Presseschau

Blick vom 15.07.2019

Alex Frei packt aus!

Kaum einer polarisierte mehr, kaum einer war auf dem Platz besser: Alex Frei wird heute 40 Jahre alt. Mit BLICK spricht er über die Spuckaffäre, die Höhen und Tiefen seines Lebens.

Andreas Böni

Die Fähre «Leu» wiegt auf dem Rhein hin und her, Fährimaa Daniel Keller (56) kühlt die Beine der Fahrgäste mit einem Spray, der Fahrtwind umspielt die leicht grauen Haare von Alex Frei. Der Rekordtorschütze der Nati (42 Treffer) wird heute 40. Einer der polarisierendsten und besten Schweizer Fussballer aller Zeiten.

Der bei Servette 2001 unter Lucien Favre durchstartet. Als Frei gegen Sion (4:1) vier Tore schiesst, kritisiert ihn der Trainer in der Kabine. «Er sagte mir, ich müsse noch viel lernen. Nach vier Toren! Das zeigt, wie detailbesessen er ist, wie er jeden Spieler besser machen will.» 36 Tore schiesst Frei in 64 Spielen, geht zu Rennes. 20 Mal trifft er in der ersten vollen Saison, 21 Mal in der nächsten. Er wird Torschützenkönig in der Ligue 1.

Es folgt die Spuckaffäre an er EM 2004, einer der grössten Schweizer Skandale aller Zeiten. «Den Akt selber bereue ich bis heute, das können Sie mir glauben», sagt Frei. Und beschreibt die Szene: «Es stand 3:0 für England, wir sahen keinen Ball. Ich war hässig, deckte den Ball ab und Steven Gerrard schubst mich in die Bande. Das weiss ich noch – und ab dann nicht mehr wahnsinnig viel, weil mir die Sicherungen durchbrannten.»

Beim Vorbeigehen spuckt Frei Gerrard in den Nacken. «Dass das dumm war, weiss ich selber. Dass ich dafür geradestehen muss, ebenfalls. Dass es mir bis heute von Teilen der Fans oder anderen Leuten vorgeworfen wird, damit muss ich leben. Ich kann nicht mehr sagen, als dass ich es bereue und mich entschuldige und entschuldigt habe.»

Die Bosse um Präsident Ralph Zloczower stiften Frei zum Lügen an. «Vielleicht wurde Gerrard von einer Biene berührt», erklärt der Präsident damals das Zusammenzucken des Engländers. Pressesprecher Pierre Benoit sprach von einer offiziellen und einer inoffiziellen Version.

Frei machte intern von Anfang an klar, dass er Mist gebaut hatte – und wird anders beraten. Später tauchen Videobilder auf, die ihn als Spucker überführen. Frei wird für drei Spiele gesperrt. «Sagen wir’s mal so: Für meine Trainerkarriere habe ich da punkto Krisenkommunikation viel gelernt», so Frei heute. Er zeigt Humor, adoptiert ein Lama im Basler Zolli.

An der WM 2006 trifft er gegen Togo und Südkorea. Im Achtelfinal gegen die Ukraine (0:0) wechselt Köbi Kuhn seinen besten Penaltyschützen in der 117. Minute aus, bringt Lustrinelli. Barnetta, Streller und Cabanas verschiessen, die Schweiz scheidet aus. Frei sagt: «Heute würde ich die Auswechslung verzögern, mit Herrn Kuhn das Gespräch an der Linie suchen. Seine Begründung war, dass er mit Lustrinelli die Offensive ankurbeln wollte … Ich würde Herrn Kuhn nie nachtragend sein. Nie!»

Nach der WM wechselt Frei für 10 Mio. Fr. zum BVB. In der 1. Saison schiesst er 16 Tore. An der Heim-EM 2008 verletzt er sich im 1. Spiel gegen Tschechien (0:1) schwer, weint auf dem Feld. «Für mich brach eine Welt zusammen. Das hat mich kaputtgemacht.» Aber dann kommt er zu Jürgen Klopp.

Ein Schlüsselmoment ist das 1:2 gegen Luxemburg, das an einem Mittwoch gespielt wird. «Ich spielte das erste Mal nach der Verletzung. Die Berichterstattung zielte auf mich. Es sei eine Frechheit, dass ich ohne Spielpraxis aufgelaufen sei.»

