Presseschau

Berner Zeitung vom 05.08.2019

Das Märchen ohne Happy End

Der FC Thun verliert eine emotionsgeladene Partie gegen den FC Basel 2:3. Die Oberländer hadern nach Spielschluss in vielerlei Hinsicht: mit dem Schiedsrichter, der eigenen Ineffizienz und den Schwächen in der Defensive.

Simon Scheidegger

Es hätte so wunderbar gepasst. Ridge Munsy, gewissermassen der verlorene Sohn, trifft in seinem ersten Spiel nach der Rückkehr zum FC Thun in der Nachspielzeit zum Ausgleich und sichert seinem Team einen Punkt gegen den FC Basel. Es hätte so wunderbar gepasst zur bewegenden Geschichte des 30-Jährigen, der einst als Spengler arbeitete und in der 1. Liga bei Kriens kickte, ehe er 2016 quasi aus dem Nichts zum umworbenen und treffsicheren Super-League-Stürmer wurde. Munsys Karriere ist oft als Cinderella-Story beschrieben worden. Zum neusten Kapitel in diesem Märchen fehlen am Samstagabend nur wenige Zentimeter, fünf, vielleicht sechs, doch diese reichen, das gängige Märchenmuster zu brechen, da aus Thuner Sicht das Happy End ausbleibt.

Der saure Rapp

Munsys Fehlschuss ist die letzte Szene, die den Puls der 6266 Zuschauer in der Stockhorn-Arena in die Höhe schiessen lässt in einer Partie, die viele Torszenen bot und viele Emotionen schürte, die auch lange nach Spielschluss noch nicht abgeklungen sind. Simone Rapp ist in der Regel ein freundlicher, zuvorkommender Gesprächspartner. Und wahrscheinlich hätte der Thuner Stürmer auch bereitwillig Auskunft gegeben, hätte er nur über sein wuchtiges Kopfballtor sprechen können, seinen ersten Treffer im Dress des FC Thun gegen Basel, mit dem er sein Team in Führung schoss. Und noch viel eher hätte er sich nach dem Spiel vor die Mikrofone gestellt, hätte er wenig später die Chance auf sein zweites Tor verwertet. Da der Tessiner aber eine 2:3-Niederlage analysieren muss, ist er sauer, will erst gar nicht reden und schlurft dann nur widerwillig und einsilbig wieder aus der Kabine. Er nehme die Niederlage auf seine Kappe, sagt er. «So reicht es einfach nicht.» Doch in all die Selbstkritik mischt sich schnell eine deutliche Kritik an Schiedsrichter Stephan Klossner, der bei einigen strittigen Szenen nicht zugunsten der Oberländer entscheidet. Auch nicht kurz vor der Pause, als er nach einem verletzungsbedingten Unterbruch bei Thuner Ballbesitz den folgenden Schiedsrichterball dem Basler Eray Cömert überlässt, dieser den Ball aber nicht zurückspielt, sondern den nächsten Angriff lanciert. Wenig später trifft FCB-Verteidiger Silvan Widmer per Kopfball zum 1:1. «Also sorry. Das ist einfach lächerlich», sagt Rapp und stampft aufgebracht davon.

Freilich haben die Thuner nicht wegen dieses Beispiels von fehlendem Fairplay verloren, aber dass ihr Stürmer auch über eine Stunde nach dieser Szene noch in Rage gerät, wenn er darüber spricht, zeigt, dass Rapp in der zweiten Halbzeit mit dem Kopf wohl nicht mehr voll auf dem Platz gewesen sein dürfte. Auch andere Thuner hadern. Basil Stillhart, der mit seinem Abstauber zum 2:2 die Thuner zurück ins Spiel brachte, sagt, es wäre viel mehr dringelegen. Und Miguel Castroman, der bei beiden Treffern seine Füsse im Spiel hatte, meint, die Chancen der ersten Halbzeit müssten sie besser zu Ende spielen, die defensiven Unzulänglichkeiten der Basler, die nach dem ersten Gegentor in der Abwehr bisweilen beträchtlich ins Wanken kamen, konsequenter ausnutzen. In den Voten der Thuner Akteure schwingt das Gefühl mit, eine grosse Chance auf den ersten Saisonsieg vergeben zu haben. Der einzige Spieler in Rot-Weiss, der mit einem Lächeln durch die Katakomben läuft, ist Uros Vasic. Der 17-Jährige feiert gegen den FCB sein Startelfdebüt für den FC Thun, zeigt bis zu seiner Auswechslung nach einer guten Stunde eine ansprechende Leistung. «Es war unglaublich, abnormal, unvergesslich», sagt Vasic, der auf diese Saison hin aus dem Nachwuchs in die erste Mannschaft integriert worden ist. Die nüchterne Analyse liefert Sportchef Andres Gerber: «Basel war extrem effizient und hat seine Chancen genutzt, wir nicht.»

Der verlorene Faden

Das sieht auch Marc Schneider so. Nach Spielschluss wirft der Thuner Trainer seine Wasserflasche wütend auf den Boden. Wenig später hat er seine Emotionen wieder unter Kontrolle, spricht von einer «riesigen Enttäuschung», davon, dass seine Mannschaft vorab in der ersten Halbzeit gut gespielt habe. «Danach haben wir etwas den Faden.» Schneider erwähnt die fehlende Cleverness, bemängelt das phasenweise zögerliche Verteidigen. «Wenn man drei Tore kassiert, wird es schwierig zu punkten, geschweige denn zu gewinnen», sagt Schneider. «Das müssen wir schleunigst verbessern.» Der 39-Jährige weiss: Viel Zeit dazu haben die Thuner nicht. Bereits am Donnerstag steht das Hinspiel der Europa-League-Qualifikation gegen Spartak Moskau an. Gelingt die Stabilisierung nicht, könnte dieses potenzielle Europa-Märchen vorbei sein, bevor es richtig begonnen hat.

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