Presseschau

Aargauer Zeitung vom 17.05.2019

«Ich kann noch in den Spiegel schauen»

FCB-Sportchef Marco Streller über die unfaire Uefa-Behandlung, Transfers und die Bedeutung des Cuptitels

Céline Feller und Jakob Weber

Was sagen Sie zu folgender These: Der Cupsieg wäre nicht die Rettung der verkorksten Saison, sondern schlicht die Erfüllung eines Zieles.

Marco Streller: Ich glaube, man muss es unterschiedlich anschauen. Wir wussten in der Winterpause schon, dass die Meisterschaft wohl verloren ist und wir international nicht vertreten sind. Im Kopf gab es nur noch diesen 19. Mai. Denn ein Titel ist ein Titel. Die Analyse dieser Saison wird dieser allfällige Cupsieg nicht beeinflussen. Da gebe ich Ihnen recht.

Besteht keine Gefahr, dass man sich von einem Titel in der Aufarbeitung der Saison blenden lässt?

Nein, das wird definitiv nicht passieren. Aber es ist ein Titel, kein Trostpreis. Wir brennen alle so extrem auf diesen Match am Sonntag. Über alles andere mache ich mir jetzt keine Gedanken.

Mit dem Cup würde sich der FCB den einfachst möglichen Titel holen.

Es ist doch nicht der einfachste Titel, den man holen kann. Wir hatten nur Auswärtsspiele, mussten gegen die Cup-Mannschaft schlechthin, den FC Sion, antreten und mussten in Zürich spielen. Ich lasse mir diesen Titel von niemandem schlecht reden, ich schätze ihn aber auch richtig ein.

Am Ende garantiert der Titel dem FCB aber nicht einmal einen fixen Startplatz in der Europa League.

Das ist ein Witz. Dass die Uefa die Champions-League-Qualifikation höher bewertet als einen fixen Startplatz in der Europa League, zeigt, dass Anliegen kleiner Klubs auf dieser Ebene niemanden interessieren. Das wären sichere Einnahmen gewesen von zirka 10 Millionen. Ich kann das nicht verstehen, aber auch nicht ändern.

Was würde der Titel für Sie persönlich und Ihre Arbeit bedeuten?

Es wäre sehr, sehr wichtig. Für uns alle. Dieser riesige Umbruch, der von uns vielleicht auch ein wenig unterschätzt worden ist, war so ein immenser Einschnitt. Der Fussball hat sich in den letzten zwei Jahren so stark entwickelt – in eine in meinen Augen schwierige Richtung – und wenn man das alles anschaut, wäre es für uns wirklich extrem wertvoll. Es würde zeigen, dass doch gewisse Dinge richtig gemacht wurden.

Wäre der erste Titel für das Projekt von Ihnen und Bernhard Burgener die benötigte Bestätigung?

Der grösste und wichtigste Titel ist die Schweizer Meisterschaft. Solange wir die nicht haben, ist das Projekt für mich nicht abgeschlossen. Wir haben dafür noch ein Jahr Zeit, erst dann ist 2020. Aber es wird nicht einfach, das ist auch klar.

Ist dieser Cupfinal das wichtigste Spiel, seit Sie Sportchef sind?

Es geht um einen Titel, das sagt alles.

Aber es gäbe auch die Partie in Limassol, die den Titel des wichtigsten Spieles verdient hätte. Dort ging es um den Einzug ins europäische Geschäft.

Das war wichtiger, aber wir können das nicht mehr ändern. Ich schaue auch nicht zurück, das wäre Energieverlust. Dinge korrigieren kann man erst in der anstehenden Pause. Weil der Cupfinal noch bevorsteht, sage ich: Ja, es ist das Wichtigste.

Macht es Sie nervös, dass es erstmals als Sportchef um einen Titel geht?

Es ist eine gewisse Anspannung da, ja. Das ist aber wichtig und richtig. Ich kenne es als Spieler, jetzt muss ich der Mannschaft vertrauen und versuchen, dieses Vertrauen auch zu vermitteln. Aber das Vertrauen ist da. Wenn ich an die Vorrunde denke, hatte ich ganz ehrlich gesagt manchmal auf der Tribüne das Gefühl, dass wir in ein 0:3 laufen könnten. Wenn man das Spiel gegen YB vom Sonntag ausklammert, dann hatte ich in der Rückrunde immer das Gefühl: Heute können wir nicht verlieren. Das ist wertvoll. Das macht mich ruhiger.

War der Gedanke präsent, was passiert, wenn man diesen Titel verspielt?

