Basellandschaftliche Zeitung vom 31.05.2017
Retrospektive · Die wilden Jahre unter Benthaus und der erste internationale Erfolg – wie der Kult um den FCB entstand
Willi Erzberger*
«In dr unvergässlige Ära vom Helmut Benthaus hämmer x-mool derfe dr FCB d Schtadt ab bis uf e Märt beglaite.» So nachzulesen im Jubiläumsbuch «100 Jahre VKB» (1984). VKB ist das Kürzel von Vereinigte Kleinbasler, Basels älteste Fasnachts-Clique. Besonders imposant sei die Feier 1969 gewesen, als über 25000 FCB-Anhänger auf dem Marktplatz ununterbrochen das damals bekannteste Fanlied ertönen liessen: «Odermättli, Odermättli, schiess es Gööli unters Lättli.» Die Meisterfeiern wurden schon bald zum Jahresereignis. Später auf dem Barfüsserplatz, weil der frühere zweistöckige Gastronomiebetrieb Baslerstab (jetzt Mövenpick) saniert wurde.
Weniger wild ging es auf dem Landhof zu, als am 9. Juni 1953 nach einem 3:0–Heimsieg gegen Servette dem FCB erstmals der Meisterpokal überreicht wurde. Kurt Thalmann ist einer von zwei noch lebenden Spieler dieser Meistermannschaft. Es sei auch noch angemerkt, dass längere Zeit in den Winterhalbjahren der EHC Basel (Hofer, Handschin etc.) der klare lokale Publikumsmagnet war. So die lokale Ausgangslage im Generationenabschnitt mit Josef «Seppe» Hügi, dem unvergessenen Goalgetter, und René Bader.
Sechs Jahre vor dem ersten Meistererfolg wurden die Basler zum zweiten Mal nach 1933 Cupsieger; nach einem 3:0-Erfolg gegen Lausanne Sports auf dem Berner Neufeld. Damals waren die Spieler noch berufstätig. Einer von ihnen war der bullige Mittelfeldspieler, Heizöl-und Kohlenhändler Hans Vonthron, der einmal zu vorgerückter Stunde am legendären Kronen-Stamm in Binningen mit Sternenkoch Hans Stucki, Komponist und Musiker Herbert Rehbein und dem ersten FCB-Speaker, Otti Müller, verriet, wie «grosszügig» damals die Spielerprämie für den Cupsieg gewesen sei: Ein Restbrot beim «Festbankett» auf der Rückreise und ein Fünfzigernötli!
Dem späteren FCB-Präsident Lucien Schmidlin gelang es, in Köln mit Helmut Benthaus einen Spielertrainer zu verpflichten, der vieles umstellte und ein knallhartes Regime einführte. Schluss mit Larifari. Er hatte Mühe, das eingespielte Zeremoniell der von Betriebsnudel Karli Odermatt angeführten Mannschaft zu (er)dulden: Gemeinsamer Ausgang am freien Montag (ohne Alkoholverbot), der meistens beim Beizer Franco Riccardi im damaligen Restaurant «Ceresio» endete. Während der Mustermesse vorab noch mit einem Intensiv-Rundgang durch die Degustation. Selfiejäger gab es damals noch keine. Auch an der Fasnacht begaben sich die Spieler «unters Volk». Karli Odermatt erinnert sich: «Wir hätten fürchterliche Qualen erleiden müssen, wenn wir das Spiel nach der Fasnacht verloren hätten. Da kannte Benthaus kein Erbarmen.» Verloren hätten sie nach derartigen Ausflügen aber nie ...
Geduschte Journalisten und ein paffender Cruyff
Parallel, nicht nur mit dem Fussball, erlebte der Sportjournalismus einen stetigen Wandel, verbunden mit skurrilen, vielen ärgerlichen und heute kaum mehr für möglich gehaltenen Zyklen. Ein in Erinnerung stark haftendes Schlüsselerlebnis war für die kleine Gruppe von Journis der Auslandeinsatz in der damaligen Sowjetunion. In der ersten Runde des Europapokals der Landesmeister (dem Vorläufer der Champions League) musste der FCB am 16. Juni 1970 in der Auswärtspartie vor 80000 fanatischen Zuschauern im Luschniki-Park gegen Spartak Moskau antreten. Den wenigen Schweizer Reportern wurden nur zwei bis drei Telefonapparate zugeteilt; die Verbindungen ins Ausland waren suboptimal.
Damals und noch für längere Zeit mussten die Berichte auf Reiseschreibmaschinen eingetippt und dann in die Heimzentralen durchdiktiert werden. Als der FCB nach 76 Minuten 0:3 zurücklag, begannen wir in aller Eile und Hektik, die Berichte abzufassen. Bereits zehn Minuten später mussten wir die Manus zerreissen und nach den späten Auswärtstoren von Odermatt und Benthaus zum 2:3- Schlussergebnis mit geänderter Sichtweise wieder von vorne anfangen. Irgendwie brachten wir es zustande, kurz vor Redaktionsschluss unsere Texte zu übermitteln. Eine TV-Übertragung gab es nur in der Sowjetunion.
