Basler Zeitung vom 31.10.2018
Beim FCB sind sie Freunde geworden – heute sind Davide Callà und Luca Zuffi in ihrer Winterthurer Heimat Gegner
Von Oliver Gut, Tilman Pauls und Florian Bärtschiger (Fotos), Winterthur
Luca Zuffi kennt Winterthur. Und er kennt auch die neue Migros. Doch das «Stricker’s» gleich daneben, das kennt der Profi des FC Basel noch nicht. Davide Callà, der dieses Lokal unweit des Stadions Schützenwiese für das Gespräch mit der
BaZ
vorgeschlagen hat, freut dies hörbar. Er zieht Zuffi damit auf – fast so, als sei er noch vor dem Anpfiff des grossen Duells bereits mit 1:0 in Führung gegangen.
Zum vierten Mal seit 2012 empfängt der FC Winterthur heute den FC Basel im Schweizer Cup. Davide Callà und Luca Zuffi haben das schon erlebt – aber noch nie sind sich dabei gegenübergestanden. Vier Jahre lang spielten die zwei Winterthurer gemeinsam für den FCB. Vier Jahre lang waren sie dabei in Rheinfelden Nachbarn. Und nun, da Callà in die Heimat zurückgekehrt ist, sind die Freunde plötzlich Gegner.
BaZ:
Luca Zuffi, warum gewinnt der FC Basel gegen den FC Winterthur?
Luca Zuffi:
Weil wir der Favorit sind. Trotz der Situation, in der wir sind. Als FCB geht man immer mit der Erwartung ins Spiel, zu gewinnen. Natürlich gilt das vor allem auch gegen einen unterklassigen Verein.
Und Davide Callà entgegnet an dieser Stelle natürlich, dass der FC Winterthur am Mittwoch trotzdem gewinnt, oder?
Davide Callà:
Von zehn Spielen gegen die Basler haben wir neun Mal keine Chance; mindestens. Aber meine Hoffnung ist, dass für den FCB alle guten Dinge drei sind und wir das vierte Duell gewinnen.
Was lässt Sie daran glauben?
Callà:
Es muss eine ganze Menge für uns zusammenkommen: ein frühes Tor, ein bisschen Glück – und Lüx muss seinen linken Fuss zu Hause lassen. Aber auch die letzten Spiele waren oft nicht so eindeutig, wie es die Ergebnisse vermuten lassen.
Liegt das auch daran, dass der FC Winterthur eine spezielle DNA hat? Eine Eigenschaft, die den Club auszeichnet, ganz egal, wer auf dem Platz steht?
Zuffi:
Sie haben immer einen guten Assistenztrainer (lacht).
Callà:
Das kann ich bestätigen, Dario Zuffi ist der Beste!
Zuffi:
Und die Mannschaften des FCW glauben immer daran, die Überraschung zu schaffen. Das war schon so, als ich hier gespielt habe. Und dann ist da natürlich das Stadion: Die Zuschauer stehen ganz nah am Spielfeld und unterstützen ihr Team. Das macht es für keinen Gegner einfach.
Kann das eine Mannschaft wie den FCB ernsthaft aus dem Konzept bringen?
Callà:
Ich hoffe es. Aber es gibt viele Spieler, die bereits hier gespielt haben. Und auch die anderen werden kaum vor Ehrfurcht erblassen.
Bleibt Winterthur im Duell gegen den FCB also nur der Kampf?
Callà:
Unser Plan ist, dass wir sie fein von hinten heraus ausspielen (lacht). Nein, im Ernst: Wir müssen die Kirche im Dorf lassen, das ist immer noch der FCB, von dem wir hier sprechen. Wenn wir das Gefühl haben, wir können für die Galerie spielen, dann laufen wir böse in eine Wand. Aber klar, in Sachen Einsatz und Leidenschaft müssen Sie sich keine Sorgen um uns machen. Das ist unsere Chance.
Beim FCB war die fehlende Leidenschaft zuletzt ein grosses Thema. Wie erleben Sie diese Diskussion?
Zuffi:
Leidenschaft sollte immer die Voraussetzung sein, egal in welchem Spiel und egal bei welchem Gegner. Es muss sich jeder Spieler fragen, ob er zuletzt immer alles gegeben hat.
