Presseschau

Basellandschaftliche Zeitung vom 27.02.2019

«Diese Droge lässt mich nicht in Ruhe»

Matías Delgado Er leitete den letzten Cup-Sieg gegen Sion ein. Jetzt spricht er erstmals über sein Leben ohne Fussball

CéLine Feller

Matías Delgado trägt einen Turban. Nach einem Zusammenprall soll dieser das Blut stoppen. Noch auffälliger als der blaue Druckverband um seinen Kopf aber ist die Freude. Diese nie zuvor so gross gewesene Freude. Matías Delgado schaut sich ein Bild an, welches diesen Moment vom Cupfinal 2017 zeigt. Es liegt vor ihm. Und er beginnt zu lächeln. «Ich sehe pures, enormes Glück. Verbunden mit so vielen Opfern, die erbracht werden mussten. Ich denke an die Wichtigkeit, welche ein Cupfinal gegen Sion hat. Und daran, dass dieses Spiel das bedeutendste und schönste in meiner ganzen Karriere war.»

Wieso war es Ihr schönstes Spiel?

Matías Delgado: Es war das letzte Spiel, in dem ich auf dem Platz ich
selber war. Ganz tief in mir drin, da ahnte ich damals schon, dass meine Karriere enden würde. Niemand wusste das zu diesem Zeitpunkt, nicht einmal ich. Das habe ich erst nach meinem Karriereende gemerkt. Aber es war nicht nur deshalb so speziell.

Wieso auch?

Nach zwei Cupfinals, in denen ich nur eingewechselt wurde, war es das erste Mal, dass ich in einem solchen Spiel für den FCB in der Startelf stand. Nie konnte ich in einem Cupfinal eine wichtige Rolle spielen. Genau das willst du aber, wenn du einen Verein so sehr liebst. Es passiert nicht jedem Fussballer, dass er ein Team findet, das solche Emotionen in ihm auslöst und ihn so bewegt. Mir aber ist es zum Glück passiert. Ich bin ein emotionaler Typ, das kommt noch dazu.

Sie haben das erste Tor erzielt und standen damit am Anfang vom Ende des Sittener Mythos.

Das war etwas, was in meiner Karriere fehlte: Einmal Protagonist zu sein in
einem so bedeutenden Spiel. Das hatte ich immer in meinem Kopf, es bis zu diesem Zeitpunkt aber nie geschafft. Gegen Sion ist mir das gelungen und ich habe erst noch ein Tor erzielt. Deshalb ist dieses Spiel von den Emotionen her das beste meines Lebens. Für meine Geschichte als Fussballer bedeutet es alles.

Für Delgado ist dieses Spiel noch spezieller, weil er es beinahe verpasst hätte. Am Tag zuvor hatte er solche Schmerzen in seinem rechten Fuss, dass das Verpassen seines grossen Spiels wahrscheinlicher war als eine Teilnahme. Delgado benötigte eine Spritze in die Fusssohle, um die muskulären Problem in irgendeiner Weise erträglich zu machen. «Ich darf dieses Spiel auf keinen Fall verpassen.»

Wieso?

Ich hatte extra meinen Vater aus China, wo er lebt und arbeitet, einfliegen lassen. Und dann hatte ich solche Schmerzen. Aber mit der Injektion und dem Adrenalin war es aushaltbar. Sonst wäre er für nichts angereist.

Der Rest ist Geschichte, löste grosse Emotionen aus. Vermissen Sie das seit dem Rücktritt am meisten?

Ja. Es macht mich glücklich, dass ich solche Momente erleben durfte. Aber es macht mich umso trauriger, dass ich sie jetzt nicht mehr in meinem Leben habe.

Gibt es etwas, das diese Emotionen im jetzigen Leben aufwiegt?

Nein. Es existiert nichts, was das jemals ersetzen könnte. Gar nichts.

Sie spielen aber noch Fussball.

Ja, bei den Senioren von Dornach. Natürlich macht das Spass. Ich liebe es, Fussball zu spielen. Aber so wird es nie mehr sein. Ich werde nie mehr auf diesem
Niveau spielen. Das, was da auf dem Feld passiert, gibt es nicht zwei Mal.

Wären Sie gerne noch immer aktiver Spieler?

Ich würde das Fussballerleben gegenüber dem des Rentnerlebens bevorzugen. Ich vermisse es extrem. Ich lebe jetzt ein komplett anderes Leben.

Es gab eine Phase, in der sich Matías Delgado ernsthaft mit einem Comeback auseinandersetzte. Gespräche gab es keine, er ist nie auf FCB-Sportchef und seinen guten Freund Marco Streller zugegangen, hat nie über dieses Thema mit ihm gesprochen, «weil ich nicht zum FCB zurückgekonnt hätte. Es hätte mir nicht mehr gereicht.»

Welche Gedanken haben Sie sich genau gemacht?

Du bist verwirrt, überlegst, ob du zurückwillst. Ich denke, das ist ein normaler Prozess bei Fussballern, die zurückgetreten sind. Vielleicht wäre es schön gewesen …

Aber?

