Presseschau

Schweiz am Wochenende vom 18.05.2019

Wie ein Stier mit dem roten Tuch vor Augen

Valentin Stocker hat schwere Zeiten hinter sich. Im Cupfinal gegen Thun könnte der Basler Flügelstürmer aber wieder die Rolle des Helden spielen

Jakob Weber und Céline Feller

Verbissener Gesichtsausdruck, schwenkender, etwas in den Nacken gelegter Kopf und wedelnde Arme. Wenn Valentin Stocker sprintet, zeigt seine Körperhaltung gelegentlich, dass er eigentlich gerne schneller laufen würde. Doch irgendwie wollen die Beine nicht mitziehen. Der Gegenspieler holt auf, und nicht selten in den vergangenen anderthalb Jahren endet Stockers gute Ausgangslage mit einem Ballverlust. Vor gut einem Jahr beim 2:2 in Bern bietet die Basler Nummer 14 gleich zweimal ein solches Bild. Doch auch in anderen Spielen stöhnen die FCB-Fans laut auf, wenn der Rückkehrer eine Grosschance «verstockert». «Die Erwartungen sind bei mir halt da, dass jeder reingeht. Das habe ich mir selber eingebrockt», erklärt Stocker wenige Tage vor dem Cupfinal gegen Thun. Die Emotionen der Fans rund um seine Person kann er nachvollziehen: «Manchmal sind wir Fussballer auch ein Spielball der Zuschauer, die selber irgendwie Dampf ablassen wollen.»

Natürlich ist auch Stocker selbst nicht zufrieden mit seinen Leistungen im Frühjahr 2018, doch er spürt zu jeder Zeit, dass er noch in der Lage ist, an frühere Leistungen anzuknüpfen. Dass der Spieler, der den Unterschied ausmachen kann, noch in ihm steckt. Genau deswegen hatte FCB-Sportchef Marco Streller ihn vor anderthalb Jahren aus Berlin zurück nach Basel geholt. Zu dem Verein, mit dem Stocker zwischen 2007 und 2014 sechs Meistertitel und drei Cupfinals gewann.

Hilfe für den Kopf

Im Sommer des vergangenen Jahres sitzt Stocker öfter mit seinem langjährigen Mentalcoach Christian Marcolli zusammen. Was genau er in diesen Gesprächen bespricht, mag er nicht preisgeben, da es persönliche Inhalte sind. Doch Stocker verrät: «Wir haben uns gefragt: Was sind meine Ziele und wie komme ich da hin?» Hundert Prozent fit zu sein, sei ein Ziel gewesen. Mit den Konditionstrainern erstellt Stocker ein individuelles Trainingsprogramm: «Weil der Fokus in Deutschland eher auf der Ausdauer lag, wollte ich gerne wieder etwas mehr Spritzigkeit und Schnelligkeit. Doch das ging natürlich nicht von heute auf morgen.»

Immer wieder fährt sich Valentin Stocker während des Gesprächs mit der Hand durch die Haare. Auch als er sagt: «Das zentrale Thema im Fussball ist der Kopf.» Sein Selbstvertrauen zieht der 30-Jährige vor allem aus dem Team. Nur wenn Stocker den Zusammenhalt spürt, kann er sein Potenzial entfalten. Dann kommt er nicht selten in einen Flow. Plötzlich gehen Bälle rein, die vorher noch an den Pfosten geklatscht wären. «Mein Selbstvertrauen steigt auch, wenn meine Kollegen eine tolle Kombination machen, an der ich nicht beteiligt bin», sagt Stocker.

Durch den Umbruch beim FCB hat es eine Weile gedauert, bis der Rückkehrer wieder voll ins Team integriert ist. Fast schon philosophisch sagt Stocker: «Ich habe mich von Anfang an bereit erklärt, Teil des Umbruchs zu sein. Manchmal wirst du verstanden, manchmal missverstanden. Manchmal gehört, manchmal überhört. Aber am Ende braucht alles vor allem Zeit.» Die gibt es im Fussball wenig, im erfolgsverwöhnten Basel erst recht nicht.

Auch in dieser Saison wird er immer wieder von Verletzungen zurückgeworfen. Im Herbst 2018 steigt Stocker wieder ins Training ein, obwohl er spürt, dass die Oberschenkelzerrung noch nicht ganz ausgeheilt ist. Die Zwangspause verlängert sich. «Im Nachhinein war das ein Fehler. Ich hätte auf meine innere Stimme hören müssen», sagt er.

Im Jahr 2019 bleibt Stocker bis auf eine kleinere Blessur Mitte April verletzungsfrei. Gegen Xamax trifft er Ende Februar zum 1:0. Die Erlösung steht ihm beim Jubel ins Gesicht geschrieben. «Wir haben unsere Tore zuletzt zu wenig gefeiert. Deswegen dachte ich mir, ich juble jetzt mal richtig», sagt ein gut gelaunter Stocker nach jenem Spiel.

Vier Tage später avanciert der Wiedererstarkte als Einwechselspieler im Cup-Viertelfinal in Sion zum Matchwinner. Seine beiden Tore in der Verlängerung bringen dem FCB den Sieg. Statt den Ball zu verstockern, donnert er ihn beim 3:2 mit der Selbstverständlichkeit früherer Tage ins Netz. Stocker, so scheint es, ist mit einem Jahr Verspätung endlich in Basel angekommen.

Die positive Entwicklung würde er am kommenden Sonntag nur allzu gerne vergolden. «Das ist schon krass. Eine Saison ohne Titel ist hier in Basel schon fast zu viel. Eine zweite Saison liegt nicht drin», sagt er und fügt an: «Ein verlorener Cupfinal würde einen Makel hinterlassen. Dann hilft auch die gute Rückrunde nichts.»

Zukunftsvisionen im Auto

Gegen Thun dürfte Stocker in der Startelf stehen. In den vielen Autostunden zwischen seinem Wohnort Luzern und Basel blitzen in diesen Tagen unbewusst immer wieder Spielszenen auf, die so im Final passieren könnten. Es sind ausschliesslich positive Gedanken. «Dann fühle ich mich gleich gut», sagt Stocker. Er will nicht nur mental optimal vorbereitet in seinen sechsten Cupfinal gehen: «Wenn es losgeht, will ich der Stier sein, der nur noch das rote Tuch sieht.» Stocker ist sich bewusst, dass er nicht alles beeinflussen kann. Aber er wird alles dafür geben, dass er am Ende mit Mannschaft und Fans auf dem Barfi den Cupsieg feiern kann. Erhobenen Hauptes und mit einem entspannten Strahlen im Gesicht.

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