SonntagsZeitung vom 18.03.2018
Die Krise des FC Basel hat ihre Logik – sie wurde zum Teil bewusst in Kauf genommen
Florian Raz
Basel Es ist nicht so, dass das alles völlig überraschend kommen würde. Es war von Anfang an ein faszinierendes Wagnis, in das sich der FC Basel im letzten Frühjahr gestürzt hat: neuer Besitzer, neue Führung, neuer Trainer, neues Konzept. Und nun braucht der Serienmeister ein Wunder, um die Saison noch mit einem Titel abschliessen zu können. Die derzeitige Krise kommt dabei nicht einfach aus dem Nichts. Gewisse Risiken hat die frische Crew bewusst in Kauf genommen, als sie dem FCB ein neues Konzept verpasst hat. Dazu kommen einige Fehleinschätzungen. Die Probleme des FC Basel, veranschaulicht an sechs Zitaten.
Die Super League ist gelähmt von einem drückend überlegenen FCB, als die zukünftige Basler Führungsriege im April 2017 ihr Konzept der Öffentlichkeit vorstellt. Doch nicht nur die restliche Schweiz droht das Interesse an der nationalen Meisterschaft zu verlieren. Auch in Basel sind auf dem Weg zum achten Titel in Serie deutliche Ermüdungserscheinungen zu erkennen. Es kommt darum gut an, als der kommende Besitzer Bernhard Burgener und der designierte Sportchef Marco Streller davon sprechen, vermehrt junge Spieler aus dem eigenen Nachwuchs einbauen zu wollen und gleichzeitig das Kader zu verkleinern. Was soll dabei schon gross schiefgehen?
Nur wenigen ausser Streller dürfte dabei bewusst sein, wie stark diese Ankündigung mit der herrschenden Transferpolitik bricht. Zuvor hat der FCB unter dem Druck, immer wieder Meister werden zu müssen, praktisch nur noch Nationalspieler verpflichtet. Erste Folge der neuen Strategie: Im Sommer kommen mit Ricky van Wolfswinkel und Dimitri Oberlin vorerst nur zwei Neue ins Team, die nicht aus dem eigenen Nachwuchs stammen. Es ist eine optimistische Kaderplanung, die mehrfach korrigiert werden muss.
Die Begeisterungsfähigkeit ist eine seiner Stärken. Aber ein klein wenig verwundert es schon, mit welchen Ehren Sportchef Streller seine ersten Zugänge in Basel begrüsst. Beide werden den Vorschusslorbeeren nur teilweise gerecht.
Van Wolfswinkel trifft zwar regelmässig, ehe er sich den Mittelfuss bricht. Aber schon vor seiner Verletzung ist er nie der ins Spiel eingebundene Angreifer, den Streller angekündigt hat. Schiesst er keine Tore, ist der Holländer fast unsichtbar – so er nicht gerade einen Penalty übers Tor pfeffert.
Oberlin seinerseits begeistert mit seiner Geschwindigkeit in der Champions League, kommt aber in der Liga kaum zur Geltung. Dafür ist er zu wirr in seinen Aktionen. Fünf Millionen soll der FCB an Salzburg überweisen müssen, will er Oberlin definitiv übernehmen. Ob er den Baslern wirklich diese Summe wert ist, dürfte aufgrund seiner Leistungen in der Liga offen sein.
Der Sturm ist die einzige Position, auf der Streller nach seinem Amtsantritt eingreifen kann, weil bloss die beiden bisherigen Angreifer Mark Janko und Seydou Doumbia auslaufende Verträge haben. Zehn Millionen Franken bewilligt Präsident Burgener, um drei Stürmer zu verpflichten.
Der Angriff ist auch jene Position, an der Streller bis weit in den Herbst hinein herumbastelt und ausbessert. Weil die Mannschaft schon im Spätsommer in ihre erste Schaffenskrise gerät, rufen die Basler erst Cedric Itten aus Luzern zurück, danach verpflichten sie sehr spät Albian Ajeti. Das alles ändert nichts daran, dass der aktuelle FCB-Topskorer Van Wolfswinkel in der Super League erst sieben Tore auf seinem Konto hat – drei davon per Elfmeter erzielt. 2009, als der Basler Sturm das letzte Mal derart impotent war, endete die Meisterschaft auf Rang drei. Von 2010 bis 2017 kam der beste Basler Torschütze nach 24 Runden jeweils auf 12 bis 16 Ligatreffer.
Dass mit Itten der erfolgreichste Basler Stürmer des Jahres 2018 seine vier Tore für St. Gallen erzielt hat, zwei gegen Basel, ist so etwas wie das ironische i-Tüpfelchen auf die FCB-Transfers im Offensivbereich.
