Presseschau

NZZ vom 16.03.2019

Ein Klub, eine Stadt, eine Liebe – und plötzlich spielt Indien mit

Der FC Basel überrascht und verwirrt. Bernhard Burgener baut um, als gebe es keine Grenzen. Kommt es gut? «Garantie kann ich keine geben», sagt er

Benjamin Steffen, Basel

Etwas ist anders geworden im FC Basel. Am Sonntag trifft der ehemalige Serienmeister auf YB, mit 21 Punkten Rückstand. Bemerkenswert: Die Basler haben sich längst abgefunden damit, kein Lamento mehr, kein Hadern. Grundsätzlicheres beschäftigt sie viel mehr. Die Veränderung ihres Klubs.

2017 übernahm Bernhard Burgener den FCB, und was er auch macht seither, welch grosse Würfe – es stösst vielerorts auf Unverständnis.

Die Einsetzung des Verwaltungsratsdelegierten Jean-Paul Brigger im Juni 2017: Widerstand. Der Fokus auf E-Sports: Widerstand. Das Engagement in Indien: Widerstand.

Anfang Februar informierte der FCB über eine 26-Prozent-Beteiligung am Chennai City FC, eine wahnwitzige Idee in den Augen vieler, Indien!, weit weg und ohne gloriose Fussballgeschichte.

«Ich begreife die Fans», sagt der FCB-Präsident Bernhard Burgener am Dienstag in einem langen Gespräch. «Für sie ist der FCB mehr als eine Institution, eine Herzenssache. Sie führten es mir kürzlich noch einmal klar vor Augen, als sie sagten: eine Stadt, ein Klub, eine Liebe. Jetzt habe ich – aus Sicht der Fans – dagegen verstossen. Das Engagement in Indien steht aber nicht im Widerspruch zu ihrer Auffassung. Mir geht es immer um den FCB. Und was klar war betreffend Indien: Wir wollten ein Mitspracherecht. Und das haben wir dank einer Beteiligung.»

Ein früherer FCB-Mitarbeiter sagt, er habe null Verständnis für den Indien-Deal, «der grösste Habakuk». Ein heutiger FCB-Mitarbeiter sagt, er habe null Verständnis für Kritik am Indien-Deal: «Warum nicht etwas versuchen?»

Basel, eine Stadt, zwei Klubs.

Microsoft und Mercury
Der FCB wird wieder kontroverser verhandelt in der Stadt. Im ersten Heimspiel nach der Bekanntgabe verliessen die Fans aus der Muttenzer Kurve mit Beginn der ersten Halbzeit das Stadion, eine Protestaktion. Die Indien-Beteiligung sei ein weiterer Schritt in die falsche Richtung, teilten sie mit; es sei höchste Zeit für eine Debatte über die Zukunft des FCB.

Burgener sagt, «ach», und dann heisse es wieder, er würde nicht reden, obwohl er doch spreche mit den Fans, «aber etwas Neues muss zuerst geplant werden. Am wichtigsten ist doch, dass es zustande kommt. Zuerst verhandelt man, danach stellen wir es vor. Aber der Dialog mit den Fans ist mir sehr wichtig.»

Burgener ist ein Mensch mit grossen Gedanken und langen Erklärungen. Wenn es um den Indien-Deal geht, kommt es vor, dass er beim Fussball startet, weiterzieht zu Novartis, «unserem grössten Sponsor», der von einem Inder geführt werde, wie Mastercard, Microsoft, Google, «oder schauen Sie in die Unterhaltungswelt, dasselbe!, eine der spannendsten Geschichten läuft gerade in den Kinos, Freddie Mercury, seine Eltern waren auch Inder, was der alles erschaffen hat! ‹We Are the Champions›, ein Mercury-Song, erklingt heute in jedem Fussballstadion.»

Zurück beim Fussball. Noch Fragen?

Ja. Worum geht’s? Was ist der Zusammenhang?

Wenn Burgener redet, wird die Welt kleiner. «Ich sage mir, dass es einfach eine Frage der Zeit ist, bis Indien noch bedeutender wird, auch im Fussball. Das ist Mathematik, in Indien gibt es eine solche Masse an jungen Leuten, diese Begeisterung. Nehmen wir die Pay-TV-Zahlen: In der Schweiz gibt es rund 150 000 Pay-TV-Kunden, in Deutschland 5,5 bis 6 Millionen, in Indien 155 Millionen. Es sind andere Dimensionen. Wir haben jetzt Zugang zu einem der grössten Fussballmärkte.»

Zugang zur Zukunft. Burgeners Zukunft.