Im alten Joggeli gewann der FCB dann vor 44000 Zuschauern nach Goals von Siegenthaler (48.) und Balmer (55.) für Rotblau sowie dem Anschlusstreffer von Chussainow (84.) 2:1 und qualifizierte sich damit für den Achtelfinal gegen Ajax Amsterdam. Es war dies der erste Erfolg des FCB auf europäischem Terrain. Später erleichterte das neue Medium Telex den Journalisten die Arbeit.
Die Stimmung im alten Stadion war selten aggressiv, dafür um einiges familiärer als jetzt. Die Journalisten durften nach Spielende des Öftern in den Kabinen ihre Befragungen durchführen, was mit gewissen Risiken und Gefahren verbunden war. So konnte es vorkommen, dass einem missliebigen Reporter die Schreibmaschine von Spielern versteckt (Roland Paolucci war so ein Spezialist), oder der Journalist von oben bis unten abgeduscht!
Auch nach dem Heimspiel gegen Ajax Amsterdam durfte in den Kabinen nachgefragt werden. Unvergesslich, wie nach dem Spiel der gemütlich eine Zigarette rauchende Johan Cruyff, frei von jedem Superstargehabe, geduldig als Auskunftsperson zur Verfügung stand. Basel verlor beide Spiele und schied europäisch aus.
So wurde der FCB unter Benthaus zum Basler Kulturgut
Weil damals die Gegentribüne und die heutige Muttenzerkurve nur mit Stehplätzen alimentiert waren, fasste das Joggeli um die 50000 Besucher (Cup-Halbfinal 1967 2:1 gegen Lugano). Legendär war der jeweils voll belegte Extrazug bei zu erwartendem Grossandrang, den die SBB jeweils als zusätzliche (gedeckte) Zuschauermöglichkeit auf ihrem Gleisfeld anbot und hoch über dem Geschehen gegenüber der Haupttribüne parkierte.
Helmut Benthaus dachte weit über seine Fussballwelt hinaus und war öfters in der Kulturszene unterwegs. Durch den befreundeten Theaterdirektor Werner Düggelin und andere Persönlichkeiten aus der Kunstszene wie Felix Handschin kam es zu einer Annäherung der FCB-Anhänger mit den einheimischen Kulturschaffenden und damit einer markanten Ausweitung des FCB-Beliebtheitsgrades auch in der elitären Gesellschaft. Volksnahe kulturelle Aktionen führten schon relativ schnell zu einer gegenseitigen Akzeptanz. Jetzt kamen auch die Jeansträger ins Theater, wie Düggelin freudig feststellen durfte und die Kulturszene näherte sich mit Riesenschritten dem vorher eher herablassend zur Kenntnis genommenen Volkssport Fussball zu. «Dasch Basel», wird im immer grösser werdenden FCB-Stammland diese landesweit einmalige Entwicklung kommentiert. Die beiden Halbkantone mit dem Basler- oder Rotstab im Wappen, deren Bürger sich sonst nicht so sehr mögen, hängen in der Region flächendeckend die FCB-Fahne an ihre Masten. Da sind sie, weit über die Region hinaus, vereint als Grossfamilie. Bewundert oder beneidet von der Restschweiz.
Diesen langen Weg durch die Generationen versucht die scheidende FCB-Leitung aus Anlass des 20. Meistertitels am 3. Juni mit einem fasnächtlichen Cortège aufzuzeigen. Auf der früheren Jubelroute durch die Freie Strasse zum Marktplatz, dann via Schifflände zurück zur stationären Festzone Barfüsserplatz. Angeführt wird der Cortège von der VKB. Tradition muss sein! Verteilt auf zehn nachfolgende Waggiswagen sind Spieler aus früheren und der jetzigen Meistermannschaften. Zahlreiche Überraschungsgäste sind angesagt. Abgeschlossen wird der Cortège durch die Guggenmusik Schotte-Clique.
* über den Autor
Willi Erzberger wurde 1933 in Basel geboren und wuchs im Gundeli auf. Er erlebte alle 20 Titel des FC Basel – die meisten davon als Reporter der «National-Zeitung» und später der «Basler Zeitung» im Stadion. Vor allem die Zeit unter Trainerlegende Helmut Benthaus verfolgte er aus nächster Nähe. Für die bz blickt er zurück auf die wilden Jahre des FC Basel.
2:1
So das Schlussresultat zwischen dem FC Basel und Spartak Moskau im Joggeli am 30. September 1970 (siehe Bild oben). Mit diesem ersten internationalen Erfolg sicherte sich der FCB das Weiterkommen im Europapokal der Landesmeister, nachdem man in Moskau noch 2:3 verlor. Im Achtelfinal des Champions-League-Vorläufers trafen die Basler auf das grosse Ajax Amsterdam und dessen Spielmacher Johan Cruyff.