Presseschau

NZZ vom 17.07.2019

Der gekränkte Trainer

Marcel Koller erlebte in Basel mit einer Pseudoentlassung die schwierigste Zeit der Karriere – ist vor der Saison wirklich alles vergeben?

Flurin Clalüna, Basel

In solchen Momenten könnte man als Trainer zerbrechen. Aber Marcel Koller, 58, sagt: «Ich lasse nicht zu, dass mich solche Geschichten kaputtmachen.» Er habe versucht, sie nicht zu nahe an sich heranzulassen. Es ist eine ungewöhnliche Geschichte aus Basel, eine Geschichte, wie sie noch kaum ein Schweizer Fussballtrainer erlebt hat. Es geht darin um eine Pseudoentlassung, um Loyalität und Lügen, um Verrat und Vertrauen; es geht um Werte, die Koller wichtig sind. Ein Freund von ihm sagt: «Weil er sich korrekt verhält, schaut jemand da oben zum Rechten, damit es gut kommt mit ihm.» Das klingt wie in der Kirche. Dabei muss man gar nicht so weit gehen. Denn eines halten Koller die meisten Beobachter zugute: dass er unverschuldet in eine unmögliche Situation geraten ist.

Nicht eitel genug

Erst wenige Wochen ist es her, als öffentlich wurde, dass Koller beim FC Basel trotz gültigem Vertrag keine Zukunft mehr haben soll. Wie und mit welchen Worten man ihm das mitgeteilt hat, ist im Detail nicht bekannt. Es lag noch keine offizielle, schriftliche Kündigung vor. Aber die Botschaft verstand er: Koller räumte seinen Spind. Jemand, der in den Krisenwochen nahe dabei war, sagt: «Es hing an einem dünnen Faden.» Vielleicht kann man sich im übertragenen Sinn darauf verständigen: Es war ein aufgesetztes Entlassungsschreiben, das dann doch nicht abgeschickt wurde.

Erst ganz am Ende schlug sich der Präsident Bernhard Burgener auf Kollers Seite und trat Marco Streller als Sportchef zurück. Warum das alles so gekommen ist, ist schwierig zu sagen. Aus Kollers Umfeld heisst es, Burgener habe erkannt, dass es kaum zu begründen wäre, einen seriös arbeitenden Trainer zu entlassen, der aus dem FCB immerhin wieder eine sehr stabile Mannschaft gemacht hat. Vielleicht hat das tatsächlich den Ausschlag gegeben. Jedenfalls kam der von Streller portierte Aarauer Trainer Patrick Rahmen nicht in den St.-Jakob-Park, und Koller ist immer noch da. Seit Streller zurückgetreten ist, haben sich er und Koller nicht mehr gesprochen. Der erfahrene Trainer und der junge Sportchef: Es war von Anfang an eine Fehlkonstruktion, man spürte es vom ersten Moment an, als sie gemeinsam auftraten. Zerbrochen ist in dieser Beziehung in den letzten Wochen nichts, sie war nie besonders gut, und jetzt gibt es sie einfach nicht mehr.

Aussergewöhnlich gewöhnlich

Wie muss man als Mensch sein, um über all das hinwegzusehen, was in den letzten Wochen geschah? Über den Vertrauensbruch und darüber, so lange im Ungewissen gelassen worden zu sein, was man mit einem vorhat? Vielleicht muss man genau so sein wie Koller, um so etwas auszuhalten. Er sitzt an diesem Nachmittag in einer Loge im Stadion in Basel und wird gefragt, ob er sich gekränkt oder desavouiert gefühlt habe. Er sagt: «Gekränkt? Ja, vielleicht. Aber desavouiert? Das ist ein zu grosses Wort. Dafür bin ich zu normal und nicht eitel genug.» Koller ist in diesem Geschäft aussergewöhnlich gewöhnlich, sein Elternhaus prägt ihn bis heute, der Vater Gärtner, die Mutter Schneiderin. Ein Trainerkollege Kollers sagt: «Nicht jeder in dieser Situation hätte so gehandelt wie er. Er hat sich nicht provozieren lassen, er blieb ruhig und hielt an seinen Prinzipien fest. Wenn das altmodisch ist, dann ist es gut, altmodisch zu sein. Und es hat ihm bestimmt geholfen, dass er heutzutage nicht mehr so dünnhäutig ist wie früher.» Der junge Koller hätte sich mehr gewehrt, der ältere Koller zog sich mitten in all dieser Ungewissheit in die Bündner Berge zurück und liess seine Vertrauensleute für ihn lobbyieren.

