Basler Zeitung vom 03.08.2019
Marcel Koller will nicht mehr über das reden, was im Sommer passiert ist, und hofft, dass der Sieg gegen PSV etwas ausgelöst hat.
Tilman Pauls und Samuel Waldis
Die Loge, in der Marcel Koller drei Tage nach dem grossen 2:1 gegen den PSV Eindhoven sitzt, heisst «Felix». Jetzt ist er also schon wieder hier, er kommt in diesen Tagen einfach nicht los vom Stadion. Und geschlafen hat er zuletzt auch nicht viel: Bis um 4 Uhr in der Früh hat Koller nach dem Abpfiff das Spiel gegen PSV analysiert, ein paar Stunden später präsentierte er den Spielern seine Erkenntnisse und blickte dabei gleich voraus.
Der FCB trifft heute Abend in der Liga auf den FC Thun (19 Uhr, Stockhornarena), und am nächsten Mittwoch gastiert der Linzer Athletiksport Club in der Qualifikation zur Champions League in Basel. Und weil Koller sechs Jahre lang österreichischer Nationaltrainer war, meldet sich in diesen Tagen auch noch das Gros der österreichischen Medien, um ihm Fragen zu stellen. Da bleibt kaum Zeit, um auf das erste Jahr in Basel zurückzublicken.
Marcel Koller, seit 365 Tagen sind Sie Trainer des FC Basel. Kriegt man zum einjährigen Jubiläum ein Geschenk?
Nein. Auf meinem Schreibtisch stand heute jedenfalls kein Blumenstrauss (lacht).
Haben Sie sich denn Gedanken zu Ihrem Jubiläum gemacht?
Es ist mir kurz durch den Kopf gegangen: Ah, jetzt ist es schon ein Jahr her, seit du hier begonnen hast. Aber es ist mir nicht besonders wichtig. Ich muss deswegen jetzt keine Party feiern.
Dabei ist eine ganze Menge passiert in Ihrem ersten Jahr.
Natürlich ist alles anders als bei meinem Beginn.
Inwiefern?
Ich kannte den FCB damals nur aus der Distanz, das Stadion, die Erfolge des Vereins. Dann wirst du in den Betrieb geworfen und bist sofort gefordert. Mitten in der Saison, ohne Vorbereitung. Du musst Resultate liefern, die Spieler kennen lernen, die Leute, die Umgebung. Das ist stressig. Das fängt schon im Stadion an. Wie oft habe ich vor einer verschlossenen Tür gestanden und gedacht: Mist, wo bin ich jetzt?
Das war aber kaum Ihr grösstes Problem.
Natürlich nicht. Aber es zeigt, wie stressig am Anfang alles ist. Auf der einen Seite hast du das Team und den Erfolgsdruck. Auf der anderen Seite kämpft man mit ganz alltäglichen Dingen.
Was für einen FC Basel haben Sie vor einem Jahr angetroffen?
Für den Club war es eine schwierige Situation. Mit einem relativ neuen Präsidenten und Sportdirektor, einem neuen Trainer, anderen Spielern, anderen Ideen. Ich habe viel Nervosität gespürt.
In welchen Bereichen?
Es hat nicht alles reibungslos ineinandergespielt. Ich hatte das Gefühl, dass man vieles erst noch zusammenführen muss. Der FC Basel ist ein Verein. Es gibt nicht die Sportabteilung hier, die Presseabteilung dort, das Marketing da drüben und die Fans nochmal woanders. Alle Bereiche müssen miteinander verzahnt sein. Erst dann hast du die Energie und die Kraft, damit das passieren kann, was wir vor zwei Tagen gegen PSV erlebt haben.
Wie würden Sie denn den aktuellen FCB beschreiben?
Es ist ruhiger. Im Club, aber auch im Umfeld. Das ist wichtig, damit wir uns auf unsere Kernaufgabe konzentrieren können. Wenn alles ineinandergreift, kann das Team Erfolg haben. Und wenn es auf dem Rasen läuft, kann auch sonst alles andere immer besser ineinanderwachsen.
Seit wann spüren Sie diese Ruhe? Denn wirklich ruhig war es ja auch zuletzt nicht.
Ab der Rückrunde ist es deutlich ruhiger geworden. Dabei haben uns sicher die Ergebnisse geholfen. Aber natürlich war es in diesem Sommer nicht wirklich ruhig mit den ganzen Unruhen.
Sie nennen es Unruhen, dabei war es eine der grössten Überwerfungen innerhalb des FCB. Sie wurden als Trainer freigestellt, ehe Präsident Bernhard Burgener über Nacht seine Meinung änderte und daraufhin Marco Streller zurücktrat.
Ich will auf dieses Thema nicht mehr eingehen. Wichtig ist, dass wir uns ab dem Trainingsbeginn wieder mit dem Fussball befasst haben. Klar, mit der Niederlage gegen St. Gallen ist es ein bisschen hektisch geworden. Das war mir bewusst. Ich musste beurteilen, ob sieben Wechsel drinliegen. Ich wusste nicht, ob es funktioniert. Aber schlussendlich ist es mit dem Erfolg gegen PSV aufgegangen, und wir müssen dieses Gefühl jetzt mitnehmen.
