Presseschau

NZZ vom 23.11.2019

«Ich habe die Mechanismen im Fussball akzeptiert, und ich gliedere mich ein»

Valentin Stocker war einst eine Reizfigur im Schweizer Fussball, jetzt ist er Tierschützer. Der Captain des FC Basel spricht darüber, ob er sich selber sympathisch ist und wieso er sich nach der Zeit unter Thorsten Fink sehnt. Das Gespräch führte Andreas Babst

Als Sie 18-jährig waren, debütierten Sie beim FC Basel. Nach dem Spiel sagten Sie: «Es ist nur Fussball.» War es nur Fussball?

Ja, wenn man alles ausblenden kann aussenherum, dann ist es nur Fussball. Aber schon damals gehörte viel mehr dazu.

Damals dachten Sie, ein erfolgreicher Fussballer müsse mehr oder weniger ein Arschloch sein.

Es war nicht einfach, als junger Mensch mit manchen Situationen im Fussball umzugehen, man wird ab und zu in Rollen gedrängt, vielleicht verlangt der Trainer etwas, das ich selber so nicht machen würde. Und dann stehe ich noch in der Öffentlichkeit, da haben Sentimentalitäten nicht viel Platz. Ein Fussballer muss abgehärtet sein.

Also muss ein erfolgreicher Fussballer mehr oder weniger ein Arschloch sein?

Nein, das glaube ich nicht. Ich finde es heute das falsche Wort. Aber ich muss fähig sein, in manchen Momenten mich selber in den Vordergrund zu stellen und zu sagen: Jetzt bin ich an der Reihe. Es braucht im Fussball manchmal einen gewissen Egoismus.

Sind Sie genug Egoist?

Mein Charakter ist sehr vielfältig. Aber ich weiss, wann ich die Züge in den Vordergrund stellen muss, die es braucht für den fussballerischen Erfolg. Sonst wäre ich in den letzten zehn Jahren nicht so erfolgreich gewesen. Andere Charakterzüge holen mich aber immer mehr ein. Die Charakterzüge des Privatmenschen Valentin Stocker, der sich in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Jetzt ist es viel einfacher, nett zu sein.

War es früher schwieriger?

Nein, aber ich wurde darauf getrimmt, dass es nur den Sieg gibt und nichts anderes zählt. Und irgendjemand will dir das immer streitig machen: den Sieg, den Platz in der Mannschaft. Das entspricht mir im Alltag nicht, so bin ich nicht. Ich habe in meiner Karriere viel erreicht, heute kann ich den Jungen helfen und mich für sie freuen, weil ich nicht das Gefühl habe, etwas verpasst zu haben oder dass sie mir etwas wegnehmen.

Welche Charaktereigenschaften holen Sie ein?

Ich bin ein harmoniebedürftiger Mensch. Das beisst sich mit dem Fussballer Valentin Stocker auf dem Platz, der einen Match unbedingt gewinnen will. Also brauche ich in meiner Freizeit den Ausgleich neben dem Fussballplatz.

Sind Sie ein guter Captain?

Für mich war es von Anfang an wichtig, die Hierarchien abzuflachen. Ein junger Spieler hat bei mir die gleichen Möglichkeiten, seine Sorgen anzusprechen, wie jemand, den ich seit sechs oder sieben Jahren kenne.

Wie flacht man Hierarchien ab?

Ich probiere es über Humor und Offenheit zu machen. Das sind die Mittel, die mich als Menschen auszeichnen. Und ich bin einfach nett. Damit die Jungen nicht das Gefühl haben, ich wolle etwas Böses. Damit auch ein jüngerer Spieler wie Noah Okafor merkt, dass ich mich für ihn freue, auch wenn er auf einer ähnlichen Position spielt wie ich.

Als Sie als Junger in die Mannschaft kamen, nahmen Benjamin Huggel und Marco Streller Sie unter die Fittiche. Hat Sie das geprägt?

Huggel, Streller, aber auch Franco Costanzo haben mir geholfen, dass ich im Fussball bleibe. Als ich als Teenager in die erste Mannschaft kam, hatte ich keine einfache Zeit, die Atmosphäre war ziemlich hart und rau. Das hat mich geprägt. Ich dachte, ich müsse ganz viele Emotionen abstellen. Damals fühlte ich mich nicht wohl, ich hatte das Gefühl, ich sei ein Roboter, der alle drei Tage auf dem Feld bereit sein muss. Alles andere hatte keinen Platz: kein Ausgang, keine Freundin, keine Schwäche. Erst unter Thorsten Fink erlebte ich wieder, was ich schon als Junior erlebt hatte: dass Erfolg aufgrund positiver Emotionen kam.

Versuchen Sie als Captain, die Atmosphäre der Fink-Zeit wiederzubringen?

Ja, diese Atmosphäre wünsche ich mir. Aber ein Team ist komplex. Wie sind die Neuen? Die Jungen? In der Fink-Zeit kamen Xherdan Shaqiri und Granit Xhaka ins Team, das sind Jahrhunderttalente. Es passte damals sehr viel zusammen, nicht alles war bewusst gesteuert. Mir ist schon klar, dass wir jetzt nicht ein bisschen lustig sein können, und dann ist alles wie früher. Aber mein Grundgedanke ist: jemanden über die positiven Emotionen abholen und auch verpflichten. Über dieses Schema funktioniere ich auch selber sehr gut.