Koller ist jemand, der in seinen 15 Jahren in Deutschland und Österreich schon so vieles erlebt und weggesteckt hat, eine zweijährige Arbeitslosigkeit zum Beispiel; oder Kölner Fans, die sein Auto mit Stahlwolle zerkratzten; Bochumer Zuschauer, die Karton-Masken mit seinem Gesicht darauf verbrannten; den früheren österreichischen Nationalspieler und Fernsehexperten Herbert Prohaska, der Koller kritisierte, ohne ihn überhaupt zu kennen. Aber diese letzten Monate und Wochen in Basel waren die kompliziertesten in Kollers Trainerleben. 22 Jahre dauert dieses schon.

Viele Wochen gab es kein Bekenntnis zu ihm, auch nach dem Cup-Sieg im Mai nicht. Dabei hat Koller mit seiner Mannschaft seit Mitte Dezember bis heute inklusive aller Testspiele bloss zwei Partien verloren, die letzte am vergangenen Wochenende gegen Stuttgart. Im offiziellen Klubheft «Rotblau» steht dennoch: «Nach dieser Saison und angesichts der Auslegeordnung war es nicht nur legitim, sondern die Pflicht der Klubleitung, in alle Überlegungen auch die Trainerfrage einzubeziehen.» Als Koller gefragt wird, ob er diese Sicht nachvollziehen könne, zögert er zuerst. Dann sagt er: «Ich bin Angestellter des Vereins.» Und schliesslich: «Ja, es ist legitim. Als Klub muss man alles hinterfragen.» Vielleicht hätte es einfach ein bisschen schneller gehen können.

Das Beispiel Christian Gross

Vor knapp einem Jahr wurde Koller verpflichtet. Aber wirklich zu ihm gestanden ist man erst jetzt richtig, im allerletzten Moment. Das Kennenlernen hat lange gedauert. Der FCB engagierte mit Marcel Koller einen bekannten Namen, wusste aber offenbar nicht genau, was da für ein Mensch kommt. Und Koller seinerseits war all die Jahre nicht in der Schweiz, als aus dem FC Basel der mächtigste Klub des Landes wurde. Er sagt: «Ich musste auch erst lernen, dass es in Basel nicht genügt, hinter YB Zweiter zu werden.»

Basel hat sich nur langsam an Koller gewöhnt, und umgekehrt ist es wohl auch so. Das ist gar nicht so selten bei Fussballern oder Trainern, die nach einigen Jahren aus dem Ausland zurückkehren. Aus der Distanz wirken sie oft viel grösser. Aber wenn sie erst einmal zurück sind, schrumpfen sie oft wieder auf Normalgrösse. Christian Gross ist es zum Beispiel so ergangen, als er von Stuttgart zu den Young Boys ging und dort scheiterte. Es gibt viele Parallelen zwischen Gross und Koller, die Zeit bei GC, die erste Trainerstelle in Wil. Und Koller muss nun hoffen, dass der Karriere-Herbst nicht auch gleich verläuft und seine Rückkehr in die Schweiz glücklicher wird als jene von Gross. Dieser hatte sich nach YB entschieden, nie mehr als Trainer in der Schweiz zu arbeiten. Denn in der Schweiz kann Gross in diesem Job fast nur verlieren.

Für Koller gilt das in gewisser Weise auch. Er war mit St. Gallen und den Grasshoppers schon Schweizer Meister und könnte im Erfolgsfall einfach bestätigen, was von ihm erwartet wird. Anders als Gross hat er den Höhepunkt seiner Trainerkarriere im Ausland erlebt, als Nationalcoach in Österreich, wo er in sechs Jahren zeitweise fast verehrt wurde wie Niki Lauda. Damals, als er auch hätte Schweizer Nationaltrainer werden können, standen ihm praktisch die Welt und mehrere ausländische Klubs offen. Koller war lustig und aufgeschlossen wie nie, er ist in Österreichs Hauptstadt gewissermassen «verwienert» worden. Sein Ansehen im europäischen Fussball war nie grösser.

