Presseschau

NZZ vom 20.04.2019

Die Super League sehnt sich nach Leben

Der kriselnde Schweizer Klubfussball kämpft um Zuschauer und braucht mehr als eine singuläre gelb-schwarze YB-Blüte

Peter B. Birrer

An einem kalten März-Abend sitzt Remo Meyer, der Sportchef des FC Luzern, händereibend und erwartungsfroh auf der Tribüne der Luzerner Arena. Zu Gast ist YB, der Meister, dieses tolle Team, das die Zentralschweizer in einer kleinen Sternstunde Wochen zuvor gleichenorts im Cup-Viertelfinal 4:0 besiegt hatten. Nach 90 Minuten sieht sich Meyer Illusionen beraubt: Fanproteste, Eier auf dem Terrain, Räumung, trotz YB halbleeres Stadion, 1:3. Ein paar Tage später kommt Xamax nach Luzern. 0:1, noch weniger Publikum.

Die Momentaufnahmen bilden das Leiden quer durch die Liga ausserhalb von Bern ab. Nicht nur in Luzern und Zürich. Auch in St. Gallen, Sitten und Lugano, selbst in Basel, wo sich die Mannschaft immerhin stabilisiert hat. Sogar in Thun kommt der Eindruck auf, dass der Überraschung der Saison auf den letzten Metern die Luft ausgeht. Ganz oben kreisen die Young Boys einsam in einer eigenen Umlaufbahn, der Meister, der sich wochenlang auf Ehrenrunden dem Feiern hingeben kann. Dahinter kriecht der Rest. Ausdruck dessen sind teilweise stark sinkende Zuschauerzahlen. YB gewinnt im Vergleich zur letzten Saison 4000 zahlende Personen pro Spiel. Auch der FC Zürich ist vorübergehend leicht im Plus, aber auch nur darum, weil ihm YB am letzten Sonntag das Stadion füllte. Das hält den Zuschauerdurchschnitt in der Liga mit etwas über 11 100 ungefähr auf dem Niveau vom letzten Jahr.

Den Bernern ist der Boom nach der jahrzehntelangen Leidenszeit und dem permanenten Stopfen von Millionenlöchern zu gönnen, auch wenn ihre Freude durch überbordende Pyrotechnik, brennende Fackeln und beissende Augen geschmälert wird. Doch für die Super League ist YB auch Blendwerk. Die sonst rückläufigen Zuschauerzahlen bezahlen die Geldgeber der ökonomisch ohnehin leidenden Klubs cash, weil das Ticketing in der Schweiz nach den drei primären Pfeilern (Mäzenatentum, Europacup, Transfers) eine nicht unwichtige Finanzquelle ist.

Einer der Gründe für die Zurückhaltung des Publikums ist die festgefahrene Super League, die sich nicht von der Frage ernähren kann, ob die Berner die Rekorde der Basler übertreffen. Sie kann von Glück reden, dass YB ein zumindest temporärer Machttransfer geglückt und es zum Dominator aufgestiegen ist. Und nicht der FC Basel, der Serienmeister von 2010 bis 2017, seine Rolle weiterspielt.

Besser aufgestellt als Österreich

Auch andere Ligen sind festgefahren. In Frankreich weiss man schon lange, dass Paris St-Germain 2019 abermals Meister wird und dies wohl auch 2020 und 2021 der Fall sein wird. In der Ligue 1 ist der Zuschauerdurchschnitt indessen auf 22 500 gestiegen. Da wirkt sich der Neymar-Effekt aus. Zudem sind Paris, Marseille und Lyon Publikumsmagnete. Auch die schwer verschuldete Serie A hat mit Juventus Turin einen Langzeitmeister, aber mit fast 25 000 Zuschauern pro Match steigende Besucherzahlen. Dank dem Ronaldo-Effekt und dank den zwei Mailänder Klubs. Österreich ist eine bessere Vergleichsgrösse für die Schweiz. Dort gewinnen meistens die Salzburger, doch die locken im Durchschnitt keine 10 000 Personen an. Der Durchschnitt der Liga beträgt 6500. Auch wenn die Titelentscheidung in einem neuartigen Play-off-System erst in den nächsten Wochen fällt und erhöhte Temperatur verspricht, lässt die Resonanz zu wünschen übrig. Die Schweiz ist also nicht allein. Und sie ist, verglichen mit Österreich, immer noch gut bedient.

