Presseschau

Basler Zeitung vom 21.05.2019

Die Frage nach dem grösseren Risiko

Die Äusserungen nach dem Cupsieg unterstreichen, dass im Club über den Trainer diskutiert wird.

Oliver Gut und Tilman Pauls

Sportdirektor Marco Streller verzichtete darauf, ein klares Statement zu seinem Trainer abzugeben. Marcel Koller selbst sprach davon, dass man darüber reden müsse, wenn einem seine Arbeit nicht passe. Kurz: Es waren ungewöhnliche Schwingungen, die vom FC Basel am Sonntag im Angesicht seines 13. Cup-Siegs ausgingen. Schwingungen allerdings, die nicht überraschen können: Bei Rotblau wird seit längerem darüber gebrütet, ob es richtig ist, mit Koller in die neue Saison zu gehen. Und die Voten von Bern zeigen, dass dies nach dem Cup-Erfolg noch nicht abgeschlossen ist.

Argumente, warum sich die Clubführung für eine Zukunft mit Koller entscheidet, gibt es einige. Aber es gibt genauso viele, die dagegen sprechen. Entscheidend wird sein, welches Argument wie viel Gewicht erhält.

Was für Koller spricht:

Der Cuptitel. Nur selten hat man Koller so ausgelassen erlebt wie am Sonntag. Nach dem Schlusspfiff tanzte er sogar die Fernsehcrew des SRF an, worauf Rainer Maria Salzgeber etwas irritiert fragte: «Ist das der echte Marcel Koller?» Und die Reaktion des Trainers war ja verständlich.

Für den 58-Jährigen ist es der erste Titel seit der Meisterschaft mit GC 2003 – aber auch ein gutes Argument, wenn es um seine Zukunft geht. Koller ist damit der erste Trainer unter der neuen Führung, der einen Titel nach Basel geholt hat. Und er hat im Schweizer Cup letztlich bewiesen, dass er auch die wichtigen Spiele gewinnen kann. Ein Punkt, der ihm nach den Niederlagen gegen Limassol und YB vorgehalten wurde.

Die Rückrunde. Der Titelgewinn steht stellvertretend für eine Rückrunde, in der die Basler nur eine Niederlage hinnehmen mussten. Nach einer schwachen Hinrunde haben sie im neuen Jahr spielerisch sicher nicht immer überzeugt. Aber die von Marcel Koller auf Stabilität ausgerichtete Mannschaft ist genau das: stabil. Während man es im alten Jahr kaum schaffte, ein Spiel ohne Gegentor zu beenden, zeigte sich besonders die Defensive verbessert. Der FC Basel fiel kaum unter ein gewisses Niveau.

Die Lernkurve. Dass Koller und die Mannschaft das gemeinsam geschafft haben, liegt auch an der Lernfähigkeit des Trainers. Als einige Spieler im Herbst das Gespräch mit Koller und der Clubführung suchten, setzte er nicht stur seinen Willen durch – weil er wusste, dass er diesen Kampf nicht gewinnen kann. Koller nahm die Kritik seiner Spieler auf und passte seine Arbeitsweise in gewissen Punkten an.

Das heisst nicht, dass die Beziehung zwischen ihm und dem Team seitdem perfekt und ohne Reibereien abläuft. Aber Koller hat gezeigt, dass er bereit ist, sich zumindest in Teilen anzupassen. Eine Eigenschaft, die längst nicht alle seiner Vorgänger hatten.

Die Finanzen. Klar ist, dass eine vorzeitige Trennung von Koller mit Kosten verbunden ist. Der Trainer besitzt noch einen Vertrag bis nächsten Sommer, plus Option auf ein weiteres Jahr. Der FCB müsste also entweder eine Abfindung zahlen oder weiterhin Kollers Lohn. Dabei will der Club Kosten sparen. Allein bis zum Ende des Geschäftsjahrs 2019 sollen die Ausgaben um 21 Millionen Franken gesenkt werden. Wieso sollte er also jetzt zusätzliche Kosten aufwenden, zumal ja gar nicht klar ist, ob der FCB eine bessere Alternative auf der Trainerbank findet.

Die Unentschlossenheit. Unter der von Präsident Bernhard Burgener konzipierten Führung herrschen weder Homogenität noch Klarheit früherer Jahre. Zudem fühlt sich unter den Eindrücken der vergangenen eineinhalb Jahre keiner der wichtigsten Angestellten fest im Sattel. Es ist dies eine Gemengelage, die nach einem Cupsieg schlecht taugt, um sich aus dem Fenster zu lehnen. Ganz unabhängig davon, wer gerade wie denkt. Einfach den Trainer zu wechseln, birgt für alle das Risiko, dass damit nichts besser wird – und man selbst wieder mitten in der Kritik steht.

