Presseschau

Basler Zeitung vom 25.04.2019

«Der FCB braucht den FCZ – das ist fast überlebenswichtig»

FCB-Legende Karli Odermatt sagt, warum ein Vergleich zwischen dem FC Basel und dem FC Zürich immer reizvoll bleibt und warum er Rotblau auf Kurs wähnt.

Oliver Gut und Tilman Pauls

Karli Odermatt ist vieles für den FC Basel. Ewige Spielerlegende, erster Botschafter und auch erster Verkäufer, hat er für den Club doch schon mehr Sponsoren an Land gezogen als alle Marketing-Spezialisten zusammen. Seit Sommer 2017 ist er zudem auch Mitdenker, wenn es um die grossen rotblauen Linien geht, sitzt er doch im Verwaltungsrat der FC Basel Holding AG, der Dachgesellschaft, durch die Präsident Bernhard Burgener die Aktienmehrheit an der Profifussball-Abteilung hält, die in der FC Basel 1893 AG zusammengefasst ist.

Vor allem aber ist der inzwischen 76-Jährige ein grosser Fan von Rotblau, seit er nicht mehr selbst auf dem Rasen um Tore und Titel kämpft. Und für einen Fan des FC Basel gibt es nichts Grösseres als den Klassiker zwischen dem FCB und dem FC Zürich, zu dem es heute Abend im Rahmen des Cup-Halbfinals im Letzigrund-Stadion kommt.

Karli Odermatt, mögen Sie eigentlich den FC Zürich?

Karli Odermatt: Ich mag ehemalige Spieler des FC Zürich, die ich aus meiner eigenen Aktivzeit gut kenne. Da gibt es Freundschaften, die schon zur Zeit unserer erbitterten sportlichen Rivalität neben dem Rasen entstanden und gepflegt wurden. Vor allem mit Köbi Kuhn und Fritz Künzli.

Und den FCZ?

Als FCBler kannst du den FCZ eigentlich nicht mögen, aber auf jeden Fall respektieren. Klar ist für mich: Der FCB braucht den FCZ, diesen Klassiker – das ist für Rotblau fast überlebenswichtig.

Das sind die besonderen Spiele, die immer mehr Faszination ausstrahlen als andere nationale Partien. Wir haben das gesehen, als der FCZ ein Jahr in der Challenge League verbrachte. Da hat er uns gefehlt. Dass jetzt sowohl GC der Abstieg droht wie auch dem FCZ zumindest der Gang in die Barrage, ist nichts, was man als Basler mit Freude sieht.

Zumindest GC dürfte es erwischen …

Davon gehe ich aus. Und wer weiss, was beim FCZ noch passiert. Xamax präsentiert sich jedenfalls stark – und das, obwohl der Präsident für mich einen völlig unverständlichen Entscheid traf, indem er mitten im Abstiegskampf verlauten liess, dass man sich nach der Saison von Stéphane Henchoz als Trainer trennt.

Wie war es für Sie, das FCZ-Trikot zu tragen?

Sie sprechen das Spiel gegen die AC Milan an, als wir ein 1:1 erreichten … Ich denke, unter normalen Umständen hätte ich dem FCZ nie zugesagt, mich für ein Spiel zur Verfügung zu stellen. Aber es war Milan. Köbi Kuhn fehlte dem FCZ verletzt. Und ich selbst war gerade in Verhandlungen mit dem FCB, während FCZ-Präsident Edy Nägeli auch angefragt und mir das Sechsfache meines Basler Gehalts angeboten hatte. Da machte ich dann halt diese Ausnahme. Selbstverständlich trug ich darunter aber das rotblaue Trikot!

Wie musste man sich denn früher die Freundschaft zwischen FCB- und FCZ-Spielern vorstellen?

So, wie es dem Wort entspricht. Köbi Kuhn war schon zu jener Zeit bei mir zu Gast. Ich kannte nicht nur seine Frau Alice, sondern auch seine kürzlich ebenfalls verstorbene Tochter. Ich wusste auch um ihre Probleme mit Drogen und Alkohol, die Köbi nun im Rahmen seiner Autobiografie öffentlich gemacht hat.