Selbst Trainer Marcel Koller hat die mangelnde Einstellung kritisiert, besonders nach dem Spiel gegen Xamax.
Zuffi:
Das mag einer der Gründe für das Unentschieden gewesen sein. Ich denke aber eher, dass uns die Konstanz fehlt. Jetzt, wo auf ein gutes Spiel immer ein schlechtes folgen kann, werden uns von aussen fehlende Emotionen vorgeworfen.
Wie sehr verfolgen Sie den FCB noch?
Callà:
Ich fiebere generell mit dem FCB mit; auch wenn ich nicht jedes Spiel sehen kann. Aber ich schaue mir die Zusammenfassung an oder lese Ihre Analysen in der Zeitung.
Wie fällt die Analyse zu Ihrem ehemaligen Club denn aus?
Callà:
Ich habe das Gefühl, dass Basel und YB die Rollen getauscht haben. Nehmen Sie nur das letzte Wochenende: YB liegt gegen Sion 0:2 hinten und gewinnt in der Nachspielzeit 3:2. Das war ein Spiel, wie wir es vor zwei, drei Jahren gewonnen haben. Weisst du noch, Lüx? Wir liegen hinten, dann kommt Janko, dann kommt Steffen, und – zackzack! – schiessen wir kurz vor Schluss die entscheidenden Tore.
Warum hat der FCB diese Fähigkeit Ihrer Meinung nach verloren?
Callà:
Das hat sicher auch damit zu tun, dass beim FCB in dieser Saison viel Unruhe herrscht. Man hat nach langer Zeit mal wieder einen Trainer während der Saison entlassen, das gab es ja seit Heiko Vogel nicht mehr. So was geht auch an den Spielern nicht spurlos vorbei. Und YB auf der anderen Seite konnte fast die ganze Mannschaft zusammenhalten.
Es ist für Sie also keine Frage von mangelnder Qualität des Kaders?
Callà:
Ich finde immer noch, dass der FCB Spieler mit unglaublichen Qualitäten hat. Einer davon sitzt ja hier.
Zuffi:
Jetzt hör aber auf (lacht).
Callà:
Aber mir fehlen in gewissen Momenten die Typen, die zur Stelle sind, wenn es zählt. Aktuell hängt es immer an den gleichen Spielern. Und wenn Lüx mal nicht seinen besten Tag hat oder Fabian Frei oder Albian Ajeti sich vorne nicht durchsetzen kann, wird es gleich schwierig.
Wollen Sie widersprechen, Luca Zuffi?
Zuffi:
Er hat es ziemlich gut auf den Punkt gebracht. Was dazu kommt, ist die aktuelle Tabellensituation: Wenn du mit 10, 15 Punkten an der Spitze stehst, fällt dir alles einfacher. Du darfst dann ein Spiel gewinnen, musst aber nicht unbedingt. Wenn du aber eh schon hinterherhinkst …
Callà:
Das haben die Gegner des FCB jahrelang erleben müssen. Wenn wir in der letzten Minute noch ein Spiel gedreht haben, dann haben sich die in Bern doch auch jedes Mal gedacht: Das gibts doch nicht.
Was bedeutet die aktuelle Lage des FCB für die Begegnung in Winterthur? Es gab sicher schon weniger wichtige Cup-Achtelfinals als diesen.
Zuffi:
Na klar. Wir wollen unbedingt weiterkommen.
Ist das für Winterthur ein Vorteil, wenn der Druck in Basel so hoch ist?
Callà:
Die Konstellation ist sicher ungewohnt: Früher ist der FCB immer als souveräner Leader in der Liga in die Achtelfinals gegangen. Aber ein angeschlagener FCB ist noch gefährlicher. Die werden uns sicher nicht unterschätzen. Oder, Lüx?
Zuffi:
Die Bedeutung des Cupspiels ist sicher noch grösser, weil wir europäisch nicht vertreten sind. Sonst waren wir in dieser Phase oft in drei Wettbewerben dabei, und die Spiele im Cup wurden genutzt, den einen oder anderen Spieler zu schonen.
Callà:
Das wird dieses Mal sicher nicht passieren. Ihr kommt doch sicher mit der Topelf.
Zuffi:
Das siehst du dann.
