Presseschau

Basellandschaftliche Zeitung vom 25.04.2019

«Alles andere ist beschissen»

Marcel Koller spricht über sein Cup-Trauma, wieso er Spieler nervt und was heute der grösste Fehler wäre

Céline Feller und Jakob Weber

Haben Sie ein Cup-Trauma?

Marcel Koller: Ich? Weil ich als Trainer noch nie in einem Cupfinal gestanden habe?

Und weil Sie auch sonst als Trainer im Cup eine überschaubare Bilanz haben.

Jetzt musste ich erst überlegen, wie weit ich es denn jeweils geschafft habe (lacht). Mit Wil war ich im Halbfinal – mit einem Zweitligisten notabene. Mit Köln bin ich im Achtelfinale im Penaltyschiessen rausgeflogen. Da wollte niemand Penaltys schiessen (überlegt weiter). Aber ja, jetzt bin ich ja wieder im Halbfinal. Es wurde Zeit! (lacht) Aber als Spieler habe ich den Cup fünf Mal gewonnen. Der Cup ist zum Gewinnen da. Und mit dem FCB haben wir jetzt schon vier Finals gewonnen. Heute kommt der fünfte.

Der Cuptitel gilt als jener, der am einfachsten zu holen ist.

Nein, um ihn zu gewinnen, ist er nicht am einfachsten. Aber er ist der einfachste Weg, um international dabei zu sein. Wobei das bei uns ja jetzt auch wieder nicht gilt. (Der zweite Platz wird höher gewertet als ein Cuptitel, weshalb der FCB auch bei einem allfälligen Cupsieg nicht direkt in der Europa League mitspielen darf, sondern wie im vergangenen Jahr in der Champions-League-Qualifikation antreten muss, Anm.d.Red.)

Als Spieler konnten Sie den Cup fünf Mal gewinnen. Welche Erinnerungen haben Sie daran?

Bei meinem ersten Cupsieg gab es sogar zwei Spiele. Gegen Servette haben wir im Hinspiel 2:2 nach Verlängerung gespielt. Da waren wir eigentlich die schlechtere Mannschaft.

Aber Andy Egli hat GC in der 117. Minute der Verlängerung mit dem Ausgleich ins Wiederholungsspiel gerettet.

Ja, der Egli. Das Rückspiel konnten wir dann 3:0 für uns entscheiden. Einen Titel zu holen ist immer schön. Es ist das, was man das ganze Jahr über anstrebt. Die Meisterschaft ist natürlich in einer gewissen Weise wertvoller, aber auch einen Cuptitel nimmt man gerne mit. Ich habe an alle Titel schöne Erinnerungen. Der erste ist natürlich noch etwas spezieller, aber Titel sind am Ende das, was bleibt.

Können Sie von den Erfolgen als Spieler von damals etwas adaptieren auf Ihren Job als Trainer heute? Gewisse Methoden Ihrer Trainer zum Beispiel?

Nein, ich bin jetzt ja auch schon lange dabei. Man kann das nicht mehr mit damals vergleichen. Am Ende trage ich zusammen mit meinem Trainerteam die Verantwortung. Wenn der Plan für mich passt, kann ich es vermitteln. Aber die Spieler müssen ihn auch begreifen. Ich kann während des Spiels nicht eingreifen. Ich kann nur reinrufen oder Wechsel vollziehen. Das Tor aber kann ich nicht selber schiessen oder den Pass selber spielen. Für immer neue Situationen eine Lösung zu finden, ist das Schwierigste als Trainer. Bei uns ist es nicht wie bei Schauspielern, wo Szenen wiederholt werden können und der Ball immer wieder am selben Punkt landet. Wir müssen flexibel sein.

Beim FCB fokussiert sich alles auf den Cup, der Meistertitel ist futsch. Wann haben Sie das zu realisieren begonnen? Bereits im Winter, als der Rückstand auf YB bereits beträchtlich war?

Nein gar nicht. Wir haben uns auch da noch vorgenommen, Spiel für Spiel zu nehmen. Aber wenn man den Titel verpasst, dann hat etwas nicht gepasst, das ist so. Jetzt ist die Meisterschaft abgeschlossen, und es geht darum, zu sehen, wo die Mentalität dieser Mannschaft und jedes Einzelnen ist. Lässt er sich hängen, weil er denkt, es ist eh vorbei? Oder beisst er durch und will trotzdem noch alles gewinnen in der Meisterschaft?

Die richtige Einstellung braucht es auch beim Penaltyschiessen. Sie haben eingangs gesagt, dass in Köln keiner schiessen wollte. Haben Sie diesbezüglich für heute schon vorgebeugt und Spieler bestimmt?

Das schauen wir dann nach einer allfälligen Verlängerung, weil auch noch nicht klar ist, wer denn alles noch auf dem Platz stehen würde. Es gibt Spieler, die bereits angemeldet haben, dass sie schiessen. Aber gewisse haben auch schon abgewinkt. Aber ich denke, ich habe mehr Penaltyschützen als in Köln damals (lacht).

Hatten Sie den Mut, zu schiessen?

Ich habe schon ab und zu geschossen – aber auch ab und zu verschossen. Das verfolgt dich dann ein paar Tage.

Wie wichtig ist es, noch zwei bedeutende Spiele zu haben, um die Spieler für den Rest der Saison zu bespassen?