Und wie war es auf dem Platz?

Nicht nur friedlich. Da schenkten wir uns nichts. Ich erzähle ja oft das Beispiel, als wir in Basel 0:2 hinten lagen, dann einen Elfmeter erhielten, weil ich reklamierte, so immerhin mit 1:2 in die Pause gingen …

… wo Sie dann von Trainer Helmut Benthaus zusammengestaucht wurden.

Genau. Das machte er immer mal wieder, sagte, ich sei der Schlechteste gewesen. Wohl, weil er wusste, wie ich darauf reagierte. Damals gab ich meinen Zorn anmeine Mitspieler weiter. Dann gingen wir wütend raus, gaben Vollgas, gingen ruppig in die Zweikämpfe, überfuhren den FCZ und gingen mit einem 4:2-Sieg vom Platz. Danach hatten wir gleich einen Zusammenzug mit der Nationalmannschaft – und da gaben sich die FCZ-Spieler plötzlich sehr wortkarg. Ich fand dann, wir Basler reisen unter diesen Umständen lieber wieder ab, denn so haben wir gegen Frankreich keine Chance. Da kam dann Köbi Kuhn doch noch auf mich zu. Er beklagte unser Einsteigen im Match davor. Ich gab ihm durchaus recht, mahnte ihn aber, das nun abzuhaken, um gemeinsam gegen Frankreich zu bestehen. Wir gewannen 2:0.

Was war das grösste Spiel zwischen FCB und FCZ?

Ich denke, daswar 1972. Sowohl der FCB als auch der FCZ konnten das Double holen. Doch im Cupfinal unterlagen wir, bevor es zum entscheidenden Spiel um die Meisterschaft kam. Der damalige «Blick»-Journalist Mario Widmer wollte mich davor provozieren, fragte mich, was denn nun sei, wenn wir nun zu Hause auch noch den Titel verlieren. Ich antwortete nur: Hör zu Mario, dieses Spiel gewinnen wir auf jeden Fall! Wir trainierten in der Woche wie Wahnsinnige. Dann kam das Spiel, wir machten Dampf, erhielten bereits in der 5. Minute einen Elfmeter. Und alle meine Mitspieler drehten sich weg, vor 56000 Zuschauern im Joggeli. Jeder wusste: Wenn der reingeht, kommts gut – und sonst geht alles bachab.

Sie traten zum Elfer an.

Ich musste. Ich schoss in die Ecke, der Goalie war dran – aber der Ball drin. Und ich bin mir sicher, dem Goalie hat es dabei mindestens zwei Finger nach hinten geklappt, so stark habe ich geschossen. Am Ende gewannen wir 4:0 – und die FCZ-Spieler standen bei der Pokalübergabe Spalier, um unserer Leistung Respekt zu zollen. Ich bekomme Gänsehaut vom Erzählen.

Wie stand es um Ihre Haut am 13. Mai 2006?

Das ist natürlich aus Zürcher Sicht ein ebenso grosses Spiel. Und klar, ich werde es auch nie vergessen. Unglaublich, dieser Einwurf in der letzten Minute, viel zu weit vorne, der zum 2:1 für die Zürcher führte. Und unglaublich, wie sich die Basler Fans danach verhielten. Ich meine damit nicht nur die Szenen auf dem Rasen. Ich erlebte, wie FCZ-Manager Fredy Bickel von einem Tribünenzuschauer ein Bier über den Kopf geleert bekam. Da fehlt mir jedes Verständnis. Fussball ist emotional, es wird auf dem Platz gekämpft. Aber er ist ein Spiel.

Zuletzt schienen beim Duell FCB-FCZ nicht mehr ganz so viele Emotionen drin zu sein.

Klar, dass es nicht dasselbe ist, wenn wir auf dem zweiten Platz stehen, während der FCZ sich gegen hinten orientieren muss. Aber auch beim 2:0 im letzten Heimspiel waren Emotionen drin. Das merkte ich auf der VIP-Tribüne. Die waren anders bei der Sache als sonst. Aber klar, es ist anders, wenn beide Clubs um den ersten Platz kämpfen. Oder um Platz zwei. Oder gegen den Abstieg. Und es wird ganz anders in diesem Cup-Halbfinal sein, bei dem es für beide Teams um einen Titel geht und um einen versöhnlichen Saisonschluss.