Es wird also nicht mehr passieren, dass der FCB gegen Winterthur spielt und Luca Zuffi nur auf der Bank sitzt?
Callà:
Was? Du hast nicht gespielt? Wann war das? Unter Paulo Sousa?
Zuffi:
Ja. Es war ausgerechnet mein erstes Spiel gegen Winti.
Callà:
Stimmt, da haben wir mit Diaz und Elneny gespielt, oder?
Zuffi:
Ich glaube schon. Aber ich habe ja im Halbfinal unter Urs Fischer dann für den FCB auf der Schützi gespielt. Ich habe die Situation also schon auf zwei Seiten erlebt, ein Mal für Winterthur und ein Mal für den FCB.
Für Callà kommt es zu einer Premiere.
Callà:
Genau. Ich bin jahrelang immer nur als Gegner auf die Schützi gekommen. Jetzt bin ich hier zu Hause und freue mich darauf, es mal von der anderen Seite zu erleben.
Wie speziell ist es, dass es ausgerechnet der FC Basel ist und nicht GC oder der FC St. Gallen?
Callà:
Das ist ein Traumlos. Jetzt treffe ich auf all die Vögel, mit denen ich vor ein paar Monaten noch zusammengespielt habe – wobei, eigentlich habe ich ja nur noch mit ihnen trainiert (lacht). In meiner letzten Saison habe ich ja sportlich keine Rolle mehr gespielt. Ich wusste ja schon im Januar, dass ich nicht einmal für Testspiele gebraucht werde. Ins Wintertrainingslager nach Marbella hätte ich eigentlich statt der Kickstiefel nur die Ausgangsschuhe mitnehmen können.
Ihre beiden Handys standen nach der Auslosung sicher nicht still, oder?
Zuffi:
Nach der Auslosung hat mein Vater mir geschrieben: Na, habt ihr schon Angst? Da habe ich erst gedacht, es sei nur ein Witz.
Callà:
Das war bei mir ähnlich. Erst habe ich gedacht, in unserer Winti-Whatsapp-Gruppe hätte einer ein lustiges Video rumgeschickt. Aber dann sind noch unzählige SMS von den ehemaligen Kollegen eingetroffen. Da wusste ich, dass es ernst wird, dass ich ein paar Tickets brauche.
Zuffi:
Jetzt sitzt du ja direkt an der Quelle.
Callà:
Stimmt, jetzt muss ich Gusti Nussbaumer nicht mehr auf die Nerven gehen. Beim letzen Mal haben Lüx und ich uns aufgeteilt: Er ist über Dario gegangen, und ich habe Gusti so lange bearbeitet, bis ich alle Tickets hatte. Jetzt ist es umgekehrt.
Wann haben Sie beide sich denn nach der Auslosung erstmals geschrieben?
Zuffi:
Das ging auch ziemlich schnell.
Callà
: Wir hören und sehen uns auch sonst regelmässig. Unsere Frauen verstehen sich gut und darum besuchen wir uns häufig, wenn ich mal wieder in Basel bin oder Lüx in Winterthur. Da ist es doch klar, dass wir uns gleich geschrieben haben.
Seit wann ist Ihre Beziehung so eng? Seit Sie in Rheinfelden Tür an Tür nebeneinander gewohnt haben?
Zuffi:
Ja, dort haben wir uns trotz der riesigen Distanz kennengelernt.
Callà:
Ja, unsere Wohnungen waren sicher 20 Meter voneinander entfernt. Ich bin ja ein halbes Jahr vor Lüx nach Basel gekommen, und als ich gehört habe, dass er zum FCB wechselt, habe ich ihm gesagt, dass es neben mir noch freie Wohnungen gibt. Daraus hat sich ergeben, dass wir uns spontan getroffen haben. Und manchmal haben wir Manuel Akanji zum Winterthur-Grill bei uns eingeladen.
Dann gab es also auch die Winterthur-Fahrgemeinschaft Callà/Zuffi?
Callà:
Die gab es nur sehr selten. Ich habe nach dem Training immer viel zu lange beim Duschen gebraucht. Sie können sich nicht vorstellen, wie schnell Lüx nach dem Training ist. Selbst wenn ich mich richtig beeilt habe, war er schon längst fertig und auf dem Heimweg.