Koller trug ein Béret, als sich seine Mannschaft für die EM in Frankreich 2016 qualifizierte, biss in eine Baguette und tanzte Polonaise. Es war ein ganz anderer Marcel Koller, als man ihn in der Schweiz gekannt hatte, viel weniger verkrampft. Koller war auf dem Zenit, persönlich und sportlich, man lobte seine Menschlichkeit und dass er den österreichischen Fussball modernisiert und aus der Steinzeit geführt habe.

Aber in den letzten Wochen in Basel konnte man nun eine Art Rückverwandlung miterleben: Koller wurde wieder zurückhaltender. Das war vor allem den Umständen geschuldet, weil er sich schützen musste. Man sieht es ihm an, wenn man ihm nicht zu nahe kommen soll. Kaum war er in Basel, verkehrte sich vieles, wofür er in Österreich stand, ins Gegenteil. Sein Fussball? Wenig unterhaltsam. Sein Umgang mit den Spielern? Schwierig. Die komplizierte Beziehung zwischen Mannschaft und Trainer führte Ende letzten Jahres zum Protestmarsch von zehn Spielern ins Büro des Präsidenten Burgener.

Quasi zum Gegenbeweis und zur Demonstration, dass im Verhältnis mit den Spielern alles gut ist, postete Kollers Berater Dino Lamberti ein Bild des Trainers mit dem FCB-Spieler Aldo Kalulu mit der Unterschrift: «Die Spieler lieben ihren Trainer.» Koller sagt: «Es kann ja sein, dass mich nicht alle Spieler gern haben. Ich hatte auch nicht alle Trainer gern. Aber es kam in Basel noch nie ein Spieler zu mir und sagte, er möge mich nicht. Es geht ja auch nicht ums Kuscheln. Es geht um einen Job und um Leistung. Das vergisst man manchmal.» Und was auch immer über fehlende Harmonie im Innenleben des FC Basel gesagt wird: Die Mannschaft hat in der Rückrunde funktioniert. Und inzwischen weiss sie auch: Aufbegehren nützt wenig. Koller ist und bleibt ihr Chef. Seit Strellers Rücktritt als Sportchef ist dies unbestrittener denn je. Streller sitzt zwar noch im Verwaltungsrat. Aber den Machtkampf mit Koller hat er verloren.

Burgeners Vertrauen

Und damit ist jetzt alles geklärt, vergessen und vorbei? Koller sagt, er sei nicht nachtragend, und er glaube auch nicht, dass er aufgrund dieser Vorkommnisse angeschlagen in die neue Saison gehe. «Das Einzige, das angeschlagen ist, ist mein Knie», sagt er und lacht. Wenn er in seinem Sportlerleben etwas gelernt hat, dann ist es, zäh zu sein. Drei Jahre war er während der Spielerkarriere verletzt, acht Operationen musste er überstehen, aufgegeben hat er nie, und es wäre ihm auch jetzt nicht in den Sinn gekommen. Sein Berater Dino Lamberti sagt: «Geschwächt? Weshalb sollte Marcel Koller geschwächt sein? Er ist ein erfahrener Feldherr, der gut einschätzen kann, was wesentlich ist und was nicht.» Und wesentlich ist: Er geniesst das Vertrauen des Präsidenten Burgener. Ganz selbstverständlich ist das nicht. Jünger und baslerischer sollte die Mannschaft des FCB unter Burgener werden. Am Anfang galt das auch für die Führung mit dem jungen Trainer Raphael Wicky und Streller. Inzwischen ist die sportliche Leitung grauhaarig geworden, mit Koller, seit einiger Zeit Grossvater, und dem neuen Sportchef Ruedi Zbinden, 60.

Der Basler CEO Roland Heri sagt über die letzten Wochen: «Für uns ist alles ausgeräumt. Es gibt keine offenen Fragen. Wir werden einen starken Marcel Koller erleben.» Koller wird es gern hören, dass wieder einmal jemand etwas Nettes über ihn sagt.

Wie muss man sein, um über all das hinweg­zusehen? Vielleicht muss man genau so sein wie Marcel Koller.

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