Basler Zeitung vom 15.08.2017
16 Monate Gefängnis bedingt wegen eines Steinwurfs auf Polizeiauto
Von Daniel Wahl
Muttenz. Die Baselbieter Justiz setzt ein Zeichen gegen die FCB-Hooligan-Szene und demonstriert im Einklang mit der Bundesanwaltschaft, die kürzlich hart gegen einen Petardenwerfer vorging, dass man Gewalt im und ums Stadion künftig stärker bestraft. Konkret ist ein heute 20-jähriger Lehrling zu 16 Monaten Gefängnis bedingt verurteilt worden, der nach dem FCB–FCZ-Spiel im April 2016, im Mob vermummt, bloss einen einzigen Stein gegen ein Polizeiauto warf – Gefängnis für einen Steinwurf. Weitere Kollegen der Meute verwüsteten den Skoda mit Pyro und Vierkanthölzern, sodass der Kanton Baselland zuletzt einen Totalschaden von 92 000 Franken geltend machte.
Gefasst wurde der Jüngling als Einziger, weil er auf dem Stein seine DNA-Spuren hinterliess, was darauf hinweist, dass der Mann einschlägig bekannt und erfasst war. Die Erste Staatsanwältin, Angela Weirich, die ihn für diese Mittäterschaft beim Anschlag aufs Polizeiauto bereits sechs lange Wochen in Untersuchungshaft schmoren liess, verlangte 14 Monate Gefängnis bedingt.
In seinem Urteil verschärfte das Dreiergericht unter Vizepräsidentin Monika Roth die Strafe gar um zwei Monate. Und hätte das Baselbieter Tiefbauamt die Kosten des Totalschadens nicht nachlässig zusammengestellt (es wurde der Neuwert des Wagens in Rechnung gestellt), wäre er gestern dem Lehrling bereits am Strafgericht vollumfänglich aufoktroyiert worden. So aber verwies man die Forderung auf den Zivilweg, die der Lehrling solidarisch für seine unerkannt verbliebenen Hooligan-Kollegen berappen muss.
Als Gewalttäter wollte der Jüngling aus gut situiertem Elternhaus, der jetzt eine neue Lehre im Sozialbereich antritt, nicht klassifiziert werden. Er habe mit dieser Gruppe nichts zu tun gehabt, gab er vor und strich heraus, dass er als Naturschützer unterwegs war. Offenbar verhalfen ihm die Eltern zu einem Jahresaufenthalt auf der Pazifikinsel Galapagos zum Schutz der Schildkröten. Erstaunt nahm das Gericht zur Kenntnis, dass er in Untersuchungshaft von den Eltern die Biografie des Predigers der Gewaltlosigkeit, Mahatma Gandhi, zum Lesen bestellte.
Es sei eben nach dem Match vom 10. April 2016 «emotionale Reaktion» darauf gewesen, dass ein Polizist aus nächster Nähe auf der Plattform Gummischrot abfeuerte und ein Mann sein Augenlicht dabei verlor, begründete der Jüngling «seinen Fehler». Er habe sich mit einer Gruppe von 60 Personen vom Ort des Geschehens absetzen wollen und sich dann zum Steinwurf auf dem Parkplatz hinreissen lassen. Die Attacke mit Pyro habe er gar nicht erst mitbekommen. Er habe sich bereits vorher von der Gruppe getrennt.
Unglaubwürdig vor Gericht
Das Gericht kaufte ihm die Geschichte nicht ab. Zum einen geht man davon aus, dass der Mann vermummt war, was er in der ersten Einvernahme grundsätzlich eingestanden hatte. Und zum anderen sei der Stein auch bewusst aufgelesen worden, als die Meute aufs Polizeiauto zulief. «Ihnen war sonnenklar, um was es ging – um die Zerstörung eines Bullenautos; sie wissen, wie ihr Umfeld tickt», erkannte das Gericht ein «zielgerichtetes Vorgehen».
Zu Hause fand man Sturmhauben und die Muttenzer Jacke, die sich dazu eignet, sich zu vermummen. «Sie sind kein normaler Fan – sondern genau das, was wir unter einem Hooligan verstehen», sagte Monika Roth.
Weil der Mann an einer «Zusammenrottung mit friedensstörender Ausrichtung» teilnahm, wie es in der Anklageschrift heisst, kam der Strafartikel des Landfriedensbruchs zur Anwendung. Er macht es den Strafverfolgungsbehörden einfacher, einen Hooligan zu verurteilen, weil man von «konkludentem Verhalten» ausgehen darf – einvernehmlich einem Mob angeschlossen, ganz nach dem Motto: mitgegangen, mitgefangen. Obschon Sachschaden zweifelsfrei feststeht, geht das Gericht davon aus, dass er weit über 10 000 Franken liegt. Strafrechtlich bedeutet dies, dass dem Mann qualifizierte Sachbeschädigung angelastet werden muss, was mit ein bis fünf Jahren Gefängnis bestraft werden kann.
Reaktionen der Fans erwartet
16 Monate bedingt – die Verteidigerin, die Fan-Anwältin Manuela Schiller aus Zürich, gab sich nach der Urteilsverkündigung schockiert: «Wie wird man bestrafen, wenn in der Schweiz einmal wirklich Unruhen ausbrechen?», kritisierte sie das harte Urteil. Sie geht davon aus, dass die Fussballszene darauf negativ reagieren werde.
Dass der Mann nicht wirklich einsichtig sei, leitet das Gericht aus seinen «beschönigenden Geschichten ab» und aus den Sätzen seines Brief aus der Untersuchungshaft an die Eltern. Dort schrieb der Hooligan: «Ich merke, dass ich einen Fehler gemacht habe. Natürlich bin es nicht nur ich, sondern auch die Muttenzerkurve. Und auch die Polizei hat ihren Beitrag geleistet.»
Es war der letzte Satz, der aufgestossen ist, der, leider, zum Kulturverständnis bei einigen FCB-Fans gehört. Das hat Staatsanwältin Angela Weirich korrigiert und ist vom Gericht mehr als unterstützt worden. Ob es ein wegweisendes Urteil sei? «Vielleicht schon», sagt Weirich etwas bescheiden, «das Urteil müsste von weiteren nachfolgenden unterstützt werden, um dies wirklich beurteilen zu können.»