Basler Zeitung vom 17.10.2015
Carlitos, der Künstler des FC Sion, fordert am Sonntag seinen Ex-Club Basel heraus
Von Andreas W. Schmid und Nicolas Rüst, Martigny
Zur Begrüssung haben wir Basler Läckerli auf den Tisch gestellt. Carlos Alberto Alves Garcia, kurz Carlitos, erkennt sie sofort. «Die habe ich gern», sagt er, der von 2007 bis 2010 beim FC Basel spielte und heute das Dress des FC Sion trägt. Die Augen leuchten dabei aber nicht so, dass einwandfrei feststeht, ob es wirklich so ist oder er es nur beteuert, weil er ein höflicher Mensch ist. Am Sonntag (13.45 Uhr, Tourbillon) trifft Carlitos auf seinen ehemaligen Verein. Wer glaubt, das sei deshalb eine besondere Partie für ihn, der täuscht sich. Aus jenen Jahren ist heute nur noch Behrang Safari dabei. Deshalb hat er auch keinen Kontakt mehr zum FCB, sondern einzig zu ein paar portugiesischen Landsleuten in der Region, die er damals kennengelernt hatte.
«Zudem», sagt er auf Portugiesisch, «treffen wir in jeder Saison viermal auf den FC Basel. Da gibt es keine Geheimnisse mehr von Carlitos oder Moussa Konaté.» In der letzten Saison waren es mit dem Cupfinal gar fünf Spiele. Da fügte der FC Sion den rotblauen Widersachern im heimischen Stadion mit dem glasklaren 3:0 eine schmerzhafte Niederlage zu. Der beste Mann auf dem Platz: Carlitos. Die ersten beiden Treffer bereitete er mit genialen Pässen auf die Torschützen vor, den Schlusspunkt setzte er mit einem spektakulären Hechtköpfler auf einer Höhe von 80 Zentimetern selber. Nachher wurde ausgiebig gefeiert, die ganze Mannschaft mitsamt dem Staff legte sich auf den Rasen. Und mittendrin Carlitos.
Barcelona als Highlight
Er zeigte im Cupfinal, weswegen ihn Trainer Christian Gross vor acht Jahren zum FCB geholt hatte: «Carlitos soll für Schwung, Überraschungen, Unberechenbarkeit, Spielfreude und Effizienz sorgen.» Das löste er nicht immer, aber doch oft ein. Carlitos kam vom FC Sion nach Basel, nach einem längeren Seilziehen zwischen mehreren involvierten Parteien. Er erlebte, wie er selber sagt, «meine beste Zeit im Fussball», was sich auch darin zeigte, dass er nirgendwo länger am Stück blieb als in Basel. Vor allem gefiel ihm, dass er Stammspieler war und Champions League spielte – das Grösste für ihn als Fussballer. Die schönste Erinnerung ist denn auch das Spiel gegen Barcelona im November 2008. «Der Einlauf im Camp Nou war ein grandioses Erlebnis. Es stimmte einfach alles an jenem Abend. Auch dass mein Teamkollege Eren Derdiyok mit seiner Direktabnahme kurz vor Schluss das 1:1 schoss.»
Ende Saison musste Christian Gross gehen. Die Hinrunde unter dessen Nachfolger Thorsten Fink war mehr als okay, doch dann verhagelte ihm eine Verletzung in der Rückrunde die Saison. Eine vierte Spielzeit in Rotblau gab es nicht mehr. «Vielleicht hätte in den Verhandlungen geholfen, Carlitos selbst hätte gewusst, von welchem Berater er gerade vertreten wird», schrieb die BaZ damals. Carlitos sagt heute dazu: «Am Ende bin ich aus Lohngründen gegangen.» Das hört man selten von einem Fussballer und klingt so ehrlich, dass er es vorhin wohl auch mit den Läckerli ernst gemeint hat.
Auf die glücklichste Zeit seiner Karriere folgte die schlimmste Phase überhaupt. Carlitos ging zu Hannover in die Bundesliga, er lief gleich im ersten Spiel auf und wurde kurz darauf vom Platz getragen: Nach 33 Sekunden hatte er einen Kreuzbandriss erlitten. «Eine Verletzung ohne Gegner», sagt er, «danach wurde ich vom Club gezwungen, mich in Hannover operieren zu lassen.» Das ging nicht gut. Nach sechs Monaten liess er sich nochmals in Portugal von einem Arzt seines Vertrauens untersuchen – und der operierte ihn gleich nochmals. Der Verein liess ihn, als sich seine Genesung verzögerte, fallen. Insgesamt verlor Carlitos zwei Jahre. Trotzdem bereut er den Wechsel zu Hannover erstaunlicherweise nicht. «Es war vom Gehalt her der richtige Entscheid.»
Der Anruf von Constantin
Nach zwei Jahren mit ganz wenigen Spielen in Deutschland kehrte er nach Portugal zu Aufsteiger Estoril Praia zurück, wo er bereits zu Beginn seiner Karriere sehr erfolgreich gespielt hatte. «Ich hätte sicher das Potenzial gehabt, um mehr zu erreichen», sagt er, der zwar in der portugiesischen U21, aber nie im A-Nationalteam gespielt hatte. «Doch das Schicksal wollte es anders.»
Dazu gehört auch, dass Sion-Präsident Christian Constantin trotz dem eingangs erwähnten Seilziehen vor dem FCB-Transfer immer noch einen Narren an Carlitos gefressen hatte. Jedenfalls unterbreitete er dem Vater zweier Kinder im Sommer 2014 erneut ein Angebot. «Wir haben Familienrat gehalten. CC klang sehr überzeugend. Und Estoril ist nicht der Club, wo es das grosse Geld zu verdienen gibt. Also sagte ich zu.»
Er hat es nicht bereut. «Wir haben gute Spieler, eine gute Infrastruktur, einen guten Trainer, wir sind die fitteste Mannschaft der Schweiz. Doch irgendetwas fehlt trotzdem, dass wir nicht auf dem Rang stehen, wo wir eigentlich hingehören.» Nämlich zuoberst, wenn es nach ihm geht. Nach der erfolgreichen letzten Saison, in welcher er der meistgefoulte Spieler der Super League war, läuft der Vertrag noch bis nächsten Sommer. Wie es danach weitergeht, weiss er nicht. Sicher drei Jahre will er noch Fussball spielen, «wenn nicht in Sion, dann halt anderswo».