Also müssen wir die Frage nach der Wichtigkeit gar nicht stellen, die dieser Halbfinal für den FC Basel hat.

Nein, es ist klar: Dieser Halbfinal ist enorm wichtig. Wir wollen das Final-Erlebnis, das immer speziell ist. Wir wollen diesen Cup gewinnen. Und wir wollen auf dem Weg den alten Rivalen FCZ in dessen Stadion besiegen. Das wäre ein schönes emotionales Erlebnis, das allen mit rotblauem Herzen Freude macht.

Wie wichtig ist der Halbfinal, ist der Gewinn des Cup-Titels für die Position von Marcel Koller als FCB-Trainer? Natürlich will er das auch. Er will etwas gewinnen, will das auf seiner Visitenkarte haben.

Und wenn es um seine Zukunft als FCB-Trainer geht?

Wie die Zukunft eines Trainers aussieht, kann man im Fussball nie klar sagen. Es kann sich schnell ändern. Ich stelle fest: Die Rückrunde ist klar besser, als es die Hinrunde war. Die Mannschaft hat seit 16 Spielen nicht mehr verloren. Und sie hat einige Male richtig gut gespielt.

Gefällt Ihnen der Fussball, den Marcel Koller spielen lässt?

Ich bin ein Mann der Offensive. Ich bin emotional. Und entsprechend liebe ich emotionalen, offensiven Fussball. Mit zwei schnellen Flügeln, die rauf und runter rennen, flanken. Da denkt unser Trainer nicht immer gleich wie ich. Aber wenn Sie zurückdenken: Ob Christian Gross, Murat Yakin oder Urs Fischer, in der jüngeren Vergangenheit funktionierten viele FCB-Trainer ähnlich wie Koller, bauten von hinten auf, aus einer stabilen Defensive. Und inzwischen ist es ja so, dass mit schnellen Flügeln gespielt wird und Ricky van Wolfswinkel wieder in der Mitte agiert. Dass Koller zu Beginn vor allem darum bemüht war, Routine auf den Platz zu bringen und alles nur dem Resultat unterordnete, verstehe ich. Ich hätte dasanseiner Stelle wohl auch so getan.

Wie hört es sich an, wenn man festhalten muss: Der FCB ist die klare Nummer 2 der Schweiz?

Das hört sich nicht gut an, es ist nicht das, was wir beim FCB wollen. Umgekehrt muss man auch sagen: Ja, wir sind die klare Nummer 2 und können noch den Cup gewinnen. Das ist mehr als bei den meisten anderen Clubs.

Wie konnte es so schnell gehen, dass YB den FCB nicht nur ein-, sondern sogar überholte?

In Bern wurde gut gearbeitet. Und wir hatten – auch wenn das schon gesagt wurde – mit dem Wechsel der ganzen Clubführung einen riesigen Umbruch zu bewältigen. So, wie die Tabelle jetzt aussieht, empfinde ich es als extrem. Aber ich denke, das hat mit dem Berner Hochgefühl zu tun, das aus dem Titel und dem rasch wachsenden Vorsprung in der neuen Saison entstand – und damit, dass für uns der Ausfall mehrerer Innenverteidiger im ersten Halbjahr nicht zu verkraften war. Was ich sagen will: YB ist in dieser Saison nicht so viel besser, wie die Tabelle aussagt.

Wann wird der FCB zumindest wieder gleich stark wie YB sein?

Es wird daran gearbeitet. In der nächsten Saison wollen wir den Bernern die Stirn bieten. Vielleicht braucht es dafür noch ein, zwei personelle Änderungen. Aber insgesamt sehe ich viel Potenzial, das nicht ausgeschöpft worden ist. Und gleichzeitig wird YB spüren, was es heisst, einige der besten Spieler abzugeben.

Wo steht der FCB folglich Ende April 2020?

Ich bin überzeugt, dass wir zu jenem Zeitpunkt um den Meistertitel spielen – und dass keineswegs schon alles gelaufen ist.

