Presseschau

Basler Zeitung vom 06.05.2016

Halbe Sachen gibt es nicht

Marco Balmelli spielt im internationalen Sportrecht in der Champions League mit – eine Begegnung

Von Andreas W. Schmid

Diese tiefe, eindrückliche Stimme. Marco Balmelli wäre geschaffen fürs Radio. «Das habe ich auch gemacht», sagt er im Besprechungszimmer seiner Kanzlei, «aber da müssen wir schon sehr tief in der Kiste der Vergangenheit kramen.» Damals kommentierte er für Radio Basilisk Fussballspiele und einmal auch das offizielle «Bryysdrummle». Balmelli war Student, heute ist der 46-jährige Basler einer der einflussreichsten Juristen im internationalen Sportrecht und spielt als Richter am Internationalen Sportgerichtshof von Lausanne sozusagen in der Champions League mit.

Das passt zu Balmelli, dass er das mit dem Radio auch noch gemacht hat. Er war und ist immer noch an vielen Fronten tätig. Dabei zeichnet ihn vor allem eines aus: Mit halben Sachen gibt er sich nicht zufrieden. Sein Bruder Renato sei der talentiertere Trommler gewesen, sagt er. «Aber im ‹Bryysdrummle› gewann ich.» Als Junior spielte er Fussball bei den Old Boys und Congeli. Mit 17 war er Jugend-Nationalspieler, «meine beste Zeit als Fussballer». Balmelli erinnert sich an Spiele gegen die Laudrup-Brüder oder Zvonimir Boban, den späteren Champions-­League-Sieger mit Milan. «Unglaublich, was die mit dem Ball anstellten.» Da bekam er erstmals eine Ahnung davon, wie gut man sein kann.

Er selber spielte nie höher als mit den Old Boys in der Nationalliga B. Einmal bekam er noch ein Angebot von Ex-FCB-Trainer Friedel Rausch, der ihn in die oberste Spielklasse nach Luzern holen wollte. Balmelli lehnte ab, stattdessen setzte er voll auf den Beruf. «Ich merkte schnell», sagt er freimütig, «dass mit der Juristerei längerfristig mehr Geld zu verdienen ist als mit Fussball. In der NLB gab es damals vielleicht 2000 Franken im Monat.» Mit 25 Jahren hörte er bei OB auf und schloss mit dem aktiven Fussball «in Frieden» ab, wie er es nennt. Dafür machte er im Eilzugs­tempo das Liz, den Doktor in Jurisprudenz, den Anwalt und den Notar.

Seinem Lieblingssport blieb er bis heute eng verbunden. Zuerst, wie eingangs erwähnt, als Radioreporter. Und als freier Mitarbeiter für diese Zeitung: Während seines Praktikums auf einer Kanzlei in Mailand schrieb er nebenbei über den Calcio und die Serie A.

Wieder zurück in Basel, wirkte er hinter den Kulissen weiter. Zuerst kam Roger Hegi, damals CEO des FC Basel, auf ihn zu, damit er sich um die Juniorenverträge des rotblauen Clubs kümmern solle. 2003, als der FCB Hegi entliess, wurde sein Mandat neu ausgeschrieben und von Bernhard Heusler übernommen. Stellt er sich nicht manchmal die Frage, was hätte sein können, wenn er statt Heusler, der heute allseits geachtete Präsident, beim rotblauen Club weitergemacht hätte? «Nein», sagt Balmelli, «das habe ich nie. Es ist für mich hundertprozentig in Ordnung so, wie es ist. Ich wollte immer auf der Spielerseite sein, auch wegen meiner Vergangenheit als Fussballer.»

Berater von Marco Streller

Fast hätte übrigens eine Episode verhindert, dass Heusler FCB-Präsident geworden wäre: Noch beim FCB unter Vertrag, fragte Balmelli im Mai 2003 seinen Berufskollegen, ob er Marco Streller juristisch vertreten könne. Der Stürmer war vom FCB an Thun ausgeliehen worden – mit dem Verbot, gegen seinen Stammverein zu spielen. Dagegen wollte er sich wehren. Heusler verstand die Position von Streller, lehnte es aber aus Gewissensgründen ab, gegen den FCB vorzugehen. Das war sein Glück: Hätte er Streller gegen den FCB vertreten, wäre er wenige Wochen später sicher nicht als möglicher Anwalt für Rotblau angefragt worden.