Burgener, der Zahlenmensch, der erfolgreiche Filmunternehmer, dem Leute unterstellen, er verfolge mit dem FCB-Indien-Deal doch nur ein Ziel: näher an Bollywood zu sein, an der indischen Filmindustrie. Burgener verwirft die Hände, wieder eine ausführliche Erklärung – dass er längst Filmrechte nach Indien verkaufe, «bloss reden wir nicht darüber». Nein, er hat einzig die Absicht, dereinst indische Fussballer im FCB zu haben.

Es ist nämlich so: Die Fussballwelt verändere sich «dramatisch», sagt Burgener, für Schweizer Klubs werde der Weg zur lukrativen Champions-League-Teilnahme immer steiniger. Worin für hiesige Klubs der grösste Wettbewerbsnachteil bestehe: im Gesetz, dass Spieler zwischen 18 und 21 Jahren aus sogenannten Drittstaaten (Nicht-EU-Mitglieder) keine Arbeitsbewilligung erhalten, sofern sie nicht während mindestens eines Jahres in nationalen Ligen auf höchstem Niveau regelmässig gespielt haben.

Andere europäische Länder kennten solche Regelungen nicht, sagt Burgener, weshalb es für Schweizer Klubs zunehmend anspruchsvoller sei, ein Geschäftsmodell der Konkurrenz zu leben: junge ausländische Spieler zu verpflichten. Die Lösung des FCB 2019: das Engagement in Indien, der Aufbau einer Jugendakademie; selber ausgebildete Talente würden in Indien auf höchstem Niveau zum Einsatz kommen, was später auch ermöglichte, dass sie in der Schweiz eine Arbeitsbewilligung erhielten.

So lautet der Plan, es geht voran, derzeit herrscht reger E-Mail-Verkehr zu Baufragen, welches Grundstück, was für ein Gebäude. Die 26-Prozent-Beteiligung kostete 1,25 Millionen Franken, die Bezahlung erfolgte über die FC Basel Holding AG, an der Burgener rund 92 Prozent hält. Für den Bau der Akademie gibt die FCB Holding ein Darlehen mit kleiner Verzinsung. Allfällige Gewinne kommen dem FCB zugute.

Darum geht’s.

Gedanken an Alaska
Es gibt Leute, die sagen, Burgener habe noch niemandem plausibel zu erklären vermocht, was es mit «Indien» auf sich habe. Falsch. Burgener erklärt es plausibel. Aber: Manchen erscheint es etwas verrückt.

Etwa Roland Suter, einem Autor und Kabarettisten mit Dauerkartenplatz bei den Hardcore-Fans. Suter meint: «Es gibt bestimmt noch Goldadern in Alaska, der FCB könnte sich auch dort engagieren, Bernhard Burgener fände eine gute Erklärung dafür.» Was er sagen will: wie stark es sich schon verfestigt habe unter Burgener, dass etwas Neues komme, von dem fast niemand verstehe, «was es mit dem FCB als traditionellem Fussballklub zu tun haben soll».

Am 23. September 2018 erlitt der FCB die monumentalste Niederlage der jüngeren Klubgeschichte, 1:7 gegen YB.

Vier Tage später gab der FCB bekannt: «Gonzalo Nicolás Villalba wechselt vom E-Sports-Team von transfermarkt.de zum FCB», er gehöre zu den weltbesten Fifa-Spielern.

Auf einen Nackenschlag auf dem Rasen reagiert der FCB mit einem Königstransfer in der virtuellen Welt.

Es ist Burgeners Art, einen traditionellen Fussballklub in die Zukunft zu führen, in die Zukunft, wie er sie sieht. Was kommen würde, erkannte er schon das eine oder andere Mal. Er will neue Märkte als Erster belegen, er schaffte so manches, die Wiederbelebung der stillgelegten Marmorbrüche von Laas, als Vermarkter prägte er die Agenturen Team (Uefa-Champions-League) und Highlight Event AG (Wiener Philharmoniker), er fragt: «Wer hätte gedacht, dass ein klassisches Orchester mit 2 Millionen Live-Zuschauern eines Tages 50 Millionen Live-Zuschauer hat?»

Unter der alten Führung mit dem Präsidenten Bernhard Heusler hatte der Klub eine Zuverlässigkeit bekommen, die Chefs fällten umstrittene Entscheide, aber oft erhielten sie recht, irgendeinmal vertrauten ihnen die Leute. Heusler hatte den FCB an einen Plafond geführt, Champions-League-Achtelfinals, Euro­pa-­Lea­gue-Halbfinal, Serienmeister. 2013 stand in der «NZZ am Sonntag», dem FCB fehle «Raum für Visionen». Heusler fühlte sich angegriffen, obwohl bloss gemeint war, dass der FCB zu gut geworden war, als dass er noch hätte wachsen können. René C. Jäggi, der Präsident der Jahrtausendwende, sagte damals, Kontinuität sei das Maximum, «der Champions-League-Titel kann für einen Schweizer Klub kein Ziel sein. Sonst wirst du für verrückt erklärt.»

