Presseschau

NZZ am Sonntag vom 24.04.2016

Spielen, nicht reden

Walter Samuel hat alle gestoppt: Beckham, Ibrahimovic, Messi. Mit ihm tritt einer der besten Verteidiger der letzten Jahrzehnte zurück.

Von Christine Steffen

Als Walter Samuel vor zwei Jahren nach Basel kam, war er 36 Jahre alt und eine Art goldene Reserve. Alternde Helden passen eigentlich nicht ins Beuteschema des FCB, aber Samuel war nach neun Jahren bei Inter ablösefrei zu haben und wirklich interessiert. Der Vertrag lief über eine Saison, und als diese zu Ende ging, wollten der Sportchef Georg Heitz und der Präsident Bernhard Heusler Samuel nicht ziehen lassen. Sie einigten sich auf eine Verlängerung. Weil der damalige Trainer Paulo Sousa gegen die Weiterbeschäftigung war, musste das Geschäft hinter seinem Rücken abgeschlossen werden. Man war überzeugt, dass Sousa den Verein sowieso verlassen würde, und vereinbarte Stillschweigen, bis Sousa weg war. Bevor Samuel nach Argentinien in die Ferien reiste, schrieb er Bernhard Heusler ein SMS, zwei Worte: «Danke, Präsident.»

Die Botschaft lässt Ehrgefühl und Bescheidenheit erkennen, beides ist typisch für Samuel. Und sie reduziert viel Gefühl auf wenige Worte. Samuel ist ein grosser Schweiger, er selber hat sich als «carattere chiuso» bezeichnet, als verschlossenen Charakter. Wenn er vor einem steht, dieser stille Mann mit den hellblauen Augen, der vernarbten Stoppelfrisur und dem furchigen Gesicht – man könnte ihn für grantig halten oder sogar furchteinflössend. Selten passten Äusseres und Inneres so wenig zusammen; denn Samuel ist ein wenig scheu, freundlich und im besten Sinn gewöhnlich. Sogar sein Übername «il muro» ist ihm peinlich, dabei hat er ihn sich durch ehrliche, aufreibende Arbeit erworben.

Tun, was getan werden muss

So sanft er im Umgang ist, so unerbittlich verteidigt er sein Tor – vielleicht bildet seine Erscheinung auch seine Persönlichkeit auf dem Platz ab. Javier Zanetti, Samuels Kollege in der argentinischen Nationalmannschaft und bei Inter, sagte einmal, Samuel sei «der härteste Spieler der Welt». Samuel selber sagt: «Ich habe es immer gehasst, ein Tor zu bekommen, auch im Training.» Und so hat er in den letzten 20 Jahren alles getan, um den Stürmern das Leben schwerzumachen. Legendär ist die Szene aus einem Freundschaftsspiel gegen England 2005: David Beckham sprintet am rechten Flügel, Samuel springt ihm zwischen die Beine, Beckham läuft weiter, Samuel checkt ihn, den flinken Techniker, trocken ins Seitenaus. Es ist eine Szene wie aus dem Eishockey, doch der Schiedsrichter lässt das Spiel weiterlaufen. Samuel ist kein unfairer Spieler, zweimal hat er in seiner Karriere eine rote Karte bekommen, dreimal eine gelb-rote. Er tut einfach, was getan werden muss.

Samuels Weg hat sich mit dem der Allerbesten der letzten zwei Dekaden gekreuzt, er hat mit ihnen oder gegen sie gespielt, Ibrahimovic, Messi, Drogba, und er hat unter legendären Trainern gearbeitet, Maradona, Mourinho. Fragt man ihn, wie sie waren, gibt er gutmütig Auskunft, ohne viel zu verraten. «Natürlich ist Maradona eine Legende», sagte er im Interview mit der NZZ im vergangenen Oktober, «aber als Fussballer bist du es gewohnt, grossen Persönlichkeiten zu begegnen. Deshalb war für uns sein Status nicht so wichtig.»

