Basellandschaftliche Zeitung vom 25.09.2019
von Benedikt Pfister
Ein Buch zum FDP-Jubiläum beleuchtet das Verhältnis zwischen Sport und Politik. Im Mittelpunkt: der frühere FCB-Präsident Ernst Thalmann.
«Man hat befürchtet, die jungen Leute würden von der Schularbeit, von ihrer Tätigkeit im Berufe abgezogen und zur Vereinsmeierei und zum Wirtshausbesuch verführt», schrieb Ernst Thalmann. Er habe als Spieler und Präsident des FC Basel ganz andere Erfahrungen gemacht, erklärte Thalmann 1928 im Vorwort des Jubiläumsbuches «35 Jahre FC Basel». Der junge Mann werde von niemandem so stark beeinflusst wie von seinen Altersgenossen. Nur wer ein anständiger Mensch sei, könne es zu Anerkennung schaffen. Die junge Sportart Fussball sah sich vielen Vorurteilen ausgesetzt und kämpfte um öffentliche Anerkennung. Thalmann wehrte sich als Präsident des FC Basel genauso gegen die Überregulierung des Sports wie er sich später als freisinniger Politiker für die Freiheit des Individuums einsetzte.
Fünf Mal zum Präsidenten des FC Basel gewählt
Ernst Thalmann stiess im November 1897, vier Jahre nach Vereinsgründung, zum FC Basel. Schnell machte sich der kleine Spieler einen Namen in der noch jungen Fussballszene. «Atom» war sein Spitzname, so schnell flitzte er den linken Flügel hinauf und hinunter. Thalmann stand beim allerersten Meisterschaftsspiel des FCB auf dem Platz. Thalmann trat zweimal für eine Schweizer Auswahl an und zog einmal das Trikot der Nationalmannschaft über.
Drei Monate vor seinem 19. Geburtstag wurde Thalmann 1900 zum Präsidenten des FC Basel gewählt. Aus Studiengründen trat er zweimal und aus beruflichen Gründen einmal von seinem Amt zurück, wurde aber jeweils nach kurzer Zeit wiedergewählt. Ein fünftes Mal liess er sich zum Präsidenten wählen, um dem Verein in der Krisenzeit des Ersten Weltkriegs beizustehen.
In der «Ära Thalmann» steckte der Fussball in der Schweiz in den Kinderschuhen und war ein reiner Amateursport. Die offizielle Meisterschaft hatte noch nicht die gleiche Bedeutung wie heute. Im Vordergrund standen Freundschaftsspiele gegen Mannschaften aus der eigenen Stadt oder dem benachbarten Ausland. Höhepunkte waren die Besuche der Profiteams Newcastle United und Celtic Glasgow, die sportlich wenig erbaulich endeten (1:7- und 1:5-Niederlagen). In der Ära Thalmann holte der FCB seinen ersten Titel. Am 29. Juni 1913 gewann er mit einem 5:0-Finalsieg gegen den FC Weissenbühl Bern den Anglo Cup, den Vorläuferwettbewerb des Schweizer Cups.
Eine Anwaltskanzlei als freisinnige Kaderschmiede
Noch als amtierender FCB-Präsident wählten die Basler Thalmann 1911 für die FDP in den Grossen Rat. Die Biografien vieler freisinniger Politiker anfangs des 20. Jahrhunderts ähneln jener von Thalmann. Er war der Sohn eines «jener ostschweizerischen Volksschullehrer, durch deren Berufung ein gesunder, frischer Zug in unsere Stadt gekommen ist», schrieb die «National-Zeitung» am 24. September 1938. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Basel, Berlin und Paris begann er in der Anwaltskanzlei von Paul Scherrer zu arbeiten und wurde bald Teilhaber. Die Kanzlei «Scherrer, Fischer, Thalmann» an der Freien Strasse stand in einer stolzen freisinnigen Tradition und war eine Kaderschmiede für freisinnige Mandatsträger.
Das Parteipräsidium war lange Zeit in fester Hand von Juristen.
