Presseschau

Tages-Anzeiger vom 27.06.2019

Señor Rudi verlässt das Flugzeug

Ruedi Zbinden war als Scout Schweizer Avantgarde. Jetzt deutet die Ernennung des 60-Jährigen zum Sportdirektor des FCB aber daraufhin, dass in Basel die Uhren für einmalzurückgedreht werden.

Florian Raz

Manchmal hat er sich Mantel, Hut und Sonnenbrille angezogen, um unerkannt einen Gegner seines FC Basel zu beobachten. An einer U-17-WM marschierte er schon mal direkt nach Abpfiff aufs Feld und später in die Garderobe, um während des Auslaufens ein Talent wie Felipe Caicedo anzuwerben, der später für satte zwölf Millionen Franken zu Manchester City weitertransferiert wurde.

Ruedi Zbinden war als Chef-Scout einer der Gründe, warum der FCB ab der Jahrtausendwende zum Dominator im Schweizer Fussball wurde. Jetzt soll er in einer neuen Rolle dafür sorgen, dass die Basler wieder den Anschluss an die Young Boys finden. Seit Ende letzter Woche amtet er als Sportdirektor anstelle des im Streit abgetretenen Marco Streller. Gut möglich, dass unter dem einstigen Trendsetter Zbinden die Uhren beim FCB für einmal zurückgedreht werden.

Ein wenig Lust am Undercover-Dasein, Spass an Abenteuern in gottverlassenen Stadien Südamerikas, der Antrieb, etwas zu entdecken, das andere übersehen haben: So ist Zbinden zur Schweizer Fussball-Avantgarde geworden. Wo die nationale Konkurrenz ausländische Spieler ab Videos verpflichtete, hat er 2001 für den FCB ein internationales Netzwerk aufgebaut, dank dem die Basler Talente aus der ganzen Welt verpflichten und später mit satten Gewinnen an grössere Clubs abgeben konnten.

Zbinden war das Trüffelschwein, das sich in 18 Tagen 16 Spiele quer durch Südamerika reinzog. Und wenn er in São Paulo oder Buenos Aires landete, dann wussten gewisse Agenten spätestens nach der Passkontrolle, dass er im Land war, und riefen an. «Die müssen ein Netz am Flughafen haben», staunt Zbinden noch heute.

Heitz schreibt über Zbinden

Bei seiner Arbeit sah sich der heute 60-Jährige aber vor allem als Zulieferer und weniger als Baumeister. Wer in den Archiven der «Basler Zeitung» sucht, findet einen interessanten Artikel über Zbinden aus dem Jahr 2004. Geschrieben hat ihn Georg Heitz, der damals noch als Journalist arbeitete und heute als erfolgreichster Sportchef in der Geschichte des FCB gilt.

Unter dem Titel «Señor Rudi und sein ausgeklügeltes System» beschreibt Heitz die Arbeit Zbindens. Der war damals inoffizieller Sportchef, weil gegen aussen Präsidentin Gigi Oeri auch als Transferchefin verkauft wurde. Aus dem Artikel geht hervor, dass Zbinden jeweils jene Spielertypen suchte und verpflichtete, für die ihm Trainer Christian Gross einen Auftrag gab.

Ausgerechnet unter Heitz wurde später der Einfluss des Trainers auf die Transfers massiv eingeschränkt. Nicht mehr der Mann an der Seitenlinie sollte Spielphilosophie und Kaderplanung prägen – sondern der Club. Mit dieser Strategie gewann der FCB unter fünf verschiedenen Trainern die Meistertitel 2010 bis 2017.

Möglich, dass mit Zbinden jetzt die Rolle rückwärts kommt. Zumindest klingt es danach, wenn der neue Sportchef im Trainingslager sagt: «Der Kaderplaner bin ich zusammen mit dem Trainer. Mehr Leute braucht es nicht.» Die Transferkommission will er auf fünf bis sechs Personen beschränken. Als Bernhard Burgener den FCB übernahm, hatte sie noch 13 Mitglieder.

Und wenn Zbinden erzählt, dass künftige Transfers von ihm und dem Trainer «gut vorbereitet dem Präsidenten vorgelegt» werden müssten, tönt das fast wieder wie 2004. Damals eilten Gross und Zbinden jeweils zu Gigi Oeri, die den Daumen hob oder senkte.

Eine bemerkenswerte Volte

Ob sich der FCB wirklich in eine höhere Abhängigkeit von Trainer Marcel Koller begibt? Es wäre zumindest eine bemerkenswerte Volte, nachdem der Trainer zuletzt während Monaten durch beredtes Schweigen der Clubführung desavouiert worden ist.

Bevor Zbinden die neue Aufgabe übernommen hat, hat er sich die Frage gestellt: «Kann ich das überhaupt?» Aber dann kamen die Ermunterungen alter Weggefährten, und er sagte zu.

So viel reisen wie bislang wird er nicht mehr. «Señor Rudi» verlässt das Flugzeug, weil es ihn jetzt im St.-Jakob-Park braucht. Turbulenzen sind auch dort zu erwarten.

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