«Für immer Rot-Blau» heisst das Konzept, mit dem Bernhard Burgener sein Amt als FCB-Präsident antritt. Und der Unternehmer ist einer, der seinen Plänen gerne treu bleibt, indem er sie mit dem Rechenschieber kontrolliert. Das führt dazu, dass der FCB unter seiner Führung auf dem Transfermarkt bislang fast verbissen lokalchauvinistisch auftritt. Mit Ajeti, Itten, Samuele Campo, Fabian Frei, Valentin Stocker und Mirko Salvi werden sechs ehemalige FCB-Spieler wieder nach Hause geholt. Damit wird die vom Präsidenten geforderte Basler-Quote erfüllt. Das ändert aber nichts daran, dass die angekündigte Nachwuchsoffensive vorerst stockt. Von den jungen Eigengewächsen kommt nur Raoul Petretta (20) in die Nähe eines Stammplatzes.
Problematischer ist aber, dass das eigene Publikum bislang reichlich zurückhaltend auf die Rückbesinnung auf regionales Schaffen reagiert. Es reicht nicht, in der Nordwestschweiz geboren zu sein, um zum Lokalhelden zu werden. Dazu muss einer schon auch noch überdurchschnittlich gut spielen.
Es ist von Anfang an klar, wo der neue FCB seinen Schwerpunkt setzt: in der Champions League. Dort, wo dem FCB in den letzten zwei Saisons keine Exploits gelangen. Darum muss Trainer Urs Fischer als Doublegewinner abtreten. Deswegen wird bei der Kaderzusammenstellung auf Spieler mit Tempo geachtet. Darum wird mit Raphael Wicky ein Trainer eingestellt, der ein schnelles Umschaltspiel verspricht.
Das Ziel wird erreicht. Der Überfallfussball überrumpelt die Gegner in der Champions League. Hier kommen Oberlins Qualitäten zum Tragen; und der FCB spielt international eine überragende Saison mit fünf Siegen in acht Begegnungen.
Die Kehrseite der Medaille: Gegen tief stehende Gegner der Super League fehlen dem neuen Basler Spiel öfter die nötigen Räume. Und einige Leistungsträger wie etwa Mohamed Elyounoussi kommen anscheinend nur dann auf Touren, wenn die Sterne der Champions League verführerisch blinken. Kein Zufall, fällt die beste Basler Phase mit der Gruppenphase der Königsklasse zusammen. Hier holt sich die Mannschaft Selbstvertrauen – und alle wollen sich in der Liga für das nächste Spiel auf der ganz grossen Bühne empfehlen. Folgerichtig zeigt Basel sein bestes Spiel 2018 auswärts gegen Manchester City.
Der harte Fan bekommt ja bereits Haarausfall, wenn er nur schon hört, dass er als «Kunde» bezeichnet wird. Und das tut Bernhard Burgener regelmässig. Dass der FCB-Präsident dann auch noch beschlossen hat, mehrere Gamer unter Vertrag zu nehmen, um mit dem FCB im E-Sports Fuss zu fassen, nimmt ihm ein grosser Teil der Muttenzerkurve richtig übel.
Was wie ein Streit um eine völlige Nebensächlichkeit wirkt, gründet tiefer: Hier stehen die Traditionalisten unter den treuen Anhängern, dort sitzt der Clubbesitzer, der sich als Unternehmer sieht und deswegen weiter an der Kommerzialisierungsschraube dreht: Noch ist es nicht zum Bruch gekommen. Aber die enge Beziehung zwischen Führung und Fans, eine der Stärken des Clubs unter Burgeners Vorgänger Bernhard Heusler, droht verloren zu gehen.
Was den Trainer wohl reitet, als er vor dem Rückrundenstart diese Aussage tätigt? Er steht damit jedenfalls stellvertretend für einen FCB, der sich nach der Winterpause extrem selbstbewusst gibt. Ganz so, als sei es kein Problem, dass er im Winter elf Veränderungen im Kader vorgenommen hat. Vor allem gehen Innenverteidiger Manuel Akanji und Flügel Renato Steffen. Dafür kommen die beiden Bundesliga-Rückkehrer Fabian Frei und Valentin Stocker. Das schüttelt das Gefüge in der Mannschaft nachhaltiger durcheinander, als das der FCB zunächst erkennen will.
Es ist die letzte und vielleicht folgenschwerste Fehleinschätzung der neuen Basler Führungskräfte, die in ihrer ersten Saison einiges an Lehrgeld bezahlen. In der kommenden Saison können sie beweisen, was sie daraus gelernt haben.