Was gegen Koller spricht:

Die Akzeptanz. Es gibt wohl keine Mannschaft auf der Welt, die frei von Spielern ist, die sich mit dem Trainer schwertun. Beim FC Basel jedoch beschränken sich die kritischen Stimmen nicht allein auf den Kreis jener, die das Gefühl haben, zu kurz zu kommen. Seit Wochen sind keine Voten aus dem Team zu vernehmen, die Koller stärken. Und auch wenn man sich seit Dezember zusammenraufte: Die Aktion nach dem YB-Spiel (1:7), als die Mannschaft sich beim Sportdirektor und beim Präsidenten über den Trainer beschwerten, war ein klares Signal.

Kollers Gegenmittel ist die harte Hand, was sich bis in die Aufstellung zeigen kann. Damit markiert er den Chef. Auch wenn dieser Anspruch im Profifussball ein hoher ist: Ein Wirgefühl, bei dem jeder für jeden geht, kann so nur schwerlich entstehen.

Die Attraktivität. Leidenschaft jedoch wäre eine jener unabdingbaren Zutaten, um jenen erfolgreichen und attraktiven Fussball zu zeigen, welcher der Clubführung vorschwebt. Hinzu kommt die Grundhaltung: Koller ist nicht der Typ Spassfussball. Disziplin ist sein Primat, im Zweifelsfall werden Spieler bevorzugt, die einen Schritt mehr zurück als nach vorne machen. Damit kann man Resultate liefern. Aber man begeistert selten – oder erst dann, wenn einem wie nach einem 0:2-Rückstand im Cup in Sion nichts mehr anderes übrig bleibt, als auf Angriff zu spielen.

Die Entwicklung. Dazu passt, dass Marcel Koller in der Personalwahl klar stärker auf Routine setzt als auf Energie und Unberechenbarkeit der Jugend. Selbst Noah Okafors gewachsener Bedeutung sollen eindringliche Gespräche zwischen Clubleitung und Trainer vorangegangen sein.

Sicher ist: Okafor ist die Ausnahme der kollerschen Jugendförderung. Bringt der Trainer sonst junge Spieler, ist dies meist eine Frage der fehlenden Alternativen – wie etwa auf der Linksverteidiger-Position, wo sich im Kader mit Petretta (22) und Riveros (21) einzig junge Spieler finden. Eray Cömert (21) etwa, auf den man im Club trotz Unbeständigkeit hohe Stücke hält, war in der Rückrunde nur Innenverteidiger Nummer 4. Albian Ajeti (22), in der Vorsaison Torschützenkönig der Super League, blieb in diesem Kalenderjahr nur noch die Rolle als Mittelstürmer Nummer 2 hinter Ricky van Wolfswinkel. Samuele Campo (23) stagniert als Ersatzspieler.

Es ist das gute Recht (und oft auch die Pflicht) des Trainers, die aus seiner Sicht bestmögliche Mannschaft aufzustellen. Doch im Einklang mit der Clubpolitik, die vermehrt auf den eigenen Nachwuchs setzen will, ist der starke Hang des Trainers zur Routine nur schwer vereinbar.

Die Identifikation. Schon bei seiner Vorstellung hiess es, Marcel Koller sei der Gegenentwurf zu Vorgänger Raphael Wicky. Das ist per se nichts Schlechtes. Das Problem ist nur, dass Wicky vom Typus her gut zu dem passte, was die Philosophie der Clubführung ist – und Koller dem folglich eher entgegensteht. Das zeigt sich in den erwähnten Punkten Attraktivität und Entwicklung.

Hinzu kommt, was nicht absehbar war: Auch nach zehn Monaten unter Basler Sonne scheint Koller keinerlei rotblaue Farbe angenommen zu haben. Er vermittelt nicht den Eindruck, Feuer für den Club oder das Projekt gefangen zu haben, sondern wirkt wie ein Pflichterfüller.

Die Überzeugung. Unter diesen Voraussetzungen findet sich niemand in der Clubführung, der davon überzeugt ist, dass Marcel Koller der Trainer ist, mit dem man YB herausfordern und den St.-Jakob-Park in Zukunft wieder besser füllen kann. Um das zu erkennen, braucht es gar nicht unbedingt Aussagen, die hinter vorgehaltener Hand gemacht werden, sondern genügen auch jene vorsichtigen Äusserungen, die von Sportdirektor Marco Streller und Koller selbst im Nachgang zum Cupfinal am Sonntag gemacht wurden.

Die Skepsis ist gegenseitig, das Binnenklima ist beeinträchtigt. Unter diesen Vorzeichen mit Koller in eine Saison zu gehen, in welcher der wirtschaftliche Druck so gross sein wird wie nie mehr in den vergangenen Jahren, ist fraglos sehr riskant.

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