Presseschau

Basler Zeitung vom 03.04.2019

«Ich halte mich ans Gelassenheitsgebet»

Zeitweise hatte Valentin Stocker das Gefühl, der Misserfolg des gesamten FC Basel werde nur an ihm festgemacht. Vor dem Spiel beim FC Zürich spricht der 29-Jährige über Rücktrittsgedanken, Aussprachen mit dem Trainer und den Basler Findungsprozess.

Florian Raz

Valentin Stocker, haben Sie seit Ihrer Rückkehr zum FC Basel daran gedacht, alles hinzuschmeissen und aufzuhören?

Nein, eigentlich nicht. Aber ich werde demnächst 30 Jahre alt, ich habe 300 bis 400 Spiele hinter mir. Da ist es logisch, dass man anfängt, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Aber ich bin keiner, der überstürzt Entscheidungen trifft.

Die Frage kommt, weil es Ende 2018 Leute innerhalb des FCB gab, die glaubten, dass Sie den Spass am Beruf verloren hätten.

Puh... Ich war auch fast dreieinhalb Monate verletzt. Die Leute interpretieren schon sehr viel in einen hinein. Ich weiss nicht einmal selbst so genau, was ich damals gedacht habe. Wir hatten sicher eine sehr schwierige Phase. Auch wenn ich das Gefühl hatte, dass ich nicht so schlecht spielte, wie es von aussen wahrgenommen wurde.

Aber es wirkt so, als ob sich an Ihrer Herangehensweise an den Fussball über die Winterpause etwas verändert hat.

Ja, definitiv. Es ist kein Geheimnis, dass ich schon lange mit Christian Marcolli im mentalen Bereich arbeite. Die Zeit nach meiner Rückkehr aus Berlin war intensiv. Ich wusste ja von Anfang an, dass es schwierig werden würde, die Erwartungen der Leute zu erfüllen. Ich hatte das Gefühl, dass ein paar wenige, ich eingeschlossen, stellvertretend dastanden für den Misserfolg des Teams. Das fand ich nicht okay. Das musste ich für mich verarbeiten, und das ist mir zuletzt auch sehr gut gelungen.

Wie macht man das?

Das würde hier den Rahmen sprengen.

Aber das wäre doch mal eine praktische Lebenshilfe für unsere Leserschaft.

Definitiv. Aber wie soll ich schnell, schnell etwas zusammenfassen, mit dem ich mich seit Jahren beschäftige? Das hat als 18-Jähriger unter Christian Gross angefangen. Und das wird mich mein Leben lang begleiten: die Arbeit im Kopf. Im Spitzensport hängt eigentlich alles vom Kopf ab.

Könnte es sein, dass Sie seit der Winterpause weniger mit Dingen hadern, die Sie nicht beeinflussen können?

Ja, es hat schon damit zu tun, dass ich mich auf die Dinge konzentriere, die ich selbst verändern kann. Für die anderen halte ich mich ans Gelassenheitsgebet.

Was ist das?

Kennen Sie das nicht? Gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Das Basler Publikum scheint Ihnen den Formanstieg ganz besonders zu gönnen.

Ich hatte immer ein sehr spezielles Verhältnis zu den Menschen in Basel. Wobei ich das Gefühl habe, dass die Leute es gar nicht nur mir gönnen – sie gönnen es auch sich selbst. (lacht) Ich bin wirklich sehr dankbar, dass ich in vielen Momenten das Gesicht des Erfolgs sein durfte. Mir war schnell klar, dass meine Karriere nie etwas mit Durchschnitt zu tun haben wird. Es geht entweder ganz hoch oder sehr tief.

Wenn sich die Zuschauer auch für sich selber freuen, sehen Sie sich als Fussballer dann als Projektionsfläche für die Fantasien der Fans?

Ja, ich denke schon. Wir sind verantwortlich, hier unten auf dem Rasen zu liefern. Wir ermöglichen einen Ausbruch aus dem Privatleben. Du kommst ins Stadion, du willst Emotionen erleben, die du sonst vielleicht nicht hast. Wenn dann nichts kommt, bist du zwar enttäuscht. Aber umso schöner ist es, wenn es dann wieder klappt.

Wie ist es, wenn aus einem väterlichen Freund plötzlich ein Vorgesetzter wird? So, wie ihr Ex-Teamkollege Marco Streller, der heute Ihr Sportchef ist?

Man kann es damit vergleichen, wie wenn dein Kollege in der gegnerischen Mannschaft spielt. Es gibt Situationen, in denen man das Zwischenmenschliche ausblenden muss. Es ist klar, dass er der Chef meines Trainers ist, dass er die sportliche Verantwortung trägt. Das ist viel zu weit weg, als dass ich mir erlauben würde, dort Einfluss zu nehmen.

