St. Galler Tagblatt vom 09.12.2017
Ralf Streule
Überflieger · St.Gallen trifft heute auf Basel. Und damit auf Michael Lang, den Schweizer Fussballer der Stunde. Am Anfang der Karriere des Egnachers standen zerbrochene Vasen, zwei Armbrüche – und tadelnde Worte von Arno Del Curto.
Ralf Streule
Falls der FC Basel heute Abend gegen St.Gallen ins Tor trifft – was nicht allzu unwahrscheinlich ist – stehen die Chancen gut, dass der Torschütze eine St.Galler Vergangenheit hat. Albian Ajeti ist einer der Kandidaten. Seine Bilanz von drei Toren aus sieben Spielen wird aber von einem ehemaligen St.Galler Junior getoppt. Der Egnacher Michael Lang erlebt beim Meister seine bisher beste Zeit im Profifussball. Nach dem Treffer gegen Manchester United ist sein Bekanntheitsgrad auch international in die Höhe geschnellt. Die Uefa führt ihn unter den besten Spielern der Champions-League-Gruppenphase auf Platz sieben – vor ihm stehen Spieler wie Cristiano Ronaldo oder Neymar. Der Thurgauer erzielte zuletzt zudem sechs Tore in vier Spielen in Meisterschaft und Cup – eine «unheimliche Bilanz» für einen Aussenverteidiger, findet auch Trainer Raphael Wicky.
«Ich spielte als Kind lieber mit Kollegen als im Dorfverein»
Während der Egnacher durch die Super League tanzt, ist ein Blick zurück auf Langs Zeit in der Ostschweiz angebracht – als noch in den Sternen stand, ob aus dem grossen Talent ein grosser Fussballer werden würde. Im Meisterjahr 2000, mit neun Jahren, nahm der heute 26-Jährige in St.Gallen am «Tag der Jugend» teil, einem Probetraining für Talente. Zuvor war er nur im eigenen Garten und auf Pausenplätzen als Fussballer aktiv gewesen – in heutigen Zeiten der Frühförderung kaum mehr denkbar. «Ich spielte als Kind einfach lieber mit Kollegen, als wöchentlich zweimal mit einem Dorfverein zu trainieren», erklärt Lang. Den Verantwortlichen des FC St.Gallen fiel er im Probetraining dennoch schnell auf. «Körperlich und mental war er allen zwei Jahre voraus», sagt Jost Leuzinger, der ehemalige FC-St.Gallen-Spieler, der damals die U15-Auswahl der Ostschweiz betreute.
An die Kinderjahre erinnert sich sein um ein Jahr jüngerer Bruder Christian, heute Leiter des CAS Sportmanagement an der Universität St.Gallen. Auch er war Fussballer, schaffte es bis in die U21 St.Gallens unter Giorgio Contini, musste sich dann aber eingestehen, dass er höchstens «als mittelmässiger Challenge-Spieler» enden würde. Er erzählt vom «mätschle» auf dem Pausenplatz, als beide Langs eine gute Figur machten. «Er war noch besser als ich», sagt Christian Lang und lacht. Er spricht auch von all den Vasen, die im Hause Lang beim Stoffballtschutten zu Bruch gingen. Zu Bruch ging auch der Arm des heutigen Spitzenspielers. Zweimal. Einmal, als sich Michael als Torhüter versuchte. Eine mögliche Goaliekarriere sei mit jenem Armbruch abrupt gebremst worden, sagt Bruder Christian heute. Tatsächlich sei er damals gerne und oft im Tor gestanden, bestätigt Michael Lang. «Irgendwann merkte ich: Das Schiessen liegt mir besser.» Früh habe sich Michaels Zielstrebigkeit gezeigt, sagt Christian – unterstützt wurde diese von den Eltern. In einem Elterngespräch über Michaels schlechte Zeichnungsnoten sei von Vater Lang einst der Spruch gefallen: «Die einen haben es in den Händen, er hat es in den Füssen.» Und im Kopf – das zeigte sich während Langs strukturierter Karriere später immer deutlicher.
Lange Diskussionen um die Aussenverteidigerposition
Leuzinger erzählt eine Episode, die seiner Meinung nach beim jungen Michael einen bleibenden Eindruck hinterliess. Die U15-Auswahl war bei Arno Del Curto zu Gast. Der Eishockeytrainer sprach über Spitzensport. Als der 14-jährige Lang mit dummen Bemerkungen auf sich aufmerksam machte, stellte ihn Del Curto in den Senkel. «Ich wollte cool sein vor meinen Kollegen – eine typische Phase halt als Teenager», erinnert sich Lang. Das Stücklein Unverfrorenheit sei aber auch ein wichtiger Teil gewesen für seine Karriere. «Frech sein hilft oft.»
Das Super-League-Début feierte Lang mit 16 Jahren, 2007 unter Rolf Fringer. Schnell habe man gespürt, dass Lang ein gesundes Selbstbewusstsein habe und es weit bringen könne, sagt der Trainer. Er erzählt von den langen Positionsdiskussionen, die er mit Michael und dessen Vater geführt habe. Lang sah sich im defensiven Mittelfeld oder als Innenverteidiger – Positionen, welche sogar vertraglich festgelegt waren. Fringer sah ihn aber als Aussenverteidiger – zumal Lang zu jener Zeit nur auf dieser Position Chancen auf einen Super-League-Einsatz hatte. Jene Momente seien für Lang sehr typisch gewesen, sagt Fringer. «Er kämpfte für seine Meinung, machte seinen Job dann aber ohne Widerwillen.» An dieselben Diskussionen erinnern sich Contini und René Weiler, unter denen Lang in der U21 gespielt hatte. Und selbst noch Jeff Saibene, der bei seiner Ankunft 2011 auf ihn setzte. «Ich muss heute schmunzeln, wenn ich ihn in der Champions League als Aussenverteidiger spielen sehe», so Saibene.
Weiler ist überzeugt, dass dem polyvalenten Lang auch im Mittelfeld eine Karriere gelungen wäre, dass ihm aber der moderne Fussball entgegenkam, in dem von Aussenverteidigern mehr Spielintelligenz und Technik gefordert wird. In St.Gallen folgten auf Fringer und Krassimir Balakow bald Uli Forte, dann Saibene. Und wohl wäre Lang noch länger in St.Gallen geblieben, wäre 2011 nicht der Abstieg dazwischen gekommen. Lang weinte damals bittere Tränen – und wechselte kurz darauf zu den Grasshoppers. Ein Entscheid, der seinem Bruder sehr schwer gefallen sei, erinnert sich Christian Lang. Und Michael ist sich bewusst: «Es war aus St.Galler Sicht ein unpopulärer Wechsel.» Letztlich aber wird sein zielstrebiger Weg – bis hinein ins Nationalteam – durchwegs gelobt. «Er wartete immer auf den richtigen Moment», sagt sein einstiger St.Galler U15-Trainer Hanspeter Krüsi. Dabei habe ihm auch «das gute Elternhaus und ein klarer Kopf» geholfen. So habe er technisch und mental überall und immer Fortschritte gemacht – «bis heute». Die «gescheiten Tore» für Basel seien deshalb kein Zufall. Ob ein nächster Wechsel angebracht ist? «Unbedingt», sagt René Weiler. Ein Wechsel ins Ausland – sei es auch nicht die Topadresse – passe zum Weg Langs. Dies sieht der Nationalspieler selber zurückhaltender: «Ich bin sehr glücklich in Basel. Es gibt keinen Grund, auf einen Wechsel zu drängen.» Auch wenn komplette Aussenverteidiger sogar international Mangelware sind.