24 Präsidenten zählt die Partei bis heute, davon waren oder sind 12 Juristen. Von der Parteigründung 1894 bis 1938 waren – abgesehen von Redaktor Emanuel Schäppi und Arzt Fritz Aemmer – ausschliesslich Juristen im Amt. Christian Rothenberger, FDP-Präsident von 1908 bis 1911, kam zwar 1894 als Lehrer aus der Ostschweiz nach Basel, doktorierte aber in Rechtswissenschaften und eröffnete 1901 eine eigene Kanzlei. Bemerkenswert ist der Blick auf Franz Arnstein, der von 1929 bis 1932 die RDP präsidierte. Arnstein kam als Kind aus Prag nach Basel. Der bekennende Jude arbeitete nach seinem Studium in Basel und Wien als Anwalt und wurde 1926 in den Grossen Rat gewählt. Dass bürgerlich eingestellte Juden bei den Freisinnigen politisierten, war nicht erst seit Arnstein so. Darauf lässt jedenfalls der 1889 gegründete Verein freisinniger Israeliten schliessen.
Fussball als Erziehung
Ernst Thalmann kämpfte für den Fussballsport, indem er dessen Bedeutung für die Erziehung der Jugend betonte. Zahlreiche Basler Freisinnige engagierten sich als Funktionäre in Sportverbänden oder waren als aktive Sportler erfolgreich. Stellvertretend für die Bedeutung des Sports als freisinniges Netzwerk seien aus der langen Liste einige Basler Freisinnige erwähnt. Ernst Kaltenbach, RDP-Grossrat in den 1920er-Jahren, spielte zwischen 1911 und 1927 für den FC Basel und die Fussballnationalmannschaft. Kaltenbach arbeitete als Sportjournalist unter anderem auch für das deutsche Fussballmagazin «Kicker». Paul Buser, auch er Jurist, sass seit 1923 für die RDP im Grossen Rat und präsidierte die Partei von 1936 bis 1938. Er war Mitglied des FCB-Konkurrenten Old Boys und wurde 1907 zum Präsidenten des Schweizerischen Fussballverbandes gewählt. In dieser Funktion handelte er 1908 mit dem Deutschen Fussball-Bund einen Vertrag aus, der vereinbarte, dass die beiden Nationen mindestens einmal jährlich gegeneinander antreten sollten.
Das erste Länderspiel der Deutschen überhaupt fand am 5. April 1908 auf dem Basler Landhof gegen die Schweiz statt und endete mit einem 5:3-Sieg der Schweiz. Für diesen Landhof setzte sich mit Alfred Schaller ein weiterer Freisinniger ein. Als RDP-Präsident engagierte er sich 1947 in einem Aktionskomitee für den Erhalt des Landhofs. Die Regierung übergab im gleichen Jahr den Landhof dem FC Basel im Baurecht und beteiligte sich in den 1950er-Jahren mit einem Darlehen und Geldern aus der Sport-Lotterie am Bau des neuen Stadions.
Von Karli Odermatt zu Massimo Ceccaroni
FCB-Legende Karli Odermatt ist seit 1974 FDP-Mitglied. Ebenso ein Freisinniger war Harry Thommen, FCB-Präsident von 1966 bis 1970. Massimo Ceccaroni machte als aktiver FCB-Spieler 2000 Werbung für die FDP. In einem Inserat mit Bild liess er sich zitieren: «Die Steuern in Basel sind zu hoch. Damit nicht noch mehr Baslerinnen und Basler ihre Stadt verlassen, müssen wir uns den umliegenden Gemeinden anpassen. Ich wähle FDP, weil sie Bewegung bringt.»
