Basler Zeitung vom 17.08.2017
Staatsanwaltschaft klagt 16 Personen nach Kampfsport-Schlägerei in Reinach an – darunter FCB-Krawallmacher
Von Daniel Wahl
Muttenz. Endlich, ist man geneigt zu sagen, hat die Baselbieter Staatsanwaltschaft die Schlägertruppe um den Kampfsportler Paulo Balicha angeklagt. Über drei Jahre sind vergangen, seit dieser Clan den Kontrahenten in der Kampfsportszene, Shemsi Beqiri, und seine Brüder während eines Trainings mit Kindern und Jugendlichen in Reinach angegriffen und verletzt hat. «Die Strafuntersuchungen im Fallkomplex ‹Dojo› sind abgeschlossen; gegen 16 beschuldigte Personen wurde Anklage erhoben», teilte die Staatsanwaltschaft gestern mit. Vier bis zehn Täter sind bis heute unerkannt geblieben.
Den Beschuldigten wird je nach Schweregrad ihrer Mitwirkung mehrfache vollendete Körperverletzung, versuchte schwere Körperverletzung, Angriff, Freiheitsberaubung, Hausfriedensbruch, Nötigung und Vergehen gegen das Waffengesetz zur Last gelegt.
Motiv: Wirtschaftlicher Schaden
Die 64-seitige Anklageschrift der Baselbieter Staatsanwaltschaft gibt erstmals Einblick in das mutmassliche Motiv des Drahtziehers: Paulo Balicha habe die Absicht gehabt, seinem Erzfeind «grösstmöglich wirtschaftlich und sportlich und in seinem Ruf zu schaden». Zu diesem Zweck habe er beschlossen, seine Tat kurz vor einem bedeutsamen Wettkampf von Beqiri in Kroatien zu verüben. Balicha würde seinem Kontrahenten Verletzungen zufügen, sodass er nicht mehr in der Lage sein werde, den Wettkampf anzutreten. Was letztlich auch nach dem brutalen Überfall mit Schlagstöcken, Messern, Baseball-Schlägern und Pistolen der Fall war.
In der Absicht, Beqiri zu demütigen, wurde die Tat gefilmt. Im Tumult, als der Angegriffene die Oberhand gewann, liessen die Täter die Aufnahmen am Tatort liegen. Es war das Beweisstück erster Klasse.
Viele Täter sind im Umfeld der FCB-Hooligan-/Ultra-Szene rekrutiert worden, wie die Anklageschrift festhält. Man traf sich am 24. Februar 2014 um 18 Uhr auf dem Wolf vor dem Diamond Gym, um die Waffen, die Sturmhauben und die Aufgaben zu verteilen. In diversen Fahrzeugen fuhr die Schlägertruppe dann nach Reinach ins Kägenquartier, um das Superpro Sportcentrum von Beqiri zu stürmen.
Kinder in Todesangst
Der fallführende Staatsanwalt Daniel Fraefel hat gründliche Arbeit geleistet, wie aus der Anklageschrift hervorgeht. Jede Sekunde ist analysiert und aufgeführt, wer welchen Schlag ausgeführt hat, wie lebensgefährlich diese waren und wer welchen Anteil beigetragen hat. Jedenfalls war es ein heftiger Angriff, dem elfjährige Kinder unter Todesangst beiwohnen mussten: Schlagstöcke gingen in Brüche, ein Teleskop-Schlagstock hat sich unter der Wucht der Hiebe verbogen. Nachdem Shemsi Beqiri zur Überraschung des Überfallkommandos die Oberhand gewann, schritten Bandenmitglieder ein und droschen auf den Kampfsportler ein, bis dieser bewusstlos liegen blieb. Die höchste derzeit substanziierte Entschädigungsforderung macht Helvetia Versicherungen mit 377 667 Franken geltend.
52 Bundesordner, oder 32 000 Seiten Akten, umfasst die Strafuntersuchung gegen insgesamt 25 Personen. Die Staatsanwaltschaft geriet in Kritik, den Fall zum Mammut-Prozess aufzublasen. Nicht zuletzt, weil sie ihn nicht abschloss und die Täter nicht festsetzte, sondern nach «erneutem Delinquieren» die Untersuchungen ausweiteten.
Beschuldigte in weiteren Fällen
In der Anklageschrift zeigt sich nun, was mit «erneutem Delinquieren» gemeint ist: Bandenmitglied D. G. muss gemäss Anklageschrift bei den Ausschreitungen am 10. April 2016 auf der FCB-Plattform an vorderster Front mit dabei gewesen sein. Dort wurden Polizisten mit Verletzungen an Brust-, Hals- und Rückenwirbeln ins Bruderholzspital eingeliefert. Gegen Bandenmitglied A. G. bestand ein Stadionverbot in der ganzen Schweiz. Dennoch habe er bei einem FCB-Match in Winterthur mit 31 Personen Polizisten angegriffen. Dort wurden Schottersteine gegen die Beamten geworfen.
Zum skurrilen Nebenschauplatz in diesem «Fallkomplex Dojo», wie ihn die Staatsanwaltschaft nennt, gehört eine weitere Anklage wegen «falschen Zeugnisses». Ein Fitnesskunde in Balichas Diamond Gym wurde gefragt, ob er auch an der Überfall-Aktion teilgenommen habe. Aus Jux antwortete er per SMS sinngemäss: «Selbstverständlich mit Kapuze und Stock.» Worauf er ins Visier der Staatsanwaltschaft geriet und sich beklagte, dass er als offensichtlich Unbeteiligter nicht aus dem Verfahren entlassen würde.
Jetzt gibt die Anklageschrift Aufschluss, weshalb das so ist: Er stellte einem Haupttäter ein falsches Alibi aus. Ihm droht zwischen Geldstrafe und Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren alles. Die Strafanträge wird der Staatsanwalt an der Hauptverhandlung stellen; der Termin steht noch aus.