Ich hatte wirklich Lust, wieder diese Gefühle auf dem Platz zu haben. Aber man muss auch an das denken, was du dann nicht mehr tun kannst. Wenn du zurückkommst, musst du dich dem wieder komplett verschreiben und es ernst nehmen. Dann musst du durch und durch wieder Profi sein. Ich denke, es wäre nicht wirklich vernünftig gewesen. Aber ganz ehrlich: Ich weiss es nicht.

Dafür haben Sie jetzt erstmals in Ihrem Leben – seit dem Entscheid Marcel Kollers, dass Sie keinen Platz im Trainer-Staff haben – Ihre Freiheit.

Ich möchte zuerst betonen, dass ich seine Entscheidung verteidige. Ich verstehe ihn komplett. Als Trainer will man mit seinen Vertrauensleuten
zusammenarbeiten. Er kannte mich nicht, daher ist dieser Entscheid sehr korrekt. Ich bin auf niemanden
wütend. Aber ja, ich bin zum ersten Mal frei und ohne Strukturen.

Und das gefällt Ihnen.

Ja, weil Strukturen etwas sind, was ich nur meiner Kinder wegen habe. Für mich alleine bräuchte ich das nicht.

Gewisse Strukturen hat Matías Delgado aber auch beruflich noch. Er hat beim FCB eine Funktion als Jugendscout übernommen. Schweizweit sucht er nach neuen Talenten. Sportchef Marco Streller
attestiert ihm hervorragende Arbeit. Und Delgado sagt, bereits sehr viele Talente erspäht zu haben.

Wo sind Sie auf Talente gestossen?

I n der U13 von Congeli. Da gibt es
einen, der sehr gut ist. Er heisst Nicolas Delgado (lacht). Es wäre ein Traum für mich, meinen Jungen in sechs Jahren im Joggeli für den FCB spielen zu sehen.

Sprechen wir wieder über Sion. Wieso sind sie so stark im Cup?

Die ganze Stadt entwickelt eine Dynamik. Das ist kulturell. Du spielst gegen sie in der Liga und sie sind ein normales Team. Kaum geht es in den Cup, haben sie eine andere Energie, sie haben mehr Kraft. Sie transformieren sich, so dass es sich tatsächlich anfühlt, als stünde
eine andere Mannschaft auf dem Platz.

Was ist das Rezept, um Sion im Cup zu schlagen?

Das gibt es nicht, sonst hätten wir auch 2015 gegen sie gewonnen! Du kannst dich noch so gut vorbereiten, am Ende passieren so viele unvorhersehbare Dinge. Das ist das Schöne am Fussball. Müsste man ein Rezept schreiben, stünde da, dass man mehr als sonst die richtigen Entscheide treffen, man alles geben und dann auch den Faktor Glück und Persönlichkeit für sich entscheiden muss.

Einen Anteil hatte auch die Rede von Bernhard Heusler. Sie haben noch regelmässig Kontakt zu ihm. Gibt er Ihnen Tipps für die Zukunft?

Er sagt mir, dass ich das tun soll, was mich glücklich macht.

Und was ist das?

Das habe ich noch nicht gefunden. Ich bin noch immer auf der Suche.

Liegt Ihr Glück womöglich ausserhalb des Fussballs?

Vielleicht. Aber jetzt mache ich mal meine Trainerdiplome. Ich habe eben begonnen mit dem C-Diplom, mein Ziel ist die Uefa-Pro-Lizenz. Ich nehme es Schritt für Schritt. Aber dieser Weg macht mir momentan am meisten Spass. Gerade wenn du Kinder trainierst, und sie korrigierst, siehst du schnell, wie sie besser werden. Du kannst dein Team spielen lassen, wie du willst. Dieses Gefühl kommt vielleicht ein bisschen an jenes heran, das man als Fussballer auf dem Platz hat. Aber das ist eine Droge, die dich nicht in Ruhe lässt. Es ist eine Sucht.

Wissen Sie, wo Sie in Zukunft leben?

Bis im Sommer bleibe ich hier, dann schaue ich weiter. Aber das sage ich in jedem Interview (lacht). Es ist schwer, aus Basel wegzugehen, es ist so schön hier. Ich habe einen argentinischen Freund, der auch jedes Jahr sagt, dass er bis im Sommer hier bleibt und dann wohl nach Argentinien geht. Mittlerweile lebt er seit 35 Jahren hier. Vielleicht ist dieser Weg auch meiner. Aber es ging mir auch mal durch den Kopf, zurück in meine Heimat zu gehen. Spanien wäre die Mittellösung.

Verraten Sie uns abschliessend noch: Wer ist heute Favorit?

Der FCB ist für mich immer Favorit. Auch im Cup. Ich vertraue diesem Team. Ich denke, sie sind auf einem guten Weg. Ein Cupsieg würde ihnen helfen, daran zu glauben, wie stark sie sind. Und es würde den Motor starten, um etwas Neues zu beginnen.

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