Balmelli aber wurde Spielerberater. «Fussballer vertrauen Fussballern mehr als anderen», sagt er. Als ersten Spieler vertrat er – wie könnte es anders sein – Marco Streller. Als er diesem zu seinem Wechsel zum VfB Stuttgart verhalf, raunte ihm der damalige FCB-Trainer Christian Gross bei einer zufälligen Begegnung vorwurfsvoll zu: «Die Spieler gehen viel zu früh.» Balmelli erwiderte, dass der FCB selber schuld sei, weil er knauserte und Streller ein paar wenige Tausend Franken pro Monat zahlte. Ein Fussballer müsse sich auch immer absichern, schliesslich könne in diesem Beruf jederzeit das Karriereende erfolgen. Prompt zog sich Streller einen Tag später im Vorbereitungscamp des Schweizer Nationalteams auf die EM einen Schienbeinbruch zu.

Weitere Fussballer, die Balmelli beriet, waren Benjamin Huggel, Valentin Stocker und Hakan Yakin. Das Vertrauen des Ballkünstlers erlangte Balmelli schon früher, als er bei Congeli die E-Junioren trainierte (auch das machte er noch). Der kleine Hakan schoss im Durchschnitt acht Tore pro Spiel und machte Balmelli die Arbeit ziemlich einfach. «Er ist ein feiner Mensch», sagt Balmelli über ihn, «leider wird er von vielen falsch eingeschätzt.» Vermutlich war der Ex-FCB-Spieler einige Male zu lieb und zu vertrauensselig.

Nach den ganzen Wirren mit PSG im Sommer 2003 übernahm jedenfalls Balmelli die Beratung von Yakin. Schnell wurde es wieder turbulent, denn der VfB zeigte bald Interesse am blendenden Techniker. Deshalb rief VfB-Trainer Felix Magath den Spielerberater an, der kurz zuvor schon Streller ins Schwabenland gelotst hatte. «Gibt es irgendwelche Beschwerden über Streller?», fragte Balmelli am Telefon. «Ja, Ihr Spieler ist nicht ganz klar im Kopf», antwortete Magath, «er meint, wir sollen Hakan Yakin verpflichten.» Balmelli zeigte sich gewohnt schlagfertig: «Das halte ich eher für einen Anflug von Intelligenz.» Der Transfer kam schliesslich zustande, Yakin wurde aber unter «Quälix« nicht glücklich – und so war Balmelli bald schon wieder gefordert.

Der Basler war keiner jener Spielervermittler, die den von ihnen betreuten Kickern die Briefkästen leeren oder das Auto in die Garage fahren, um Sympathien für die nächste Provision bei einem Transfer zu ergattern. «Balmelli war nie so unter Druck wie viele Berater, die nur vom Fussballgeschäft leben», sagt Georg Heitz, der Sport­direktor des FCB, «und die deshalb einen Wechsel nicht immer zum Vorteil ihres Spielers durchpeitschen.»

Der Ohrbiss von Luis Suarez

Heute vertritt der Basler keine Fussballer in Transfer-Angelegenheiten mehr. Um als Richter beim CAS (Court of Arbitration for Sport) unabhängig zu sein. Der Sportgerichtshof in Lausanne nimmt sich Streitfällen des internationalen Sports an. Mittlerweile sind es zwischen 400 und 500 Fälle im Jahr, meist geht es um Fussball oder Doping.

Dass Balmelli beim CAS landete, ist naheliegend bei seinem Erfahrungsschatz auf diesem Gebiet. Er ist Managing Partner der Kanzlei Kellerhals Carrard in Basel mit rund 60 Mitarbeitern, wovon 30 Juristen sind; als Anwalt ist Balmelli neben dem Sportrecht in wirtschaftsrechtlichen Fragen tätig und unterstützt seine Klienten bei Transaktionen oder als Verwaltungsrat. Kellerhals Carrard kann mit seinen schweizweit 200 Angestellten, was das Sportrecht anbelangt, als Nummer 1 des Landes bezeichnet werden. Balmelli kennt die andere Seite, vertrat zuerst Sportler, die sich an den Sportgerichtshof wandten. Wie Huggel nach der Sperre wegen seines Fusstrittes im Skandalspiel gegen die Türkei; Balmelli erreichte vor dem CAS, dass die Sperre reduziert wurde. Oder die Baselbieter Snowboarderin Andrea Schuler, die von Swiss Olympic vor den Winterspielen 2006 in Turin ausgebootet wurde.