War das Spiel gegen Eindhoven der emotionale Höhepunkt Ihres FCB-Jahres?
Es war das erste Mal, dass ich im Stadion so eine geile Stimmung erlebt habe. Ich hatte Gänsehaut. Die Spieler auf dem Rasen waren eine Einheit, die Zuschauer waren eine Einheit. Sie haben uns nach vorne gepeitscht und mit uns gelitten.
Dafür mussten Sie aber auch ein bisschen Animateur spielen.
Ich habe gemerkt, dass die Spieler müde sind. Und auch auf der Tribüne wurde es irgendwann ruhiger. Da musste ich etwas unternehmen. Die Leute sind direkt aufgesprungen und laut geworden, als ich mich ihnen zugewendet habe. Aber sobald ich mich wieder umgedreht habe, war es still. Sie haben wohl gedacht, ich will angefeuert werden (lacht). Aber am Ende hat alles gepasst. Jene, die nicht im Stadion waren, haben sich wahrscheinlich in den Finger gebissen. Dieses Gefühl muss man mal erlebt haben.
Ist dieses Gefühl mehr wert als beispielsweise ein Cupsieg gegen Thun?
Nein. Aber solche Erfolge sind die Grundlage dafür, dass man am Ende der Saison auch Titel gewinnt. Und genau das wollen wir. Zweimal Gänsehaut im Jahr reicht mir nicht.
Das Spiel gegen Eindhoven hat nicht nur eine lange vermisste Emotionalität gezeigt, sondern auch, dass die Mannschaft sich fussballerisch verändert hat.
Bei meinem Antritt ging es uns darum, Stabilität reinzubringen. Jetzt haben wir mehr auf unsere Spielidee eingehen können. Wir sind taktisch flexibler geworden. Es sind Nuancen, wenn man einen der Sechser etwas weiter nach vorne schiebt und mit zwei Achtern agiert, so wie gegen PSV. Oder wenn wir die Positionen von Ricky van Wolfswinkel und Valentin Stocker tauschen, wie am Dienstag.
Was war da Ihre Idee?
Wir dachten, dass die Verteidiger mit einem starken linken Fuss Probleme haben gegen einen Linksfuss in der Offensive. Und umgekehrt. Der Plan ist aufgegangen.
Haben Sie den Mikrokosmos FCB also nach einem Jahr verstanden? Den Verein, die Stadt, die Fans, die Erwartungshaltung, die Medien?
Ich glaube nach einem Jahr zu wissen, was den FCB auszeichnet, was ihn ausmacht. Nur bei den Medien bin ich mir da noch nicht ganz sicher (schmunzelt).
Was verstehen Sie an den Medien nicht?
Gerade in meiner Anfangsphase habe ich oft gedacht: Wir sind in einer Stadt mit einem grossen Club, der in der Vergangenheit grosse Erfolge gefeiert hat. Es hat mich durchaus erstaunt, dass vieles kritisch bewertet worden ist. Dass nicht auch mehr mediale Unterstützung da war. Aber ich weiss, wie es läuft: Wenn wir verlieren, ist alles schlecht. Wenn wir gewinnen, ist vieles einfacher.
Sie wirken in diesen Tagen spürbar lockerer als in den vergangenen Monaten. Würden Sie das auch so beschreiben?
Wenn das gegen aussen so wirkt, ist das doch gut, oder nicht? Und es kann schon sein, dass ich etwas lockerer geworden bin. Aber wie vorhin schon erwähnt: Wenn es läuft, wenn man Erfolg hat, ist vieles einfacher.
Hat das auch damit zu tun, dass Sie sich dank dem Sieg gegen PSV weniger Sorgen machen müssen, was die Kaderplanung angeht?
Darauf schaue ich nicht. Wir schauen dann, wenn ein Angebot kommt. Ich, die sportliche Leitung, der Präsident. Jeder hat einen anderen Blickwinkel.
Die sportliche Leitung wurde nach dem Rücktritt von Marco Streller verschlankt, Ihr Einfluss hat zugenommen. Mit Ruedi Zbinden ist zudem ein neuer Sportchef da. Wie hat sich Ihre Arbeit in diesem Bereich verändert?
Nicht gross. Ich habe auch mit Marco Streller besprochen, was ich mir vorstelle.
Und was haben Sie sich vorgestellt?
Wir wollten einen Linksfuss für die Innenverteidigung, den wir mit Omar Alderete verpflichtet haben. Und dann wollten wir im Sturm einen grossen Spielertypen mit mehr physischer Präsenz. Da haben wir Kemal Ademi verpflichtet. Aber der Präsident möchte die Kosten optimieren. Darum werden wir noch den einen oder anderen Spieler abgeben.
Und trotzdem stehen die Chancen plötzlich gut, dass man auch die nächste Hürde auf dem Weg in Richtung Champions League nehmen kann. Linz ist vom Papier her schwächer einzustufen als Eindhoven.
Genau da liegt aber auch die Gefahr. Wir dürfen nicht nachlassen. Das habe ich den Spielern schon am Mittwochmorgen gesagt. Es braucht die gleiche Einstellung, sonst wirds nicht funktionieren. Nicht gegen Linz und auch nicht gegen die Teams in der Liga.