Ihre Geschwindigkeit beim Duschen hat ja sicher damit zu tun, dass Sie immer so viel reden, Davide Callà. Da ist der stille Luca Zuffi natürlich schneller. Was muss geschehen, damit Davide Callà mal die Klappe hält und still ist?
Zuffi:
Das hat es in den letzten fünf Jahren nie gegeben.
Callà:
Da hätte er mich schon mal schlafend erwischen müssen.
Zuffi:
Es kommt schon mal vor, dass Callüz ruhig ist – aber selten. Und ja, wir vermissen seine Sprüche schon ein bisschen in der Kabine. Lauter ist es jedenfalls nicht geworden.
Und was braucht es, damit Luca Zuffi einem so richtig auf die Nerven geht?
Callà:
Nerven kann Lüx nicht. Aber ich sage Ihnen etwas: Er kann sehr lustig sein. Die ruhigeren Typen sind gefährlich: Wenn die einen Spruch bringen, dann treffen sie meistens ins Schwarze. Ich denk dann oft: Das hätte ich von Luca nie erwartet!
Aber Feinde hat Luca Zuffi keine, oder?
Callà:
Wie denn? Luca haben alle sooo gern … Der wird auch hier wieder von den Fans gefeiert, wenn er mit dem FCB gegen uns antritt. Zuffi, der Name ist Programm. Der wird doch nicht mal in Bern ausgepfiffen.
Das passiert Ihnen schon eher.
Callà:
Mir? Fragen Sie mal die FCB-Spieler, die haben alle immer schon gelacht, wenn wir in St. Gallen waren.
Zuffi:
Es war schon fast gespenstisch ruhig, als wir das letzte Mal ohne Davide in St. Gallen gespielt haben.
Callà:
Valentin Stocker hat im letzten Frühling mal zu mir gesagt: Ich fände es schön, wenn du auch nach St. Gallen mitkommst. Dann kannst du mich ablösen, wenn es darum geht, bei wem die gegnerischen Fans pfeifen. Aber ich weiss, dass ich mit meiner Art nicht nur Freunde habe. Doch wer hat das schon – ausser Luca Zuffi?
Es gibt aber auch Gemeinsamkeiten: Als Sie jeweils nach Basel kamen, fragten sich viele, ob Sie dem FCB helfen werden. Geholfen haben Sie beide – und doch hat man bei Ihnen beiden das Gefühl, Ihr Wert sei bis heute unterschätzt worden.
Zuffi:
Da besteht eine Gemeinsamkeit. Bei mir beruht das wohl darauf, dass ich ein ruhiger Typ bin – bei Davide, weil er nicht immer zum Einsatz kam und man von aussen eine Mannschaft fälschlicherweise gerne in Stamm- und Ersatzspieler aufteilt.
Davide Callà, was wird an Luca Zuffi am meisten unterschätzt?
Callà:
Seine Konstanz. Es ist zwar bekannt, dass er diese hat. Aber es wird zu wenig geschätzt, wie wichtig das ist. Luca spielt nicht für die Galerie. Aber er spielt immer und bringt so gut wie immer seine Leistung – und zwar ganz egal, ob auf der Schützenwiese oder im Santiago Bernabéu. Er kann auf jedem Niveau seine Fähigkeiten abrufen, seine Pässe schlagen, zu Toren beitragen. Den kannst du blind bringen. Ich war immer schon der Meinung, dass er für die Schweizer Nationalmannschaft wichtiger sein sollte. Und ich denke, ausländische Clubs täten gut daran, ihn zu beobachten. Ihn könnte ich mir gut in Italien vorstellen. Da wäre er auch nicht so weit weg von Winterthur. Und er müsste in diesem Fussball auch nicht der Schnellste sein (lacht).
Luca Zuffi, was wurde an Callà unterschätzt, als er beim FCB war?
Zuffi:
Es ist nicht unähnlich. Wir in der Mannschaft wussten immer, dass er wichtig ist. Denn auch wenn er zwischendurch nur zuschaute, so konntest du ihn doch zu jedem Zeitpunkt gefahrlos einsetzen. Und egal, wie schwierig eine Phase war: Mit seiner Art und seiner Erfahrung vermochte er in der Kabine immer positiven Einfluss auszuüben.
