NZZ am Sonntag vom 06.03.2016
Was macht eigentlich? Sébastien Barberis
Sébastien Barberis war 2002 mittendrin, als der FC Basel den Grundstein für seinen internationalen Erfolg legte.
Von Peter B. Birrer
Wer sich an der anhaltend aufwühlenden Europacup-Expedition des FC Basel ergötzt, sollte deren Initialzündung nicht vergessen. Die Legendenbildung begann 2002 mit dem Abend, den Sébastien Barberis als «heroisch» bezeichnet. Im Rückspiel der Qualifikation zur Champions League trug der FCB die 1:3-Hypothek aus dem Hinspiel gegen Celtic Glasgow ab – 2:0. Chris Sutton schoss in den letzten Sekunden den Ball am Tor vorbei. Ein paar Zentimeter mehr links, und Celtic statt Basel wäre in die Champions League eingezogen. «Ich sehe die Szene vor mir, wie Sutton in die Knie sinkt und die Arme über dem Kopf zusammenschlägt», sagt Barberis über ein Jahrzehnt später.
Die Helden von damals sind als Spielerberater tätig (Rossi, Giménez), Goalietrainer in der zweithöchsten englischen Liga bei Derby County (Zuberbühler), Assistenztrainer im FC Wil (Cantaluppi), Sportchef in Vaduz (Haas), U-18-Trainer in St. Gallen (Hakan Yakin) oder Trainer im Zwischenhalt (Murat Yakin). Oder sie sind Banker geworden wie Sébastien Barberis.
Der Romand brachte 2002 nicht den Glamour und die Pässe der Yakins ins Team, nicht die grosse Röhre Zuberbühlers, nicht die teuer gekauften Tore der Argentinier Rossi und Giménez, nicht das Talent des 21-jährigen Ergic. Barberis lebte Solidität und selten gesehene Klubtreue. Er blieb von 1997 bis 2005 am Rheinknie und sagt: «Wohin hätte ich denn in der Schweiz gehen sollen? Und das Ausland habe ich nie gesucht. Meine Vertragsverlängerungen sind jeweils sehr einfach und rasch vonstatten gegangen.» Pokern à la Yakin? Nein. Begleittross à la Yakin? Nein, nein. Transfer-Theater à la Yakin oder Giménez? Dreifach-Nein. Barberis sei «wie ein Motor» und «in jedem Training dabei» gewesen, sagen Weggefährten, «immer zur Verfügung, nicht stänkernd – er fiel nicht auf, er fiel aber auch nicht ab».
Er trug schon fast symbolhaft das Leibchen mit der Nummer 12 und war anders als sein berühmter Vater Umberto Barberis, der über 50-fache Nationalspieler, der eine Generation zuvor im Schweizer Fussball Leitwolf und vieles mehr war. Basel hat Sébastien nicht nur Champions League erleben lassen, sondern ihm auch geholfen, sich von seinem Vater zu emanzipieren. «In Genf zuvor war es schwierig für mich», sagt er, «aber in Basel wurden keine Vergleiche mit meinem Vater gemacht, weil er nie dort gespielt hat.»
Heute ist Sébastien Barberis die Nummer 1 in der Zweigstelle der Credit Suisse in Vevey. Nach seinem letzten FCB-Match in Basel 2005, in dem sie ihn im St.-Jakob-Park auf Schultern trugen, liess er sich zum Banker umschulen und «wechselte die Welt». Er brachte für die Finanzwelt zwar nicht technisches Rüstzeug mit, dafür aber Erfahrung mit Drucksituationen und im Zusammensein von Menschen.
Nach 2005 entwöhnte er sich in der 1. Liga im FC Bulle vom Fussball, sein Trainer hiess Stéphane Henchoz. Heute kickt er kaum noch. «Man muss wissen, wann fertig ist», sagt er, «ich will nicht zum alternden Spieler werden, der zu spät an den Ball kommt und gemein zu spielen beginnt.» Als Ausgleich setzt der Banker mehr auf Badminton und auf Skifahren in Nendaz – «darauf musste ich als Fussballer genug lang verzichten».
Den St.-Jakob-Park hat er letztmals im Februar 2015 für den Champions-League-Achtelfinal des FCB gegen Porto (1:1) besucht. Ganz weg ist er nicht vom Geschäft, weil er zwischendurch als Fussballexperte des Westschweizer Fernsehens auftritt. «Die Arbeit hat mir einen neuen, objektiveren Blick aufs Geschehen gegeben. Ich verstehe besser, wenn Kritik geäussert wird. Damit hat man als Fussballer oft Mühe», sagt er.