Presseschau

Schweiz am Wochenende vom 23.11.2019

«Den halben Lohn habe ich vertelefoniert»

Interview: Jakob Weber

Der ehemalige FCB-Publikumsliebling Timothée Atouba ist zurück in der Stadt und blickt im Interview auf seine Zeit in Basel zurück.

Was ist Ihre erste Erinnerung an den FC Basel?

Timothée Atouba: Mit 16 Jahren habe ich ein Probetraining beim FCB gemacht. Christian Gross hat mich begrüsst, hat mir dann aber gesagt, dass ich zwar grosses Potenzial habe, aber er für mich nur einen Platz in der Reservemannschaft hätte. Da habe ich abgesagt und bin zurück nach Kamerun. Ein Jahr später wechselte ich dann zu Xamax.

Sie gewannen Ihr erstes Spiel in der Schweiz 2:0 gegen Basel. Ein Jahr später gab es ein Angebot vom FCB.

Ich musste mich damals am Meniskus operieren lassen. Aber Gross sagte: «Kein Problem. Operiere, wenn du ­operieren musst, aber komm trotzdem.» Dieses Vertrauen hat mich beeindruckt.

Wie war Ihre Beziehung zu Gross?

Er hat mich auf allen Ebenen weitergebracht. Ich bin bis heute der Meinung, dass unsere Mannschaft von damals die beste in der Geschichte des FCB ist. Nichts gegen die anderen, aber wir hatten eine unglaubliche Stimmung. Wir waren ein zusammengeschweisster Haufen. Nach jedem Training sassen wir zusammen, haben gegessen, getrunken und geplaudert.

Ein halbes Jahr nach Ihrer Ankunft holte der FCB das Double.

Da hat uns sogar Gross erlaubt, zu feiern. Das war sein Credo: Seriös arbeiten, aber auch seriös feiern. Nachdem wir Meister waren, hat der Trainer der ganzen Mannschaft eine Zigarre in die Hand gedrückt und wir haben alle zusammen in der Umkleide geraucht. Gross sagte immer: «Das Leben ist kostbar, profitiert von den Freudenmomenten.»

Sie waren Verteidiger, dribbelten aber auch gerne. Das muss Gross doch verrückt gemacht haben.

Oh ja. Am Anfang mochte er mich nicht sehr. Er schrie immer: «Timo!!!» Da habe ich ihn nur komisch angestarrt und geschwiegen. Das hat die anderen Spieler amüsiert. Ich habe ihm auch mal in der Umkleide vor allen gesagt, dass ich mit irgendetwas nicht einverstanden war. Dann hat er mir mit seinem Blick zu verstehen gegeben, dass ich hier eine Grenze überschritten habe, und mich in sein Büro bestellt. Dort sagte er mir: «Monsieur, Sie können mich kritisieren, aber nur im Büro.» Ich sagte: «Wenn Sie mir was zu sagen haben, kommen Sie doch in mein Büro.»

Hat er Sie nicht rausgeworfen?

Nein. Das ist meine Natur, so bin ich. Das hat irgendwann auch der Trainer eingesehen. Als ich gegen GC zwei Haken geschlagen habe, hat er mich noch angeschrien, ich solle den Ball besser sichern. Beim nächsten Mal habe ich dann extra stark zurück zu Goalie ­Pascal Zuberbühler gespielt, der den Ball mit dem Fuss nur zur Ecke dreschen konnte. Ich habe zu Gross geschaut, doch der hat gar nichts mehr gesagt. Seitdem hatte er mich spielen lassen.

Warum spielten Sie so riskant?

Ich habe das Kicken auf den Strassen Afrikas gelernt. Die sind sehr schmal. Ich musste erst zwei, drei Gegner austanzen, bevor ich einen Pass spielen konnte. Natürlich will ich gewinnen, aber ich will auch eine Show bieten.

Drei Jahre nach Ihrer Ankunft in Europa spielten Sie Champions League gegen Man United, Liverpool und Juventus. Verrückt oder?

Heute sage ich, dass das verrückt ist. Aber damals war das ganz normal. Ich hatte keinen Druck, wollte mich auf dem Platz amüsieren. Als ich gegen Liverpool das 3:0 schoss, war das für mich das Normalste auf der Welt.

War dieses Spiel gegen Liverpool das wichtigste in Ihrer Karriere?

Es gehört sicher dazu. Die besten Geschichten aus meiner Karriere haben sich in Basel abgespielt. Nach dieser Saison hatte ich viele Angebote, unter anderem von Benfica oder Paris St- Germain. Aber Gigi Oeri kämpfte um mich. Sie fragte, was mir diese Clubs mehr geben als der FCB. Darauf hatte ich keine Antwort, also blieb ich. Ich vertraute Gigi. Sie sah nicht nur das Business. Sie war mit Emotionen dabei.

War Tottenham dieser Club, der 2004 dann das gewisse Mehr hatte?

Ja. Gigi hat mich dann mit dem Privatjet nach London geflogen und wir haben den Deal fixiert. Alle waren glücklich, aber auch sentimental.

In London lief es nicht so wie gewünscht. Sie waren verletzt, hatten aber auch Vertragsprobleme.

Ja. Als ich unterschrieb, war das Transferfenster beinahe zu und das Sekretariat geschlossen. Ich merkte, dass im Vertrag sechs statt der abgemachten drei Jahre stand. Ich wollte nicht unterschreiben, doch Tottenham-Sportchef Frank Arnesen sagte mir, dass ich unterschreiben solle und wir das später regeln würden. Doch als ich später bei Arnesen vorstellig wurde, sagte er: «Unterschrieben ist unterschrieben.»