Was hätten Sie gerne von ihm?
Zuffi:
Als Fussballer seine Lobs. Als Mensch seine Persönlichkeit. Es gibt nicht viele, die dieses gewinnende Wesen haben, das sich derart positiv auf das Gegenüber auswirkt.
Und umgekehrt?
Callà:
Mir würde es sicher nicht schaden, wenn ich ab und zu die Ruhe und Gelassenheit von Lüx hätte … Und dieses linke Zauberfüsschen, diese Standards, sind gewiss Dinge, die ich nur bewundern kann.
Ebenfalls gemein ist Ihnen Ihre Winterthurer Herkunft. Doch wer ist der bessere Winterthurer?
Zuffi:
Der bessere Winterthurer?
Callà:
Den besseren Winterthurer gibt es nicht. Wir sind beide waschechte Winterthurer. Den einzigen Vorteil, den ich habe, ist der, dass ich ein Stück älter bin und etwas mehr Zeit in Winterthur verbringen konnte. Dieses Lokal, in dem wir sind, hat Lüx ja schliesslich vorher nicht gekannt …
Zuffi:
… zumal ich ja erst als Achtjähriger nach Winti gekommen bin, weil ich vorher in Basel gelebt habe.
Callà:
Dafür weiss Luca viel mehr, was es heisst, für den FCW zu spielen. Ich war nur von 15 bis 17 im Club und habe erst jetzt meine ersten Spiele für die 1. Mannschaft gemacht. Ich war bei anderen Quartiervereinen, auch ein Jahr beim FCZ und kam schliesslich via Wil in den Profifussball.
Bei Ihnen hingegen gab es viele Jahre lang nur den FCW.
Zuffi:
Das ist richtig. Da mein Vater ja von Basel zu Winti wechselte, war das ab acht Jahren auch mein Club. Ich nahm hier sämtliche Stufen, bis ich in der Challenge League spielte und dann von Thun die Chance erhielt, in der Super League Fuss zu fassen.
Callà:
Lüx ist viel mehr FCW als ich … Dafür war ich mehr in Winterthur im Ausgang (grinst). Aber das hat auch seine Logik. (Zu Zuffi) Du trinkst ja kein Bier, oder?
Zuffi:
Jedenfalls selten.
Callà:
Eben! Und ich trink natürlich … (lacht) … viel Bier. Wir sind schliesslich gemäss dem
Blick
in der Bierhauptstadt der Schweiz. Offenbar hat Winterthur landesweit die grösste Dichte an kleinen Brauereien.
Wie ist es eigentlich, unter dem besten Assistenztrainer der Welt zu spielen?
Callà:
Fantastisch! Wirklich! Dario Zuffis Passübungen sind sensationell, so etwas habe ich in meiner ganzen Karriere noch nicht gesehen. Nach dem Training notiere ich mir immer, was wir gemacht haben, falls ich mal Trainer werde. Und auch sonst finde ich ihn stark. Er verlangt viel Qualität. Aber er ist ähnlich wie sein Sohn ein ruhiger, entspannter Typ. Dass Dario in Panik verfällt, habe ich noch nie erlebt. Ich glaube, das geht gar nicht.
Ist es kein Problem, dass Sie ihn schon privat kannten, weil Sie mit seinem Sohn befreundet sind??
Callà:
Nein. Dario kannte ich ja sogar noch als Spieler. Als ich beim FCW bei den Junioren war, schlurfte er auf der Zielgeraden seiner Karriere noch über den Platz. Er ist für mich immer eine Respektsperson gewesen und geblieben. Auch wenn er für mich Dario ist und nicht der Herr Zuffi.
Schwieriger ist es womöglich, wenn man den eigenen Vater als Trainer hat …
Zuffi:
Es war speziell, aber als schwierig habe ich es nie empfunden. Ich hatte ihn ja auch nicht lange als Trainer. Bei den D-Junioren und noch in der U21. Sowie kurz als Assistent der Challenge-League-Equipe. Und wir verstanden uns immer gut.
Es ist auch einfacher, wenn der eigene Sohn so talentiert ist, dass jedem Mitspieler klar ist, dass man auf Luca Zuffi angewiesen ist.
