Presseschau

Tages-Anzeiger vom 02.11.2015

Verirrt, verschollen – und plötzlich wieder da

Rolf Bantle fand nach einem Fussballmatch nicht mehr zu seinen Kollegen zurück. Ab da lebte er elf Jahre lang in Mailands Strassen.

Sarah Rüegger

Es sollte ein Highlight werden im Leben der Heimbewohner: Am 24. August 2004 reist eine Gruppe des Wohn- und Werkheims Dietisberg in Läufelfingen BL für einen Tag nach Mailand, um den Champions-League-Qualifikationsmatch des FC Basel gegen Inter Mailand live im Stadion zu sehen. Für Rolf Bantle wird aus dem Tagesausflug ein Lebensabschnitt. Ein Lebensabschnitt als Obdachloser Rudi.

Wie die «Schweiz am Sonntag» gestern berichtete, verlässt Bantle damals in der 85. Spielminute seinen Platz, um die Toilette aufzusuchen. Als er zu seinen Kollegen zurückkehren will, ist der Match vorbei, die Stadion­katakomben voller Menschen, Bantle landet im falschen Sektor, draussen kann er den richtigen Car nicht finden. Handy hat er keines, die Telefonnummer der Wohngruppe nicht im Kopf. Mit 20 Euro und 15 Franken im Sack will sich Bantle ein paar Tage durchschlagen, findet jedoch Gefallen an der Freiheit jenseits der Heimstrukturen. Und bleibt fast elf Jahre im Studentenquartier Baggio, wo man den Schweizer bald kennt und ihn Rudi nennt. Wochen später meldet ihn die Amtsvormundschaft Basel-Stadt als vermisst, die Fahndung bleibt jedoch erfolglos, 2011 erklärt ihn das Zivilgericht Basel-Stadt für verschollen. Niemand wartet auf Bantle, der bei Pflegeeltern aufwuchs und selber nie eine Familie gründete, der beruflich nie Fuss fassen konnte und schliesslich im Alkohol einen tückischen Freund fand.

Von Studenten unterstützt

Er habe kaum einmal betteln müssen, sagte Bantle gegenüber der «Schweiz am Sonntag». Da er den Tag meist in der bekannten öffentlichen Bibliothek verbringt, freundet er sich mit Studenten an, Sie spendieren ihm Zigaretten, Kaffee, Wein und einen Schlafsack.

Wäre er im April dieses Jahres nicht auf einem nassen Trottoir ausgerutscht, Bantle lebte wohl noch immer in den Strassen Mailands. Doch beim Sturz zieht sich Bantle einen schweren Bruch zu, das Schweizer Konsulat organisiert schliesslich einen Heliflug ins Unispital Basel, nach seiner Genesung landet der heute 71-Jährige im Basler Alterszentrum zum Lamm. Sein Status als Verschollener wird wegen «Wiederauftauchens» aufgehoben. Aus dem Obdachlosen Rudi wird wieder Rolf Bantle. Zurück will er nicht: «Zehn Jahre sind genug, und hier geht es mir ja jetzt gut», sagte er zur «Schweiz am Sonntag».

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