Albert Degen, FDP-Präsident von 1960 bis 1968, stand dem Turnverein Kleinbasel und dem kantonalen Turnverband vor. Der Handball-Schiedsrichter und Präsident des Eislauf Clubs Basel setzte sich für die Eisbahn im Gartenbad Eglisee und die Sporthalle St. Jakob ein. Schliesslich dürfen zwei Nationalspieler in dieser Aufzählung nicht fehlen. Paul Wyss, FDP-Nationalrat von 1977 bis 1994, war Eishockey-Goalie beim EHC Basel und beim SC Bern. 1952 nahm er mit der Nationalmannschaft an den Olympischen Winterspielen in Oslo teil. Jörg Schild, Regierungsrat von 1995 bis 2006, war erfolgreicher Handballer, auch in der Nationalmannschaft, und präsidierte von 2006 bis 2016 Swiss Olympic.
«Fussballspiele werden nicht zum Gelderwerb veranstaltet»
Im Einsatz für den Fussball scheute sich Thalmann nicht vor der Auseinandersetzung mit den Behörden. 1913 erreichte er, dass für Fussballspiele unter Basler Mannschaften keine Gebühr mehr bezahlt werden musste. Weniger Erfolg hatten seine Bemühungen gegen die Billettsteuer und die Anwendung des Ruhetagsgesetzes auf die Fussballspiele.
In einem Schreiben an das Polizeidepartement beklagte er sich 1913 über die hohen Kosten, die Fussballern bereits für die Ausrüstung anfallen würden. Die Gebühren würden dazu führen, dass es nur reichen Leuten möglich sei, den Fussballsport auszuüben. Thalmann störte sich an der Einschätzung als kommerzielle Events. Er schrieb: «Fussballspiele werden aber nicht zum Gelderwerb und nicht in Ausübung eines Gewerbes veranstaltet, sondern ausschliesslich als körperliche Übungen. Dass sich zu diesen sportlichen Übungen Zuschauer einfinden, dass durch Reklamen die Wettspiele bekannt gegeben und dass Eintritt erhoben wird, ändert am Charakter der Wettspiele als rein sportliche Veranstaltungen nichts. Die Erzielung von Einnahmen bildet nicht den Zweck der Spiele und ebenso wenig werden die Spiele abgehalten, um die Schaulust des Publikums zu befriedigen.»
Der Gewerbeinspektor hatte argumentiert, es gebe einen Unterschied zwischen Fussballspielen zu Übungs- und solchen zu Schauzwecken. Diese aus Thalmanns Sicht ärgerliche Erfahrung mit den Basler Behörden trug mit dazu bei, auf kritische Distanz zu den Staatsorganen zu gehen. Als er 1928 als gemeinsamer Kandidat der Bürgerlichen für den Ständerat kandidierte, liess es sich der FC Basel nicht nehmen, den Mitgliedern die Wahl Thalmanns ans Herzen zu legen.
Der Wahlkampf war intensiv
Am Parteitag am 22. Oktober 1928 im «Braunen Mutz» lief Thalmann zur Hochform auf: «Die Demokratie ist gegen die Gefahren des Obrigkeitsstaates nicht geschützt. Wenn wir die Machtbefugnisse der vollziehenden Gewalt, speziell diejenige einer Beamtenregierung allzu sehr ausdehnen, kommen wir zu ähnlichen Zuständen, wie sie im Polizeistaat der früheren Jahrhunderte geherrscht haben», zitierte ihn die «National-Zeitung». Er wurde am Parteitag grundsätzlich: «Die Beteiligung aller Bürger bei der Bildung des staatlichen Willens, das allgemeine gleiche Wahlrecht, die Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Freiheit der Presse, die Heranziehung der Bürger durch die staatliche Schule zu freien Persönlichkeiten, der Schutz der Schwachen vor den Mächtigen, das ist das Ziel des Freisinns gewesen und muss es auch heute sein.»
Fünf Tage später wählten die Basler Thalmann zu ihrem neuen Ständerat. Mit 11 496 Stimmen liess er den bisherigen Amtsinhaber, den Sozialdemokraten Eugen Wullschleger, der 9544 Stimmen erhielt, hinter sich.
* Beim Text handelt es sich um einen gekürzten Vorabdruck des Buches «Für die Freiheit kämpfen. Die Geschichte der Basler FDP», das im Christoph Merian Verlag erscheint.