Zuffi:
Das mag eine Rolle spielen. Aber mein Vater kann das Sportliche gut vom Familiären trennen. Mit meinem Bruder gab es einmal eine Situation, in der er ihm als Trainer der U18 eröffnete, dass es ihm nicht ganz zum Sprung für die nächste Stufe reicht.
Callà:
Hut ab!
Zuffi:
Ja, ich denke, das würde nicht jeder so gut auf die Reihe kriegen.
Dario Zuffi kehrte von Basel nach Winterthur zurück, um hier seine Karriere ausklingen zu lassen. Bei Davide Callà dürfte es auch so kommen. Hat auch Luca Zuffi diesen Plan im Hinterkopf?
Zuffi:
Ich kann mir das auf jeden Fall sehr gut vorstellen. Da ich aber erst 28 bin, ist es noch zu früh, um abzuschätzen, ob es so kommen wird. Das Timing muss stimmen. Wer weiss? Vielleicht ist Winterthur plötzlich in der Super League – und ich am Punkt einer Rückkehr gar nicht mehr so gut, dass es noch Platz für mich hat.
Callà:
Wenn Dario bis dahin Cheftrainer ist, wirds Platz haben …
Zuffi:
Ja, genau (lacht). Nein, es ist einfach so, dass mir die Vorstellung behagt. Es ist sicher etwas Schönes, wenn man dort spielt, wo man aufgewachsen ist, alles kennt, kurze Wege zu Familie und Freunden hat.
Sie sehen Winterthur also in der Zukunft wieder als Lebensmittelpunkt?
Zuffi:
Ja, aktuell würde ich schon sagen, dass ich früher oder später zurückkomme, um hier zu leben.
Und bei Davide Callà ist ohnehin schon klar, dass er für immer in Winti bleibt?
Callà:
Das ist der Plan. Jetzt spiele ich hier, habe ein Haus gekauft … Ich fühle mich so wohl hier, ich wüsste nicht, wohin ich sonst gehen sollte. Es ist eine kleine Besonderheit: Der Winterthurer liebt Winterthur innig.
Damit steht er ziemlich allein da.
Callà:
Achtung! Das stimmt nicht! Ich kenne viele Zuzüger oder solche, die nur ein paar Jahre hier verbracht haben und sich in diese Stadt verliebt haben. Winterthur ist mehr als Industrie, hat mehr zu bieten, ist cool. Auch wenn man das auf den ersten Blick vielleicht nicht sieht. Jeder, der Winterthur erfahren hat, entwickelt eine besondere Bindung zu dieser Stadt.
Woran liegt das?
Callà:
Es ist gut gelegen. Man ist rasch in der Natur oder in Zürich. Und Winterthur hat eine gute Grösse: Es läuft immer etwas, gleichzeitig herrscht eine familiäre Atmosphäre. Es ist auch eine Studentenstadt, eine junge Stadt. Obwohl ich mich in Basel pudelwohl gefühlt habe, hat es mich nach Winterthur zurückgezogen.
Wie unterscheidet sich Winterthur denn von Zürich?
Zuffi:
Schon durch den familiären Charakter. Lustig ist ja, dass Winterthurer eher von den Zürchern angefeindet werden als umgekehrt. Vielleicht eben, weil die Winterthurer sich zusammengehöriger fühlen. Vielleicht auch, weil Winterthur im Gegensatz zu Zürich bereits ein richtiges Fussballstadion hat (lacht).
Oder weil Heimweh-Winterthurer in Rheinfelden den Winti-Grill abhalten. Finden sich Winterthurer überall?
Callà:
Das ist ein bisschen so. Winterthurer haben viele Gemeinsamkeiten. Und das, obwohl Winterthur sehr facettenreich ist. Die linksalternative Szene, die man von der Schützi kennt, ist nur ein Teil davon. Winterthur hat auch sehr viele Bewohner mit ausländischen Wurzeln. Ich bin ja selbst einer. Doch jeder, egal ob aus Nigeria, Italien oder sonst wo, ist stolz, Winterthurer zu sein.
In Basel ist das nicht unähnlich.
Callà:
Ja, Basel und Winterthur sind wie zwei gallische Dörfer.
Ist der FCW auch etwas Spezielles?