Auf Knopfdruck lässt sich Spannung nicht implementieren. Die Liga braucht aber dringend eine Energiezufuhr, weil sich Vorhersehbarkeit im Sport auf Dauer nur schlecht verkaufen lässt und weil sie sich nicht von selber unterhält wie etwa die Bundesliga mit ihren zahlreichen Ballungszentren. Die Energie könnte darin bestehen, dass sich in der Schweiz das Modell durchsetzt, das jetzt wieder den schottischen Fussball prägt, nachdem die Glasgow Rangers auferstanden sind. Oben YB und Basel im Zweikampf (Celtic Glasgow, Glasgow Rangers), unten der Rest. Aber was ist eigentlich mit diesem Rest?

Weder in der Sittener Unruhe noch im Luzerner Kompetenzgerangel, noch im St. Galler Mittelmass, noch in der Zürcher Selbstüberschätzung (FC Zürich) oder auf der Zürcher Irrfahrt (GC) entsteht im Kleinen etwas Grosses. Seit Jahren. Das wäre doch einmal etwas: ein Team ausserhalb von Bern und Basel, das gedeiht und gegen oben stösst. Aber nichts da. Ein Grund dafür ist die Unselbständigkeit vieler Vereine, die auf Geldgeber angewiesen und von deren Launen abhängig sind. Es kann nicht am FC Thun liegen, die Rolle der Nummer 3 zu übernehmen, wie er dies in der laufenden Saison tut – wenigstens bis zu einem gewissen Grad. Das Malaise der Liga spiegelt sich zudem im internationalen Geschäft. Die mangelhaften Europacup-Resultate haben für die Schweizer Teilnehmer gravierende Folgen hinsichtlich des Zugangs zu den europäischen Wettbewerben 2020. Hier sind die Österreicher viel besser dran.

Die Schweizer Klubs reagieren wie im Ausverkauf mit Sonderaktionen auf den Zuschauerschwund und kündigen wie in Luzern eine Reduktion der Eintrittspreise an. Der FC St. Gallen füllt am Samstag zum 140-Jahr-Jubiläum wieder einmal sein Stadion, ringt aber im normalen Leben ebenfalls um Zuschauer. Von über 14 300 2012/13 ist der Durchschnitt fast kontinuierlich auf 12 000 gefallen. Das tägliche Fussball-TV-Menu, andere Freizeitangebote und die Sicherheitsproblematik tragen das Ihrige zur misslichen Lage bei. Doch ein einfaches Rezept zur Genesung existiert nicht. Christian Constantin, der Präsident des FC Sion, verweist auf die ökonomische Kluft zwischen dem Duo YB/Basel und der Konkurrenz und fordert unvermindert eine Modusänderung.

Die Abgründe 2011/12

Allerdings: Wer denkt, dass es schlimmer nicht sein kann, darf sich gern an die Saison 2011/12 erinnern. Damals zog zwar der FC Basel mit einem Top-Team (Sommer, Shaqiri, Xhaka, Frei, Streller) dank dem 2:1-Erfolg gegen Manchester United in die Achtelfinals der Champions League ein und dominierte die heimische Liga mit 20 Punkten und mehr Vorsprung. Aber dahinter öffneten sich Abgründe. Xamax ging Konkurs und wurde mitten in der Saison zwangsrelegiert, dem FC Sion wurden wegen Regelverstössen 36 Punkte abgezogen.

Neben dem Zweikampf Basel/YB könnte der sich in Richtung Aufstieg bewegende Servette FC Leben in die Super League bringen. Als die Genfer 2013 abstiegen, hatten sie mehr Publikum (6666) als heute GC, Xamax, Lugano und Thun. Dennoch ist der auf offenbar stabilen Stützen stehende Verein nur eine leise Hoffnung.

Die Super League braucht Wettbewerb und lebt nicht von einer singulären gelb-schwarzen Blüte, weil kein Neymar und kein Ronaldo zu sehen und die Einzugsgebiete der Klubs begrenzt sind. Das gilt für ganz oben, nicht YB oder Basel, sondern YB und Basel müsste es heissen. Aber auch für weiter unten. Die Super League sehnt sich seit Jahren nach einer Mannschaft, die den Betrieb aufmischt. Wenigstens ein Jahr lang. Wie Ajax Amsterdam diese Saison die Champions League. Zum Glück lässt sich im Fussball ewigwährende Hoffnung verkaufen.

Die Liga braucht eine Energiezufuhr, weil sich Vorhersehbarkeit auf Dauer nur schlecht verkaufen lässt.

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