Presseschau

Tages-Anzeiger vom 08.02.2019

Eine Stadt bangt um ihren Helden

FC Basel Verehrt, verklärt, verflucht. Als Stürmer hat sich Marco Streller in Basel ein Denkmal errichtet. Als Sportdirektor läuft es hingegen nicht – und in der Stadt fragt man sich: Wie lange will sich Streller das noch antun?

Philipp Loser

Negatives? Noch nie. Null. Also wirklich: null. Kürzlich sei er in eine Beiz, ältere Herren am Stammtisch, grosses Hallo. «Marco, was isch los?» Er setzte sich zu ihnen, bestellte ein Bier, diskutierte. «Und nach einer halben Stunde sagten sie: Das kommt schon gut.»

So seien die Reaktionen in der Stadt. Aufmunternd, positiv, wertschätzend. «Seit ich Sportchef bin, habe ich noch keine einzige negative Reaktion direkt zu hören bekommen. Noch nie. Null. Also wirklich: null.»

Sie sagen es ihm nicht direkt, nicht ins Gesicht. Zu viel Ehrfurcht, zu wenig Mut. Eine Mischung vielleicht. Marco Streller, 37 Jahre alt, 200 Tore, 144 davon für den FC Basel, neunmal Schweizer Meister, vier Cupsiege, Lokalheld. Jetzt: Marco Streller, 37 Jahre alt, Sportchef, einmal nicht Meister geworden, aus der Europa League ausgeschieden, 19 Punkte Rückstand auf die Young Boys, ein Desaster.

Sie sagen es ihm nicht selber. Sie schreiben es in die Zeitung, ins Internet, in Whatsapp-Gruppen und grölen es am Stammtisch (wenn er nicht da sitzt): Das ist nichts, das wird nichts. «Meine Grossmutter könnte das besser!» – «Fehlbesetzung» – «Es fehlt die intellektuelle Reife» – «Er mag ja ein gmögiger Typ sein, der Strelli, aber das Zeug zu einem erfolgreichen Sportchef hat er definitiv noch nicht.»

Diese Sorte von Reaktionen sind sehr ungewohnt für Marco Streller, vor allem weil sie aus der eigenen Stadt kommen. Marco Streller und die Restschweiz – das war schon immer ein schwieriges Verhältnis. Aber Marco Streller und Basel? Das ist eine Liebesgeschichte, eine der grösseren Sorte, kitschig fast schon.

Plötzlich erwachsen
Man kannte ihn ja schon lange, den Strelli, von der Fasnacht, vom Bubendörfer Grümpeli und anderen Hundsverlocheten. Er hatte schon früh einen Ruf. Der lange Schütteler, der gerne einen draufmacht, Zigis pafft, ein Bierchen zischt oder drei oder fünf.

Da war nichts Verstecktes, Streller war immer Streller, und er sagte das auch allen. Kaum ein Schweizer Fussballer der vergangenen Jahre war offener gegenüber den Medien. Jede Gefühlsregung eine Schlagzeile. Auch als er durchstartete. Der Einstieg in die Nationalliga A, der Transfer nach Stuttgart (und nicht nach Liverpool, weil Stuttgart näher bei Basel liegt), die wilden Jahre in Deutschland, das Missverständnis mit der Nationalmannschaft (die Zunge, die Pfiffe) und danach: Basel. Endlich. Captain der Mannschaft, goldene Jahre und eine neue Erzählung, die sich durchsetzte: Der Hallodri ist erwachsen geworden. Ein Gentleman. Ein Vorbild, das sich vor jedem Fasnachtskeller in die Schlange stellt, auch wenn er sofort reingelassen würde.

Diese Wandlung endete mit einer halben Heiligsprechung. Als Streller im Frühling 2015 sein letztes offizielles Heimspiel bestritt, flossen Tränen. Auf dem Rasen, auf der Tribüne. «Für immer ein vo euch», stand auf dem Shirt, das er bei seiner Auswechslung trug. «Der König von Basel ist nicht von Gott gemacht», hiess es später in einem Buch eines BaZ-Journalisten über Streller. «Er ist ein Mann aus dem Baslervolk. Und es ist dieses Volk, das ihn ohne Abstimmung gewählt hat. So wie das zuvor einzig Karli Odermatt, der andern grossen, rotblauen Legende, widerfahren ist.»

Grösser geht nicht. Und darum ist auch das Absturzpotenzial jetzt so gigantisch. Dass das Streller, den harmoniebedürftigen, sensiblen, ziemlich stresst, hat er im Verlauf der ersten eineinhalb Jahre als Sportdirektor immer wieder gesagt. Dass ihm der Rollenwechsel nicht leichtfällt, ebenso. Mit vielen Spielern der ersten Mannschaft hat er noch zusammengespielt. Jetzt ist er nicht mehr ihr Captain, sondern ihr Chef. Nicht ganz einfach. Er sitzt jetzt oben auf der Tribüne und leidet. Und seit er dort oben Platz genommen hat, ist es nicht besser geworden. Die 1:7-Klatsche gegen die Berner, das Ausscheiden im Europacup, die 19 Punkte. Immer wieder diese 19 Punkte.