Wie haben Sie reagiert?

Ich sagte ihm, dass ich nicht mehr für Tottenham spiele. Für mich zählen auch mündliche Verträge. Je länger du Vertrag hast, desto teurer bist du. Tottenham wollte mit mir Business machen, und das passte mir nicht. Ich würde das heute nochmals gleich machen.

Über Ihren Nati-Trainer Winnie Schäfer kamen Sie dann zum HSV. Stand eine Rückkehr zum FCB je zur Diskussion?

Als ich mich 2008 in Hamburg verletzte, kam ich zurück nach Basel und liess mich in der Rennbahnklinik operieren. Als ich wieder hier war, hatte ich Nos­talgiegefühle. Ich habe auch ein Spiel im Joggeli geschaut. Gigi war da. Sie sagte: «Schau, da ist unser neuer Spieler, der ist hier, um einen Vertrag zu unterschreiben.» Ich antwortete: «Frau Präsidentin, ich bin verletzt.» Und sie sagte: «Verletzt oder nicht verletzt, ich nehme dich unter Vertrag.» Das hat mich wirklich berührt. Da habe ich schon mit dem Gedanken gespielt, zurückzukommen. Aber als ich wieder fit war, war Gigi nicht mehr Präsidentin.

Eigentlich schade, denn in Hamburg waren Sie am Schluss auch nicht mehr glücklich. Es gab die Aktion, wo Sie dem ganzen Stadion den Stinkefinger gezeigt haben.

Ja. Das war in der Champions League. Es fing damit an, dass Fans von ZSKA Moskau Affengeräusche gemacht haben. Denen habe ich in der ersten Halbzeit abseits der Kameras schon den Finger gezeigt. Danach wollte ich mich auswechseln lassen. Das haben die Fans gesehen und gepfiffen. Sie haben nicht verstanden, wie es mir in diesem Moment ging. Am Ende habe ich allen den Finger gezeigt und dafür nach meiner Auswechslung noch Rot gesehen.

Was hat der HSV falsch gemacht?

Das läuft bis heute falsch. Wenn du als Spieler so etwas machst, fühlt sich der Verein angegriffen. Für ihn sind die Fans, weil sie Eintritt zahlen, auch Geldgeber. Aus Angst, sich mit ihnen anzulegen, werden die Fans dem Spieler gegenüber bevorzugt. Darum hört auch das mit dem Rassismus nie auf. Das ist bedauerlich. Als ich mit Basel gegen YB gespielt habe, wurde eine Banane auf mich geworfen. Ich habe sie gegessen. Der Schiri hat mir dann die gelbe Karte gegeben. Warum? Weil ich die Zuschauer angestachelt haben soll.

Auch Granit Xhaka wurde von den eigenen Fans ausgepfiffen.

Als Fussballer musst du immer aufpassen, dass du dich in der Öffentlichkeit im Griff hast. Aber eines kann ich sagen: Fussballer wissen, wenn sie nicht gut gespielt haben. Sie gehen nicht nach Hause und lachen. Ich habe nach Fehlern nächtelang nicht gut geschlafen. Manchmal staut sich etwas an. Wenn dann noch andere von aussen ihre Meinung zu deiner Leistung kundtun, explodierst du irgendwann. Und als Promi wirst du dafür sofort verurteilt.

Nach Ihrem Karriereende 2014 gingen Sie zurück nach Kamerun. Vermissen Sie Ihre Frau und die vier Kinder, die in Europa blieben?

Klar. Aber wir telefonieren viel und sind ständig in Kontakt. Wenn ich sie persönlich treffe, profitiere ich, so viel es geht.

Sie scheinen gern zu telefonieren. In Ihrer Zeit in Europa haben Sie im Monat mehrere tausend Franken Telefonrechnung gezahlt.

Ja. Zum Glück kostet das Telefonieren heute nicht mehr viel. Zu meiner Zeit in Basel war es tatsächlich so, dass mein halber Lohn dabei draufging.

Was machen Sie jetzt in Kamerun?

Ich arbeite für meine Stiftung und trainiere aktuell ein Team in der dritthöchsten Liga Kameruns.

Verstehen Sie Gross jetzt besser?

Ja. (lacht) Ich würde mich am liebsten immer selber einwechseln. Im Training spiele ich mit und zeige meinen ­Spielern, wie es geht. Das hat Gross auch gemacht. Aber ich verstehe jetzt, dass es sehr schwer ist, Trainer zu sein. Lange werde ich das nicht ­machen. Momentan plane ich, mein eigenes Ausbildungszentrum aufzubauen.

Haben Sie noch Geld, um das zu finanzieren?

Ich glaube nicht, dass ich das alles alleine stemmen kann. Ich brauche Partner. Vielleicht will sich ja auch der FCB beteiligen. Deswegen bin ich froh, hier zu sein. Da kann ich gleich noch ein paar Gespräche führen.

Der FCB hat mittlerweile Partnerklubs in Indien und Argentinien.

Da brauchen sie unbedingt auch noch einen in Kamerun (lacht). Ich wäre unglaublich froh, wenn mich der FCB unterstützt und dann irgendwann einer der Spieler aus meiner Akademie zum FC Basel wechselt.

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