass Klubs wie Chelsea, Liverpool, Inter, Juventus, Bayern mit grossen Geldkoffern wegen Breel nach Basel kommen. Wenn es so weit ist, reden wir wieder. Einverstanden?
Streller: Sag jetzt nichts, Breel. Ich bin einverstanden.