«Wenn ich irgendwo anders Direktor wäre, dann wäre es einfach ein Job. Hier ist es viel mehr.» Sportdirektor sei nie sein Traumberuf gewesen, nie. «Ich bin das Risiko bewusst eingegangen, weil ich Verantwortung übernehmen wollte. Nach einer Ära, die so erfolgreich war, dass man eigentlich nur verlieren kann.

Aber hier bin ich und versuche, die Werte und die DNA dieses Clubs weiterzugeben. Weil es mir einfach wahnsinnig wichtig ist.»

Es gehe ihm nicht schlecht, sagt Streller. Trotz all der Kritik. Trotz des Rückstands. Eigentlich gehe es ihm richtig gut. Nach der Vorrunde ist er in sich gegangen, hat sich ausgesprochen, mit Freunden, Familien, anderen Sportdirektoren, die ähnliche Phasen durchgemacht haben. «Ich habe nie gesagt, dass ich alles kann, alles weiss. Es gibt leider keine Ausbildung zum Sportdirektor. Wenn du einem Club so emotional verbunden bist, dann passieren Fehler. Und mir sind Fehler passiert.»

Er sei am Anfang zu steil eingestiegen, habe zu grosse Ansagen gemacht, zu viele Sprüche geklopft. «Wir alle haben unterschätzt, was das für eine grosse Kiste ist.»

Es ist, als ob man Marco Streller zum zweiten Mal beim Erwachsenwerden zuschaut. Er ist jetzt nicht mehr so häufig in der Öffentlichkeit, und wenn er dann doch Interviews gibt, redet er anders als früher. «Kurz bis mittelfristig» wolle man wieder um Titel spielen, sagt er. Die Saison sei erfolgreich, wenn die Leute wieder Freude an der Mannschaft hätten, sagt er. Das tönt klein, viel kleiner als am Anfang, fast schon demütig.

Nur: Ob das auch reicht? Und was danach kommt? Beschädigt hier ein mittelerfolgreicher Sportdirektor das Denkmal eines sehr erfolgreichen Sportlers?

«Am Schluss geht es um Fussball», sagt Benjamin Huggel, ein Freund und langjähriger Mitspieler von Streller. «Und selbst falls er als Sportdirektor nicht wie gewünscht reüssieren sollte, wird er für immer mit seiner Vergangenheit als Spieler in Verbindung gebracht werden. Sportchef liege ihm nicht, werden die Leute vielleicht sagen, aber er hat 200 Kisten geschossen. Geiler Siech.»

Grenzenloser Optimismus
Und es ist ja nicht so, dass man ihm in der Stadt den Erfolg nicht wünschen würde. Selbst Kritiker wie der ehemalige Bankier Eric Sarasin, bei dessen Bank Streller einst in die Lehre ging, hoffen, dass es gut ausgeht mit dem Streller. Sarasin schreibt eine Kolumne in der BaZ, er war im Gespräch für die Nachfolge von Bernhard Heusler als Präsident (bevor er sich aus dem Rennen nahm) und gehört heute mit zu den schärfsten Kritikern der neuen Führung des Clubs um Bernhard Burgener und Marco Streller. Es sei verantwortungslos, einen so unerfahrenen Mann als Sportdirektor einzusetzen, sagte er in einem Interview mit dem «SonntagsBlick»: «Das ist, wie wenn man einen KV-Lehrling direkt zum Bankpräsidenten befördert.»

Heute sind Sarasin diese Aussagen nicht mehr recht. Er habe keinerlei Rachegefühle, es sei einfach eine gewaltige Aufgabe, die sich Streller zumute. Und jeder rede halt mit und wisse es besser. «Ich hoffe wirklich, dass er an der Herausforderung wächst und sich notfalls helfen lässt. Die Rückrunde wird es zeigen.»

Streller startet frohen Mutes in diese Rückrunde. Erfolg durch die Kraft des positiven Denkens. Hauptsache Erfolg, irgendwie. «Was ich an ihm nebst anderem bewundere, ist sein grenzenloser Optimismus. Der ist faszinierend», sagt Weggefährte Huggel.

Streller gibt ein Müsterchen davon. Er habe sportlich auch immer wieder schwierige Zeiten erlebt, war unten, ganz unten. «Aber es ging immer wieder aufwärts.» In einem oder zwei oder drei Jahren werde man zurückschauen und sagen: Ja. «Der nächste Titel in Basel wird brutal euphorisch werden. Dann werden wir auf dem Barfi stehen und sagen: Es hat sich gelohnt. Es war eine Reinigung. Und es hat sich gelohnt.»

Und falls nicht? Falls er scheitert? So richtig? Reden wir nicht drüber. Noch nicht. Vielleicht auch nie.

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