Nein, weil ich so überzeugt bin, dass wir es schaffen werden. Aber ich weiss, worauf Sie hinauswollen. Wenn wir diesen Cupfinal nicht gewinnen, dann war diese Saison nicht zufriedenstellend. In vielen Augen zumindest, ich muss das etwas differenzierter betrachten. Aber ohnehin setze ich mich nicht mit dem Worst-Case-Szenario auseinander. Sonst kann ich gleich die weisse Fahne schwenken. Und wenn der Fall doch eintritt, erlebe ich das noch genug früh (lacht).

Wieso wäre es kein Desaster für Sie?

Die ganz schlimmen Sachen sind 2018 passiert, nicht 2019. Cupfinal hin oder her: Es ist eine Steigerung da. Das ist genauso wichtig für mich. Wer die Situation nüchtern betrachtet, sieht diese Entwicklung.

Was beschäftigt Sie zurzeit mehr: Der Cupfinal oder die Kadermutationen?

Nur der Cupfinal. Selbstverständlich muss man in der Kaderplanung einige Dinge vorbereiten. Aber vor diesem Sonntag gibt es keine Entscheidungen von uns. Der Fokus liegt auf dem Cupfinal. Das verstehen sogar die Agenten.

Viele Verträge laufen noch bis 2020. Wie gross ist Ihr Spielraum für einen Umbruch beim FCB überhaupt?

Es ist schwierig. Es gibt Sportchefs in Europa, jene in den grossen Ligen, die es wohl einfacher haben als ich, weil sie sehr viel mehr Geld zur Verfügung haben. Deshalb muss man da etwas kreativer sein. Ich möchte mich aber nicht beschweren. Ich habe gesagt, dass ich diesen Weg mitgehe und das mache ich auch. Aber es ist natürlich nicht einfach, wenn man tendenziell runterschrauben sollte. Ich kenne mein Budget. Die Finanzen müssen natürlich berücksichtigt werden. Selbstverständlich werden auch die Wünsche des Trainers berücksichtigt. Und dann gibt es eigene Ideen, die man als Klub verfolgen will.

Passt denn der Trainer mit seinen Ideen zu den Ideen des Klubs?

Dazu mache ich mir im Moment keine Gedanken. Wir haben am Sonntag einen Final vor uns, das ist das Einzige was zählt.

Aber Sie werden sich vor dieser Woche Gedanken gemacht haben und werden dies auch nach dem Sonntag tun.

Nein, momentan nicht.

Wirklich nicht?

Natürlich nicht.

Natürlich wäre, wenn Sie das bei einer solchen Entscheidung getan hätten.

Aber dann würde ich Ihnen ja jetzt auch nicht sagen, was der Stand ist.

Letzte Woche wurde der Geschäftsbericht 2018 publiziert. Er zeigt, dass der FCB 21 Millionen sparen muss und, wie bedeutend der internationale Wettbewerb ist. Der Weg nach Europa wird aber immer schwieriger. Da sind Vergleiche mit Ihrem Vorgänger Georg Heitz doch unfair.

Die sind total unfair. Aber es macht keinen Sinn, darüber zu reden. Es ist immer einfacher, von hinten zu schiessen anstatt Verantwortung zu übernehmen. Das tun wir immerhin. Deshalb dürften wir auch mal etwas Respekt einfordern für die Aufgabe, die wir hier übernommen haben.

Wird Ihre Arbeit unterschätzt?

Zum Teil sicherlich. Ein bisschen mehr Objektivität wäre manchmal schön. Ich will keine Carte Blanche, aber Realitätssinn.

Als Sportchef müssen Sie Ihre Emotionen auf der Tribüne zügeln. Haben Sie Angst, dass man Sie verurteilt, wenn Sie diese am Sonntag rauslassen?

Wenn wir diesen Titel holen, ist es mir komplett egal, wer was sagt. Punkt. Es wird emotional werden. Ich werde mich als Mensch nicht verändern, ich bleibe mir treu. Ich kann jeden Tag in den Spiegel schauen, das ist das, was für mich zählt. Und wenn am Sonntag dieser Titel geholt wird, dann wird es in ganz Basel wieder die ganz grossen Emotionen geben. Denn zwei Jahre im Tal der Tränen nehmen die Selbstverständlichkeit weg und sorgen dafür, dass es wieder etwas ganz Spezielles wird. Dann merken auch die Leute, dass unser Weg stimmt. Dann kann in Basel wieder eine Euphorie entstehen, die die Mannschaft trägt und uns hilft, wieder näher an YB ranzukommen. Dann kann ich Ihnen vielleicht auch in einem nächsten Interview sagen: Es hat sich alles gelohnt.

Zurück