Wo sich andere am Glamour weiden, sieht Samuel Alltag. Das hat damit zu tun, dass Samuel schon als 19-Jähriger zu Boca Juniors kam, er kennt kein anderes Leben als das in der höchsten Fussballerkaste. Aber es zeigt auch seine Weigerung, den Beruf zu überhöhen. Samuel gehört in die gleiche Generation wie Beckham, aber er verkörpert einen ganz anderen Typus. So erfolgreich Samuel war, er ist kein Star, der in Klatschspalten erscheint, Unterhosen vorführt oder stets neue bedeutungsvolle Tattoos herzeigt. Er schien immer mehr von der Verpflichtung getrieben, Tore zu verhindern, als von der Verheissung von Ruhm. Ihn interessiert die Arbeit, nicht die Bühne. Er wisse, dass Fussball auch Show sei, sagte er im Interview, aber er sei einer, der nach dem Spiel lieber nach Hause zu seiner Familie gehe.

Inmitten der jungen Fussballer mit den gezupften Augenbrauen und den sorgfältig zerrissenen Jeans erscheint er wie ein Zeitreisender aus der Vergangenheit. Samuel ist alte Schule, seit vier Jahren hat er keinen Berater mehr, er findet, er könne seine Angelegenheiten selber regeln. Facebook, Twitter, Instagram, all die Plattformen für Selbstdarsteller – nichts für ihn. «Mir gefallen die sozialen Netzwerke nicht, sie interessieren mich nicht», sagt er, das seien Sachen für seine Kinder. Auch wenn er kaum redet und ihre Lebenswelt eine ganz andere ist ist: Für die jungen Spieler ist Samuel ein Vorbild. «Sie haben zu ihm hinaufgeschaut», sagt Georg Heitz. Nicht nur wegen seiner Karriere, auch wegen seiner Professionalität. Samuel habe immer ein Extraprogramm absolviert, sagt der Sportchef. Er schuftete im Kraftraum, als andere längst zu Hause Playstation spielten.

Samuel hat sich in Basel eine Liebe erarbeitet, die gegen das Ende hin, befeuert von Wehmut, melodramatische Züge annimmt. Die «Basellandschaftliche Zeitung» hat diese Woche die Aktion «Walter, quedate!», «Walter, bleib!» gestartet. In einem Liebesbrief und einem Gedicht wird er angefleht, Basel nicht zu verlassen. Es ist zwecklos. «Samuel hätte jederzeit zu uns kommen können, wir hätten mit ihm verlängert», sagt Heitz. Er kam nicht.

Wenn alles weh tut

Dabei war die kultische Verehrung von Samuel in Basel lange nicht absehbar. Als der FCB im September 2014 in der Champions League gegen Real Madrid 1:5 unterging, machte man in ihm den Hauptschuldigen aus. «Hüftsteif» nannte ihn der «Blick» und gab ihm die Note 1. Noch in der ersten Hälfte der laufenden Saison spielte er selten, in den letzten Partien kommt er aber regelmässig zum Einsatz. Es ist ein überraschendes Ende, nicht leise ausklingend. Samuel wird mitten aus dem Spiel gerissen. Wie viel es ihn kostet, einmal wöchentlich den Strafraum dichtzumachen, lässt sich nur erahnen. Vor einem halben Jahr sagte er: «Es kommt der Moment, in dem du dir deines Körpers bewusst wirst; wenn dir alles weh tut. Und im Kopf wirst du müde.» Bald kann er ausruhen. Er wird in die Nähe von Mailand ziehen, die Trainerlizenz erwerben, Junioren coachen. Er wird sie auch lehren, Tore zu schiessen. Denn auch das hat er einmal gesagt: dass er bei allem Hass auf die Tore diejenigen bewundere, die sie erzielen. Als er gefragt wurde, was er vermissen werden, erwähnte er nicht den Jubel nach einem Sieg oder die Ekstase nach einem erzielten Tor, keinen dieser Gänsehautmomente. Er sprach von der Kabine. Es sei wie in der Schule, sagte er, «kaum bist du in den Ferien, willst du wieder zurück, dich mit deinen Kollegen austauschen, Witze machen».

Vielleicht kommt einer, der im Fussball so gewöhnlich geblieben ist, im richtigen Leben gar nicht so schlecht zurecht.

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