Superstar, Basler Star
Und plötzlich sieht das Maximum so ganz anders aus, als es sich die meisten Menschen gedacht hatten. Indien. Visionen. Unter Burgener ist der FCB unberechenbar geworden, er geht Schritte, die anderen zu gross erscheinen oder falsch. Er denkt und zeichnet die Fussballwelt neu, mit Indien als grossem Player.

Der grösste Habakuk?

Die deutsche Fussballliga startete Ende 2018 eine «strategische Partnerschaft zur Entwicklung der Marke Bundesliga und zur Förderung des Fussballsports in Indien». Carsten Cramer, der Geschäftsführer von Borussia Dortmund, hatte 2013 gesagt, die Deutschen müssten nicht meinen, dass «in China oder Indien alle Menschen auf Borussia Dortmund warten». Es gab kaum Anzeichen für einen Effort in Indien, heute sieht Cramer die Situation differenzierter. Sein Arbeitgeber gehört zu den führenden elf, zwölf Klubs in Europa, Borussia Dortmund habe international eine immer hellere Strahlkraft entwickelt, «und wenn ein Klub unserer Grösse wachsen will, schafft er es nicht nur mit Aktivitäten in Deutschland, Österreich oder der Schweiz».

Vor einigen Jahren eröffnete Dortmund ein Auslandsbüro in Singapur, später in Schanghai, als nächsten Kernmarkt definierten die Dortmunder die USA, «und heute, mit der Erfahrung aus den letzten fünf Jahren, überlegen wir uns in der Tat, ob ein Land wie Indien, wo sich der Fussball noch im Aufbau befindet, nicht auch ein interessanter Markt werden könnte», sagt Cramer. Ein Mitarbeiter befasst sich in einem 90-Prozent-Pensum ausschliesslich mit der Indien-Frage, letzthin reiste er mit dem nordrhein-westfälischen Landeswirtschaftsminister durchs Land.

Sogar beim VfL Bochum, einem Mittelfeldklub aus der zweiten Bundesliga, gibt es ein Strategiepapier, das auch Indien umfasst. Der Bochumer Geschäftsführer Ilja Kaenzig, einst YB-CEO, findet es grundsätzlich richtig, «dass ein Klub nach neuen Einnahmequellen sucht, um sich unabhängiger zu machen von sportlichen Ergebnissen. Auch wir machen uns solche Überlegungen, aber mit höchster Sensibilität. Uns ist bewusst, dass wir nicht mit den grossen Klubs konkurrieren können, und wir respektieren, dass Internationalisierung von unseren Fans nicht gewünscht ist.»

Für die VfL-Chefs ist klar, dass eine Internationalisierungs-Strategie stets auch Bezug zum Klub oder zur Stadt Bochum haben sollte; «die Stadt müsste in die Pläne einbezogen werden, vielleicht mit Städtepartnerschaften», sagt Kaenzig. Es sind erst Gedankenspiele, aber im Fall Bochums gäbe es emotionale Anknüpfungspunkte: Der VfL Bochum soll 1986 der erste deutsche Klub gewesen sein, der in Indien ein Testspiel austrug; der derzeitige Trainer, Robin Dutt, hat einen indischen Vater.

Der Dortmunder Geschäftsführer Cramer sieht es ähnlich, «natürliche Beziehungen» seien von entscheidender Bedeutung. Kooperationen in Japan oder den USA lagen nahe für die Dortmunder, weil sie Spieler aus diesen Ländern unter Vertrag hatten, Shinji Kagawa und Christian Pulisic, in Tokio hatten sie 1997 den Weltpokal gewonnen.

Cramer sagt: «Ich mag es überhaupt nicht, wenn neue Ideen immer gleich abqualifiziert werden. Ich würde mich freuen, wenn in der Bundesliga nicht immer nur Bayern München und Borussia Dortmund die Zugmaschinen wären.» Aber Cramer geht es um das Branding des Klubs, um Strahlkraft; Beteiligungen an einem indischen Klub strebt Dortmund nicht an, «und wenn wir uns in Indien engagieren, versprechen wir uns davon nicht den nächsten grossen Superstar».