Beim CAS wird Balmelli für 10 bis 15 Fälle pro Jahr nach Lausanne aufgeboten. Darunter hat es alles, von medial unspektakulären Streitigkeiten bis zu heiss diskutierten Entscheidungen, die eine Partei anficht. Zu Letztgenannten gehört der Fall Luis Suarez, der sich nach dem Biss in Giorgio Chiellinis Schulter an der WM 2014 in Brasilien gegen die viermonatige totale Fussballsperre wehrte. Das Dreiergremium mit Balmelli bestätigte zwar die Spielsperre, fand aber, dass ein darüber hinaus gehendes Verbot übertrieben gewesen wäre; Suarez hätte nicht einmal ein Spiel des eigenen Sohnes anschauen oder den Fitnessraum seines Clubs benützen dürfen.

Obwohl er beim CAS auf den Fussball spezialisiert ist, war und ist er in keinen Fifa-Fall involviert – «und das wird auch so bleiben». Denn Balmelli ist Stiftungsratsmitglied des Basel Institute on Governance. Dieses wiederum wird von Mark Pieth, seinem Doktorvater, geleitet, der mit der Reform der Fifa beauftragt war. Da könnten Balmelli mit Leichtigkeit Interessenkonflikte vorgeworfen werden, und so kommt er für diese Fälle nicht infrage.

Dafür hatte Balmelli mit anderen heiklen Fällen zu tun. In einem ging es um ein Spiel der asiatischen Champions League. Noch bevor er offiziell als einer von drei Richtern für den Fall bestimmt war, trafen bei ihm schon die ersten Drohmails ein, in denen es hiess: Er solle aufpassen, wie er sich entscheide. Und dann: «IS is watching you.» Balmelli wirkt, als er das erzählt, eher amüsiert als erschüttert.

Der Vater zweier Kinder im Teen­ageralter – der Sohn spielt, natürlich bei OB, Fussball, die Tochter pfeift in einer Clique – ist sich einiges gewohnt. Vor drei Jahren exponierte sich der passionierte Jäger, als er sich dafür einsetzte, dass auch in Zukunft im Stadtkanton gejagt werden darf. «Ein heikles Thema», sagt Balmelli, «bei dem du in Basel in der Minderheit bist.» Vor zwei Monaten sorgte der Vollblutbasler in Fasnachtskreisen für Diskussionen, als er auf

Tel

ebasel das sinkende Niveau der Jungen Garden anprangerte und eine bessere Ausbildung der Instruktoren forderte; auch bei der Fasnacht mag er keine halben Sachen. Während der drei schönsten Tage kommt bei ihm oft Wehmut auf: «Gehst du an die Fasnacht, siehst du deine erste Kindergartenfreundin, deine Primarschulkollegen, deine früheren Nachbarn. Das Leben zieht im Schnelldurchlauf an dir vorbei.»

Froschhüpfen mit Stephan Niklaus

Von wo aber kommt sein Ehrgeiz, immer auf tutti zu gehen? Marco Balmelli glaubt, dass der Sport dazu beigetragen habe. Auf der Schützenmatte trainierte er als Jugendlicher oft für sich alleine. Dann sah er Zehnkämpfer Stephan Niklaus und konnte nur noch staunen: Wie viel dieser sich abverlangte! Bald bildeten die beiden eine spontane Trainingsgemeinschaft, dazu gehörte stundenlanges Froschhüpfen auf der steilen Tribünentreppe. «Beim Sport habe ich gelernt, wie sehr man sich in eine Sache reinknien muss.»

Heute nimmt er es beim Training gemütlicher. Er macht Pilates bei Markus Latscha, einmal in der Woche lässt er sich von Personal-Trainer Benjamin Huggel auf der Schützenmatte auf Trab bringen.

Das klingt nach einem ausgelasteten Leben. «Ach, ganz so krass ist es jetzt auch nicht», winkt er ab. Wobei ihm später noch einfällt, dass er zwei Hunde hat. Er gerne fischen geht. Und an der Fasnacht bei den «Streifern» trommelt und auch Schnitzelbängg textet und vorträgt. «Ich kann ja später noch einen schicken.» Klar, dass er es nicht vergisst: Kurz nach dem Gespräch trifft folgender Vers im E-Mail-Postfach ein. Natürlich geht es darin um Fussball:

Vaclik, Fransson und Safari, Suchy, Traoré Bjarnason, Delgado, Sporar sinn bim FCB Und griegt ain an der Maischterfyyr e Buess bim Pyros-Brenne Denn kann är dangg dr SVP im Usschaffgfängnis penne.

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