Wenn Sie durch die Stadt flanieren oder in der Beiz sitzen: Werden Sie oft angesprochen und müssen FCB-Präsident Bernhard Burgener verteidigen?

Ich werde so oft auf den FCB angesprochen wie früher. Ob Erster, Zweiter oder gegen den Abstieg – Rotblau bewegt die Stadt, auch wenn die Zuschauerzahlen zuletzt gelitten haben. Und ja, natürlich gibt es Menschen, die mich mit kritischen Worten auf Bernhard Burgener ansprechen.

Was antworten Sie denen, die finden, Burgener würde sich zu sehr um Nebenschauplätze wie Indien oder E-Sports kümmern, statt ums Kerngeschäft?

Dass das nicht stimmt. Und dass es schon gar nicht stimmt, dass es ihm ums Geschäft geht. Sein Herz ist rotblau. Man vergisst gerne, dass er schon in den 90er-Jahren nicht nur im Vorstand sass, sondern dem Club auch half, indem er mich bezahlte, um auf Sponsorensuche zu gehen, was der FCB so nicht vermocht hätte. Es war ja kein Geld da.

Aber Sie, der Sie von früher erzählen und schwärmen, müssten Ideen wie E-Sports auch eher kritisch sehen, nicht?

Ich bin traditionsbewusst. Das sind wir alle im Club. Nur: Man muss mit der Zeit gehen. Burgener ist ein Typ, der Schritte früh wagt. Und wenn sich Projekte wie E-Sports oder Indien auszahlen, kommt das ja primär dem FCB und dem Fussball zugute. Klar ist: Burgener kann rechnen. Er sieht, wie teuer der FCB, der Fussball ist – und berücksichtigt bei seinen Plänen, dass es für den Club mit dem angepassten Modus schwieriger geworden ist, das Geld aus dem Fussball, insbesondere aus der Champions League, zu erwirtschaften.

Als Verwaltungsrat der FCB Holding AG nehmen Sie grossen Einfluss auf Burgeners sportliche Entscheide, oder?

Sportdirektor Marco Streller ist dafür zuständig und wird daran gemessen. Burgener entscheidet natürlich mit. Und ich sage, wie ich die Dinge sehe. Dafür hat mich Burgener ja in den Verwaltungsrat geholt, weil das nicht sein Spezialgebiet ist. Auch wenn er nach all den Jahrzehnten, in denen er Fussball geschaut hat, sehr grosse Ahnung besitzt.

Er ist auch Ihr Freund, hat Ihnen damals aber auch unter die Arme gegriffen …

Das war in den 90er-Jahren. Ich habe ja immer gearbeitet. Schon als Spieler war ich für Kaffeemaschinen unterwegs und habe das auch danach noch gemacht. Doch eines Tages war fertig, ich hatte keine Arbeit mehr. Da fand Burgener, ich solle für den FCB Sponsoren suchen. Damals ging es ja darum, 100 Firmen und 100 Restaurants zu finden, die bereit waren, 5000 Franken zu bezahlen.

Sind Sie in dieser Konstellation bereit, auch zu widersprechen?

Ich bin Bernhard Burgener dankbar, dass er ein bisschen zu mir geschaut hat, als es mir nicht so gut ging. Aber selbstverständlich sage ich ihm meine Meinung. Das ist ihm wichtig, das sollte unter Freunden auch so sein. Und wir sind in erster Linie Freunde. Er ist oft bei mir zu Hause in Rickenbach, wo ich gerne für ihn koche – oder ich bei ihm in Zeiningen. Die Wege sind ja da nicht weit.

Müssen Sie sich als FCB-Verwaltungsrat anpassen, wenn Sie in der Öffentlichkeit verkehren – oder können Sie Feste wie Ihren Geburtstag noch immer feiern, wie sie fallen?

Ich verändere mich nicht mehr! Das wäre ja nicht glaubwürdig. Ich bin der Karli. Und ich bleibe der Karli. Ob am Geburtstag oder an der Fasnacht. Der Chef weiss und akzeptiert das – und ist mit dabei, wenn er Zeit hat. Auch wenn es ihm ein bisschen unheimlich ist (lacht).

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