Natürlich hilft es, die Spannung hochzuhalten. Aber wir müssen die Spieler nicht bespassen. Das ist ihr Job. Wenn man keine Spannung hat, verletzt man sich auch eher. Hinzu kommt, dass immer viele Leute ins Stadion kommen und kein Team sehen wollen, das sich hängen lässt. Die Fans haben bezahlt, um vollen Einsatz und ein gutes Fussballspiel zu sehen.

Sie betonen immer wieder, dass eine Mannschaft sechs Monate braucht, um die Botschaft eines neuen Trainers zu verstehen. Haben Sie das Gefühl, die Mannschaft weiss, was Sie wollen?

In vielen Situationen, ja. Das sieht man ja auch in den Resultaten, welche viel besser sind als noch in der Hinrunde. Dass es ein paar Dinge drinhat, die noch nicht klappen, ist normal.

Stichwort Torabschluss.

Da geht es um Erfahrung und Bewusstsein, ja. Aber so viele Torchancen herauszuspielen ist auch ein Plus und eine gute Chance, ein Spiel für sich zu entscheiden. Der finale Touch muss einfach noch besser werden.

Wo sehen Sie denn, dass die Mannschaft umsetzt, was Sie fordern?

An der Art, wie wir spielen und trainieren. Sowohl in der Defensivarbeit – wie kompakt wir stehen, wie wir agieren, wenn wir den Ball nicht haben – als auch wie wir den Ball laufen lassen und uns Chancen kreieren.

Wie wichtig wäre für Sie ein Cuptitel, um Bestätigung zu haben, dass Ihre Arbeit fruchtet?

Natürlich täte der Cuptitel gut und ist wichtig. Und ich will den auch. Aber ich denke, Ludovic Magnin möchte ihn auch.

Die Bilanz für Sie als FCB-Trainer in dieser Saison hängt stark vom Abschneiden im Cup ab. Empfinden Sie das als unfair?

Ich bin keiner, der urteilen mag, ob etwas fair oder unfair ist. Es ist wohl so, dass die Aussenwahrnehmung nun einmal so ist. Das muss ich zur Kenntnis nehmen.

An was beurteilen Sie denn, ob Sie eine erfolgreiche erste Saison hatten?

Das hängt nicht vom Cup ab. Für einen Verein wie den FCB ist es wichtig, Titel zu gewinnen. Aber für eine Beurteilung ist das ganze Jahr wichtiger als nur diese sechs Spiele. Wir haben anfangs gesagt, dass wir zu wenig Power haben. Das haben wir geändert. In der Rückrunde haben wir noch kein Spiel verloren. Auch daran sieht man, dass etwas passiert ist. Wir haben ausserdem junge Spieler integriert und gesehen, dass sie weiter sind als damals, als wir übernommen haben. Das sind Prozesse, die man beurteilen sollte. Nicht nur, wo wir gewonnen und wo wir verloren haben oder wie viel Abstand wir haben.

Bedeutet für Sie eine Entwicklung eines jungen Spielers wie Noah Okafor also mehr, als noch ein, zwei Spiele mehr zu gewinnen?

Es ist beides wichtig. Im Cup sind es noch zwei Schritte, den ersten müssen wir heute machen. Dann kommt das Finale. Beide Spiele sind dazu da, gewonnen zu werden. Alles andere ist beschissen, um ehrlich zu sein. Aber wir müssen es schaffen, genau an dem Tag zu dem Zeitpunkt die genau richtige Leistung auf den Platz zu bringen. Das müssen sich auch junge Spieler bewusst sein, dass es nicht mehr Juniorenfussball ist. Es muss sich einbrennen. Wenn es nicht ankommt, muss ich den Jungen eben auf den Nerv gehen und es wiederholen. Immer wieder.

Wie nehmen Sie die Mannschaft vor diesem wichtigen Spiel wahr?

Nicht gross anders. Wir sind fokussiert, aber nicht nervös. Ich sitze im Bus auch nicht auf einem anderen Platz oder ändere sonst etwas in der Spielvorbereitung.

Spüren Sie aber ein Brennen auf dieses Spiel? Immerhin ist es seit langem wieder eines, das Bedeutung hat.

Wenn du dieses Brennen zu sehr hochpushst, bist du gefangen. Es ist besser, es ruhig angehen zu lassen. Wir wissen, was wir können, und das müssen wir abrufen. Wenn wir das tun, dann sind wir gut. Wenn ich aber hier oben (Koller zeigt auf seinen Kopf) überdrehe, dann – so meine Erfahrung – habe ich die Ruhe nicht, schwierige Situationen im Spiel zu erkennen und zu wissen, wo es was braucht.

Zürich hat einen Negativlauf. Wie viel einfacher oder schwieriger macht das dieses Cupduell?

Es wird entscheidend sein, dass wir uns davon nicht einlullen lassen. Wenn wir denken, wir können locker auf den Platz gehen, da bei ihnen aktuell eine kleine Unruhe herrscht, wäre das der grösste Fehler, den wir machen können.


Zur Person
Marcel Koller kam am 11. November 1960 in Zürich auf die Welt. Im Alter von 12 Jahren trat er GC bei – und blieb 25 Jahre lang dort. In 428 Profi-Spielen holte er sieben Meister- und fünf Cup-Titel. Nach der Aktiv-Karriere stieg Koller ins Trainer-Business ein und trainierte in der Schweiz Wil, St. Gallen und GC. Zwischen 2003 und 2009 war er beim 1. FC Köln und später bei VfL Bochum tätig. Im Jahr 2011 übernahm er die österreichische Nationalmannschaft. Seit dem 2. August 2018 ist er Trainer des FC Basel. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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