Zuffi:
Das würde ich schon sagen. Die ganze Clubführung hängt mit Herzblut am FCW. Ich habe schon oft gehört, dass ausländische Investoren am FCW Interesse gezeigt hätten. Doch für die aktuellen Verantwortlichen ist das kein Weg. Ich finde cool, wie sie den FCW am Leben erhalten. Nicht mit viel Geld, aber mit vielen guten Ideen und Charme. Und ich denke, dass da in Zukunft mehr möglich sein könnte als Challenge League.
Callà:
Dann holen wir Lüx retour.
Zuffi:
Erst braucht ihr einen Präsi …
Callà:
Den kannst ja du machen!
Ist der FCW ein einzigartiger Verein?
Callà:
Ich glaube schon. Der Club hat eine Sonderstellung. Er hat sich eine Anti-Kommerz-Position erschaffen, steht im Ruf, dass es hier noch um den reinen Fussball geht. Sonst läuft ja heute alles über Geld, Marketing und soziale Medien. Winterthur wehrt sich fast als einziger Club teilweise gegen diese Entwicklungen. Das macht den FCW für eine ganz spezielle Art Fussballfan attraktiv. Es ist eine Stellung, die es wert ist, dass man sie pflegt, sich bewahrt. Denn so, wie der FCW geworden ist, ist er fast schon eine Art Kulturgut von Winterthur. Würde man diesen Club einfach an Investoren verscherbeln, würde man seine Seele verkaufen.
Sie haben bis vor Kurzem noch für den den FCB gespielt – Luca Zuffi ist noch immer dort. Dieser Club hat gewiss auch eine grosse Seele, ist aber auch der finanzstärkste, bestvermarktete Verein der Schweiz. Wenn man sich einmal in diesen Sphären bewegt und Geld verdient hat: Wie sehr bleibt man da überhaupt noch Fussball-Romantiker?
Callà:
Wir dürfen nicht heucheln. Auch wir profitieren vom Kommerz im Fussball. Aber wenn man dann im Spätherbst der Karriere nach Winterthur kommt, dann ist das etwas sehr Schönes. Gleichzeitig kann das nicht das höchste Ziel eines jungen Talents sein. Denn ein Club wie der FCB bietet ja nicht nur Geld, sondern auch sportliche Perspektiven.
Zuffi:
Hinzu kommt, was Sie gesagt haben: Auch der FCB ist ein Club mit Seele. Mir ist der FC Basel ans Herz gewachsen, er ist für mich viel mehr als ein Arbeitgeber mit spannenden Perspektiven. Schliesslich habe ich als Bub erlebt, wie mein Vater für den FCB spielte – und das zu einer ganz anderen Zeit, in der Nationalliga B, als es dem Club schlechter ging. Für mich war es damals schon ein Traum, einmal das rotblaue Trikot zu tragen.
Beschäftigen Sie denn Fragen nach der künftigen Ausrichtung des Clubs, etwa, wenn es um den Widerstand der Traditionalisten beim Thema Esports geht?
Zuffi:
Ich nehme es zur Kenntnis. Aber mehr nicht.
Aber man sieht Entwicklungen im Fussball schon auch kritisch, oder?
Callà:
Natürlich macht man sich Gedanken. Schon im Schweizer Fussball ist die finanzielle Schere ziemlich weit aufgegangen. Und wenn man das global betrachtet, ist es noch viel massiver. Ich glaube schon, dass man aufpassen muss, dass das Ganze nicht überbordet. Bei den ganz grossen Buben wie Manchester City oder Barcelona wird ja mit Summen jongliert, die fern von Gut und Böse sind.
Und es droht auch die geschlossene Gesellschaft. Eine Champions League, nur den Reichsten vorbehalten …
Callà:
Die Champions League ist doch schon jetzt nur zu Beginn offen. Das Geld regelt das indirekt. An den Apéro darfst du, beim Dessert bist du dann aber nicht mehr dabei.
Zuffi:
Du kannst mal ein Spiel gegen diese Clubs gewinnen. Aber über den gesamten Wettbewerb hast du dann eben doch keine Chance.
Callà:
Siehst du, Lüx? Das ist wie bei Winti, wenn der FCB kommt. Das gibt mir jetzt Hoffnung gegen euch! In einem Spiel können wir es schaffen!