Aber seine Aussenwahrnehmung hängt auch damit zusammen, wie gut Sie spielen.

Es ist doch ganz einfach: Wenn du gewinnst, ist alles super. Und wenn die Resultate nicht stimmen, hast du alles falsch gemacht. Ich könnte mit Ihnen Spiele anschauen, in denen ich besser war als in den letzten Wochen. Bloss die Aussenwahrnehmung war komplett anders. Aber das kann ich nach so vielen Jahren im Geschäft einordnen.

Trotzdem können Freundschaften an solchen Drucksituationen zerbrechen.

Ich bin ein Fan davon, dass Probleme offen angesprochen werden. Das habe ich auch meinem Trainer und meinen Mitspielern gesagt. Wenn du nicht redest, oder wenn du nur um den heissen Brei herumredest, gibt es Verständigungsprobleme. Und das ist die Basis des Misserfolgs.

Sie betonen in letzter Zeit immer wieder, dass Sie ein Freund von Offenheit seien. Das muss man ja eigentlich nur, wenn diese Offenheit zuletzt am Arbeitsplatz gefehlt hat?

Nein, so muss man das nicht verstehen. Aber ich darf doch ehrlich sagen, dass es Dinge gibt, über die ich in der Öffentlichkeit nicht sprechen kann. Die kann ich in meinem Kreis diskutieren. Zwischenmenschliches, Dinge, die die Leute nichts angehen.

Also waren es nicht Kommunikationsprobleme, die zur FCB-Krise nach der Sommerpause geführt haben?

Zu gewissen Dingen fällt es mir einfach schwer, etwas Sinnvolles zu sagen. Es wirken so viele Dinge zusammen, es geht auch um Glück oder Pech. Ich relativiere gerne. Was der FCB in den letzten Jahren erreicht hat, ist einfach unbeschreiblich. Dass es danach eine Zeit der Veränderung gibt, in der es Zeit braucht, bis wieder alles klappt, ist logisch. Und ich kann auch verstehen, dass es dann gewissen Leuten Spass macht, auf uns verbal einzuprügeln. Endlich kann mal einer schreiben, dass ich schlecht spiele – und das, obwohl er mich vorher immer loben musste.

Ist YB in den letzten zwei Saisons wirklich so viel besser als zuvor – oder ist der FCB so viel schlechter als früher?

Was wollen Sie jetzt hören? (lacht)

Eine Antwort?

Sicher ist YB ein-, zweimal an uns gescheitert, als es nicht unbedingt hätte so kommen müssen. Dass es für sie letzte Saison geklappt hat, hat den Bernern sicher noch einen Schub gegeben. Und wir waren in dem Moment nicht bereit mitzuziehen. Vielleicht hatten wir auch nicht genug Biss. Es liegt an uns, die Lücke zu schliessen.

YB besitzt jenes Selbstverständnis, das früher Basel hatte. Wo ging es beim FCB verloren?

Keine Ahnung.

Wie holt man es sich zurück?

Mit Qualität und Emotionen. Das ist eine Arbeit, die sich über Monate oder Jahre entwickelt. Manchmal passt etwas gleich zusammen, manchmal nicht. Aber das ist wie gesagt nicht meine Aufgabe. Ich muss uns nicht trainieren – und ich muss nicht unser Kader zusammenstellen. Ich kann nur schauen, dass ich körperlich so fit wie möglich bin.

Wo steht der FCB unter Trainer Marcel Koller?

Das Team ist in einer Selbstfindungsphase. Der Trainer kann nur auf den Moment Einfluss nehmen. Als Marcel Koller kam, stand das Kader. Jetzt sind wir in einer Phase, in der grundsätzliche Entscheidungen gefällt werden. In welche Richtung will man gehen? So spüre ich das. Nicht einmal unbedingt nur auf die erste Mannschaft bezogen, sondern auf den gesamten Verein.

Im Herbst kam es zur Aussprache mit dem Trainer, nachdem zuvor Spieler beim Präsidenten vorstellig geworden waren. Brachte jenes Gespräch den Umschwung? Seither ist Basel ungeschlagen.

Es war schon auch eine gute Geschichte, darum hatten die Medien Freude, als sie darüber berichten konnten. Endlich darf man mal auch auf dem FCB herumhacken. Das ist ja legitim. Man musste von uns in den letzten Jahren auch sehr viel schlucken. (lacht) Trotzdem kann ich nicht ehrlich behaupten, dass so ein Gespräch alleine einen riesigen Turnaround schafft.

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