Presseschau

Basler Zeitung vom 21.11.2017

Fahnenraub: Eine Frage der Ehre

Für Fussballfangruppierungen ist es eine riesige Schmach, ihr Banner an den Gegner zu verlieren

Von Dina Sambar

Basel. Tödlich verwundet lag der Zofinger Schultheiss und Bannerträger Niklaus Thut 1386 im Schlachtgetümmel bei Sempach. Doch sein Banner sollten die Feinde, die Eidgenossen, nicht erhalten. Deshalb riss er, so besagt es die Legende, sterbend das Banner vom Stock und schluckte es. Drei Tage später sei das Banner im Magen seiner Leiche gefunden worden. Diese Heldentat bewahrte die Stadt Zofingen vor einer grossen Schmach. Niklaus Thut wurde zum Stadthelden, noch heute ist ein Platz nach ihm benannt.

Um Ehre und Schmach geht es auch beim Raub einer Fahne von gegnerischen Fussball-Fanclubs. «Eine Ultra-Fahne ist mit einer sehr grossen Symbolik behaftet und wird wie ein Augapfel gehütet», sagt Mämä Sykora, Chefredaktor des Fussballmagazins Zwölf. Ähnlich wie beim Kinderspiel «Fahnenraub», das jeder Pfadfinder kennt, versuchen die gegnerischen Gruppen einander die Fahne zu klauen. «Früher lief es meistens so, dass diese dann beim nächsten Spiel auf dem Kopf im eigenen Block präsentiert und danach zurückgegeben wurde», sagt Sykora.

Im Gegensatz zum Kinderspiel kann ein solcher Raub verheerende Folgen haben. 2011 zündeten GC-Fans gestohlene Fan-Utensilien des Stadtrivalen an, worauf einige FCZ-Fans durchdrehten. Einer warf gar eine brennende Pyro-Fackel mitten in die dicht gedrängten GC-Fans. Das Wissen um die möglichen Folgen mache das Fahnenklauen, so Sykora, für gewisse Leute umso spannender.

Es kann um Leben und Tod gehen

Solche extremen Reaktionen haben mit der emotionalen Bedeutung der Fan-Fahnen für die jeweilige Gruppierung zu tun. Nicht jeder darf in einer Fankurve eine Fahne aufhängen, sagt Sykora: «Eine Fangruppe muss sich dieses Privileg über Jahre verdienen – mit der Teilnahme an Auswärtsspielen und Choreografien. Das ist etwas Grosses. Deshalb ist die Schmach auch gegenüber den Fan-Gruppierungen desselben Vereins riesig.» Das bestätigt ein Fan aus der Muttenzerkurve, der selber einer solchen Gruppierung angehört: «In Basel dürfen nicht alle eine Fahne haben. Zudem überlegen es sich Fangruppierung immer sehr genau, ob sie tatsächlich eine wollen.» Diese Fahnen seien Unikate, die man, komme was wolle, verteidigen müsse. «Wenn man weiss, wie die Leute heute aufeinander losgehen, kann es tatsächlich um Leben und Tod gehen», so der FCB-Fan.

Man erwarte nun von den «Freaks Sion», denen die Fahne gehörte, dass sie sich auflösen. Laut Sykora gibt es jedoch keinen festgeschriebenen Kodex, nachdem eine geklaute Fahne das Ende einer Fan-Gruppierung sein muss. So hat sich beispielsweise der Fanclub von Bayern München, «Schickeria», nicht aufgelöst, nachdem Nürnbergfans seine gestohlene Zaunfahne in Stücke rissen. Eine der bedeutendsten Ultra-Gruppen Italiens, die «Fossa dei Leoni», Supporter des AC Milans, löste sich nach Unstimmigkeiten, bei denen auch entwendete Fahnen eine Rolle spielten, jedoch auf.

Von einer Tradition des Fahnenklaus zu sprechen, wäre dennoch übertrieben, sagt Sykora: «Da die Sektoren heute getrennt sind und die gegnerischen Fans kaum aufeinandertreffen, gibt es im Stadion sehr selten Gelegenheit, eine Fahne zu stehlen.» Zudem sei es bei Weitem nicht das Ziel aller Fans, ein gegnerisches Banner zu erbeuten: «Natürlich hatten einige FCB-Fans eine Freude an der Aktion. Doch es gibt nur wenige, die Spass daran haben, dies wirklich auch zu tun.»

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