Am Samstag kommt Schalke nach Dortmund. «Klopp sagt mir an der Linie vor der Einwechslung: «In solchen Spielen werden Helden geboren.» Ich mache zwei Tore, wir spielen 3:3 unentschieden. Symptomatisch für meine Karriere: Wenn die Kritik am grössten war, konnte ich oft durch Tore eine Antwort geben.» Bei einem anderen Derby «mussten wir verhindern, dass Schalke in Dortmund Meister wird. Ich schoss ein Tor, wir gewannen 2:0. Noch heute sprechen mich die Leute darauf an.»

Klopp sagt später, er habe «noch nie einen solchen Egoisten wie Frei» kennengelernt. Was Frei als Kompliment sieht: «Das hat er so gemeint, weil ein Stürmer auch Egoist sein muss. Ich wusste, dass ich nicht seiner Vorstellung von einem perfekten Stürmer entspreche. Er hat da immer mit offenen Karten gespielt. Es war schwer zu akzeptieren, dass du nicht der Spieler bist, den der Trainer gerne hätte. Aber am Schluss machte ich auch um die 30 Spiele.» In Dortmund lernt Frei Nina kennen. Mit viel Mut und Philipp Degen. Frei: «Ich traute mich lange nicht, auf sie zuzugehen. Philipp sagte mir, wenn ich jetzt nicht endlich aus dem Auto aussteigen und die Dame ansprechen würde, fahre er mit mir nach Hause!» Frei lädt sie ein. Erfolgreich. Heute hat das Paar zwei Kinder: Lia (7) und Louis (4).

Und die Hochzeit von Marco Streller steht im Zentrum seiner letzten Station. Frei sitzt neben Bernhard Heusler und Georg Heitz. «Mein Glas Rotwein war immer voll und jenes von Bernhard und Gegge auch», sagt Frei. «Die Diskussionsbasis ist sicher anders nach einem Glas Rotwein oder nach vier...»

Die FCB-Zeit ist eine Erfolgsgeschichte. Seine Nati-Karriere endet tragisch. Gegen Wales wird er in Basel 2010 von den eigenen Fans ausgepfiffen. Frei ist tief getroffen: «Ich sank in mich zusammen.» Er trifft eine Schwachsinns-Entscheidung: Er tritt per Sommer 2011 zurück – mitten in der Quali. «Typisch Frei», sagen viele. Seine Nati-Karriere soll mit dem Spiel im Wembley gegen England enden. Der Druck wird aber nach einem 0:0 in Bulgarien zu gross, er hört auf. Frei: «Ja, ich fühlte mich oft ungerecht behandelt. Wenn du zehn Jahre lang mit Stolz jedes Spiel machst, dann tun solche Pfiffe doppelt und dreifach weh. Aber es hatte sicher mit meiner Rückkehr zu Basel zu tun. Und die Gesellschaft hat sich verändert.» Inwiefern? «Es ist eine unglaubliche Schnelllebigkeit. Es ist nicht mehr so wichtig, ob etwas wahr ist oder nicht. Es geht nur noch um Aufsaugen, Urteil bilden und die nächsten News reinziehen. Zu Beginn meiner Karriere hatte man ein Handy zum Telefonieren, kein Whatsapp, kein Facebook. Heute kann sich jeder anonym äussern und die Leute beschimpfen. Ob man sich wehren kann? Ich weiss nicht. Aber man redet nicht mehr frei von der Seele weg, aus Angst vor den Konsequenzen.»

Freis Karriere endet am 15. April 2014, er wird Sportchef bei Luzern. Heute sagt er: «Ich werde nie mehr Sportchef sein.» Er will Trainer sein, hospitierte zuletzt bei Favre in Dortmund.

Fussball spielt er noch bei den Senioren von Dornach. Aber er liess zuletzt den Cupfinal sausen. Grund: «Ich bin Teil eines Kochklubs, der sich nur sechs Mal im Jahr trifft.»

Frei abschliessend: «Ich hatte, teils auch durch Selbstverschulden, ein Bild in der Öffentlichkeit, das nicht immer der Wahrheit entsprach. Heute denke ich, dass es manchmal besser gewesen wäre, die Klappe zu halten oder sich anders zu verhalten. Aber ich konnte vieles lernen. Ich bin glücklicher als noch vor 10 oder 15 Jahren.»

Zurück