Der FCB erhofft sich zumindest einen Basler Star. Zwischen Basel und Indien gibt es keine solchen emotionalen Bindungen, wie sie Cramer und Kaenzig für nötig halten – aber Burgener fragt: «Was heisst schon emotionale Bindung? Was war meine emotionale Bindung zur Filmindustrie? Dass ich Winnetou-Filme mochte? Ich sagte einst, das Home-Entertainment werde die Welt verändern. Und ich sage heute, dass der indische Fussball in zwanzig Jahren eine ganz andere Rolle spielen wird.»

Burgener sagt, der FCB habe die Kooperation vertieft geprüft, «wissen Sie, es ist so: Zu 90 Prozent geht es um die richtige Vorbereitung – und zu nur 10 Prozent um die richtige Umsetzung. Wir haben sehr gute Leute, die in der Lage sind, gute Sachen aufzubauen.» Er erwähnt nicht nur FCB-Mitarbeiter, auch Externe, die er von früheren Projekten kennt. Und schon dreht sich das Gespräch um andere Geschäftszweige, um die Sport-1-App etwa, «wir sind die Nummer eins unter den Sport-Apps in Deutschland, wir haben alle überholt», sagt Burgener, wieder so ein Erfolg.

In dieser anderen, neuen Welt hängt alles irgendwie zusammen. Aber sie muss zuerst verstanden werden. Das Vertrauen, das Heusler aufgebaut hatte, geniesst Burgener noch nicht. Er schafft vielmehr Verunsicherung, bei den Fans, auf der Geschäftsstelle. Unter Burgener ist im FCB die Stelle einer Klubkultur-Beauftragten geschaffen worden, gut, oder? Gleichwohl gibt es Leute, die fragen, warum er die Indien-Gelder nicht etwa in ein stolzeres FCB-Museum investiert habe.

Alter FCB. Neuer FCB. Wer ist der FCB? Die Besucherzahlen gehen zurück, es liege an der «vielzitierten Ermüdung vom Fussball» und an den Leistungen des Teams, sagte der CEO Roland Heri vor dem Rückrundenstart. Den Gedanken, dass es auch eine Vertrauenskrise sein könnte, verwirft Burgener. Der FCB müsse einfach wieder mehr Junge ins Stadion bringen, «und das geht über Social Media, digitale Plattformen», und deshalb auch: E-Sports.

Es war doch angekündigt
Niemand bezweifelt, dass Burgener ein kluger Kopf ist, aber es herrscht Skepsis, ob er mit dem FCB auf dem richtigen Weg ist. Was ihm Ruhe gibt: dass er es doch angekündigt habe. Es ist seine Ruhe. In seiner Welt. Bei der Präsentation seines Konzepts im Frühling 2017 stellte Burgener auch die Kooperation mit internationalen Topklubs in Aussicht. Im Bereich IT/Digitalisierung arbeitet der FCB in der Tat seit einigen Monaten mit Bayern München zusammen, mit anderen potenziellen Partnern werde verhandelt, aber Anteile weiterer Klubs werde er nicht kaufen, «es ist nicht mein Ziel, Klubs zu sammeln».

Wenn jemand vorbringt, bei Chennai City handle es sich nicht unbedingt um einen «internationalen Topklub», so entgegnet Burgener, immerhin sei das Team soeben Meister geworden, «etwas Besseres gibt es nicht, wenn ich mich in Indien engagieren will». Und das wollte er. Fragen?

Am Mittwoch hiess es, dass in Indien wegen Manipulation des letzten, entscheidenden Meisterschaftsspiels zwischen Chennai City und Minerva Punjab ermittelt werde. Plötzlich war davon auch Basel betroffen, zumindest zu 26 Prozent, eine Stadt, zwei Klubs.

Immerhin dauerte es nicht lange, bis der indische Fussballverband verlauten liess, er sehe keinen Anlass zu Verdächtigungen. Aber es braucht andere Nachrichten aus dem Hort der Zukunft, um das Vertrauen zu fördern; um sich näherzukommen. FCB-Basis und -Führung, alter Kern und neue Chefs müssen sich früher oder später aneinander gewöhnen. Denn was all die Ideen und auch seine Unternehmervita zeigen: Burgener hat nicht vor, bald wieder auszusteigen.

Warum soll es mit dem FCB und Indien eine Erfolgsgeschichte werden? «Garantie kann ich Ihnen keine geben», sagt Bernhard Burgener, «aber ich mache es so, wie ich es ein Leben lang schon gemacht habe.»

Alles gut. Burgener begreift die Fans. Aber deshalb verändert er seinen Stil nicht. Seine Ruhe. Seine Welt. Seine Unempfindlichkeit. Alleine entscheiden. Aber auch von Dialog reden. Es gehört zu ihm, neue Wege zu gehen. In seiner Richtung.

Zurück