Presseschau

Basler Zeitung vom 16.04.2016

Mit der Basler Winner-Mentalität

Marco Aratore ist beim FC Basel gross geworden – inzwischen trägt er das Grün St.?Gallens

Von Dominic Willimann, St.?Gallen

Es gibt Geschichten aus der Vergangenheit, die Jahre später bei jedem Familienanlass auf den Tisch kommen. Das ist bei Marco Aratore nicht anders. Und wird dabei der Fussball zum Thema, dann erzählt der 24-Jährige folgende Reminiszenz: In einem Spiel mit der U16 des FC Basel führt der damals 15-Jährige mit seiner Equipe zur Pause 10:0. Trainer Werner Mogg gibt sich damit aber nicht zufrieden und verlangt in den zweiten 45 Minuten im Minimum zehn weitere Basler Tore.

Am Ende sind es «nur» vier, die U16 feiert dennoch einen Kantersieg. Das Jubeln dürfte den FCB-Junioren aber spätestens am Montagmorgen vergangen sein, als Mogg seine Mannschaft an der Birs begrüsste – und sie als Straftraining zehn Kilometer dem Fluss entlang joggen liess. Damals dachte er: «Ist der Typ wahnsinnig?» Heute kann Aratore aber über die Geschichte schmunzeln, im Nachhinein hätten genau solche Aktionen seinen Charakter geprägt.

Marco Aratore hat beim FC Basel von den F-Junioren an sämtliche Nachwuchsstufen durchlaufen und dabei das Gefühl einer Niederlage nur selten kennengelernt. «Deshalb kann ich Moggs Massnahme heute nachvollziehen», sagt er. Noch immer profitiere er von dieser Basler Winner-Mentalität. «Ich will in jedem Spiel gewinnen.» Der letzte Erfolg Aratores liegt jedoch eine Weile zurück: Am 7. März bezwang er mit dem FC St.?Gallen den Grasshopper Club 2:0. Danach ging bei den Ostschweizern nicht mehr viel. «Vier Niederlagen hintereinander, das ist neu für mich», erzählt Aratore. Immerhin: Mit dem 1:1 am Mittwoch in Sion hat St.?Gallen vor dem Heimspiel vom Sonntag gegen den FCB (16 Uhr, AFG Arena, SRF?2 live) ein Lebenszeichen von sich gegeben.

Der Rückwärtsgang

Beim Remis im Wallis stand der Offensivspieler, der am liebsten und auch am häufigsten am linken Flügel eingesetzt wird, 90 Minuten auf dem Platz. «Ich bin inzwischen in St.?Gallen angekommen», sagt der einstige Junioren-Internationale. Im Sommer 2014 unterzeichnete Aratore in der Ostschweiz einen Vierjahresvertrag, in der laufenden Saison steht seine Bilanz bei 24 Einsätzen in der Super League. Anfangs war es für den Basler nicht ganz einfach, in St.?Gallen Fuss zu fassen. «Ich musste lernen, dass wir hier auch den Rückwärtsgang einlegen müssen.» Das war bei der Station zuvor anders: Der FC Winterthur agierte in der Challenge League mit drei offensiv ausgerichteten Spitzen, Aratore war eine von ihnen.

Just als er in St.?Gallen jedoch das Gefühl hatte, sich bei Jeff Saibene in der laufenden Saison durchgesetzt zu haben, folgte Mitte September der Trainerwechsel. «Ich musste mich unter Joe Zinnbauer neu beweisen.» 2016 stand Aratore in allen zehn Liga-Partien auf dem Feld, viermal davon über 90 Minuten. «Ich fühle mich wohl», sagt der italienisch-schweizerische Doppelbürger.

Das war in seiner bisherigen Karriere nicht immer so. In der Saison 2009/2010 stieg er ins Fanionteam des FCB auf, zählte zum Kader von Thorsten Fink. In der Vorrunde durfte der Offensivakteur in Cup und Europa League sechsmal auflaufen, in der Liga hingegen nicht. Dann folgte eine Entzündung der Achillessehne und die Jagd der Basler auf Tabellenführer Young Boys, bei der erfahrenere Spieler als der damals 18-Jährige benötigt wurden. Den zweiten Teil der Saison verbrachte Aratore beim FC Thun, mit dem er in die Super League aufstieg.

Der Rückschritt

Der Abstecher ins Berner Oberland war das erste von drei Leihgeschäften. Danach trug Aratore das Dress von Aarau und Winterthur, dazwischen ein halbes Jahr lang dasjenige der Basler U21 in der Promotion League. «Das Hin und Her war nicht einfach. Jedes Mal, wenn ich zum FC Basel zurückkehrte, dachte ich: Jetzt bekommst du die Chance – und dann wirst du wieder ausgeliehen.» Rückblickend kann er seinem Schritt im 2012 zurück in die Basler Reserve nur Positives abgewinnen. «Carlos Bernegger war zu diesem Zeitpunkt der richtige Trainer für mich. Durch ihn fand ich zu alter Stärke zurück.» Aratore war in jenem Halbjahr an der Hälfte aller Basler Tore beteiligt, und das in einer Mannschaft, die mit Pascal Schürpf, Kwang-Ryong Pak, Darko Jevtic, Arlind Ajeti oder Stjepan Vuleta prominent besetzt war.

Die U21 war also das ideale Karriere-Sprungbrett. Seit seinem Wechsel nach Winterthur im Januar 2013 ist der Vater zweier Knaben nicht mehr nach Basel zurückgekehrt. Ausser natürlich an den freien Tagen, die er bei seiner Familie im Hirzbrunnenquartier verbringt. Das Thema FCB hat er aber noch nicht ganz abgeschrieben. «Wenn Basel oder das Ausland nicht mein Ziel wären, bin ich hier fehl am Platz», sagt er über sein Engagement in St. Gallen.

Die Rückblende

Mit diesem St. Gallen trifft er morgen auf seinen Stammclub. Es sind dies Spiele, in denen Aratore jeweils das gesamte Ticketkontingent für Freunde und Familie ausschöpft. Es sind dies Spiele, in denen Aratore auf alte Bekannte trifft – aktuell sind dies nur noch Behrang Safari und sein früherer KV-Ausbildungsgefährte Taulant Xhaka. Und es sind dies Spiele, in denen Aratore regelmässig trifft. Bei Marco Strellers rotblauem Abschied im Mai 2015 reihte er sich unter die Torschützen (3:4), ebenso vier Monate später beim 1:2 im St.-Jakob-Park.

So hat sich Aratore für Sonntag einiges vorgenommen. «Ich will gegen den FCB gewinnen.» Trifft er dabei auch noch, hätte auch diese Geschichte Potenzial, um sie in ein paar Jahren am Familientisch zum Besten zu geben.

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