Wenn Sie sich selber auf dem Feld begegneten, wären Sie sich sympathisch?

Manchmal läuft es gut, bin ich im Flow, dann stresst mich auf dem Platz wenig. Manchmal habe ich das Gefühl, ich müsse mich reinkämpfen und reinbeissen, oder ich kann einen Entscheid nicht akzeptieren. Dann bin ich sicher unangenehm.

Und wenn Sie sich selber neben dem Feld begegneten, wären Sie sich sympathisch?

Ja, ich denke schon.

Hat der Fussball auf Sie abgefärbt?

Auf meinen Charakter?

Zum Beispiel.

Ich glaube, dass der Fussball definitiv auf mich abfärbt. Er ist eine Lebensschule, ich habe viele Sachen auf eine harte Art und Weise gelernt. Aber die Frage ist doch, was mich selber ausmacht. Mir ist es wichtig, mich zu hinterfragen und auch Personen um mich zu haben, die mich hinterfragen – nicht den Fussballer, sondern den Menschen.

Was haben Sie im Fussball gelernt?

Dass es egal ist, ob ich ein feiner Kerl bin. Am Schluss ist wichtig, ob ich gewonnen habe.

Fällt es Ihnen schwer, zu lügen?

Im Privatleben schon. Aber der heutige Fussball bringt es mit sich, dass ich nicht immer die Wahrheit sagen möchte, das würde vielleicht nicht gut ankommen in der Öffentlichkeit. Ich könnte auf jeden Fall nicht Sportjournalist sein, Sie müssen immer aus Halbwahrheiten Geschichten machen.

Sie könnten uns auch einfach die Wahrheit sagen.

Ich glaube, unsere Gesellschaft hat es lieber einfach und wird manchmal angelogen, als dass sie stets mit Ehrlichkeit konfrontiert wird. Aber ich will nicht so tun, als sei ich derjenige, der alles verändert. Ich habe die Mechanismen im Fussball akzeptiert, und ich gliedere mich ein.

Kürzlich beschrieben Sie in einem Interview Ihre Haltung zur Öffentlichkeit: «Das bin ich, und wenn ihr mich nicht versteht, dann ist es umso besser. Dann weiss ich, dass ich das Richtige mache.»

Super.

Was meinten Sie damit?

Ich habe manchmal das Gefühl, heute wird ein Mensch kritisiert, bis irgendwann herauskommt, dass er recht hatte. Dann ist plötzlich alles super. Mein Gefühl ist: Wenn ich mich heute erklären muss, weil ich meinen Fleischkonsum reduziere, dann bin ich auf dem richtigen Weg. Wenn ich mich erklären muss, wieso ich mich für Tiere einsetze, dann bin ich auf dem richtigen Weg. Ich will mich nicht zum tollen Typen verklären, aber wieso muss ich mich für meine Engagements rechtfertigen?

Müssen Sie sich rechtfertigen?

Ich hörte schon auch Dinge wie: «Der soll sich lieber auf den Fussball konzentrieren statt ein Tierheim in Süditalien betreiben.» Wenn ich aber die Möglichkeit habe, drei Welpen zu retten, die in einem Plastiksack vor einem Restaurant deponiert wurden, dann mache ich das. Sie fragten am Anfang: War es nur Fussball? Ja. Und es ist noch immer nur Fussball.

Ist das nicht ein bisschen Ihre Masche: Valentin Stocker, der untypische Fussballer?

Nein, ich glaube nicht. Ich laufe nicht durch die Welt und denke: «Ich bin so ein untypischer Fussballer.» Ich liebe den Fussball, ich lache viel, weil ich etwas tue, was ich sehr gerne tue. Aber es gibt einfach Dinge, mit denen ich mich nicht identifizieren kann, oder Dinge, für die ich mich im Privatleben interessiere, die nicht unbedingt zum Fussball passen. Das wird mir bei Misserfolg der Mannschaft vorgeworfen. Weil die Erwartung in der Öffentlichkeit ist, dass ich sieben Tage und vierundzwanzig Stunden bezahlt bin, um mich auf meinen Klub zu konzentrieren – so empfinde ich das. Und für mich ist das extrem unrealistisch, das würde ich mental nicht hinbekommen.

Wer versteht Sie?

Diejenigen Leute, die mich nicht als Fussballer sehen. Wenn Sie ein Tierheim betreiben würden, müssten Sie sich wahrscheinlich nicht erklären. Ich denke, Ihr Umfeld würde wohlwollend reagieren. Das ist bei mir genau gleich.

Wollen Sie verstanden werden?

Ja, wer will das schon nicht.

Aber es ist schwierig.

Es ist im Fussball einfacher als auch schon. Manchmal braucht es ein bisschen Mut, über Dinge zu sprechen.

Sie haben mit 25 Ihr Testament geschrieben. Wird man sich der eigenen Vergänglichkeit bewusst?

Ja. Das war speziell. Aber eigentlich ging es mir um die anderen, nicht um mich selber. Ich wollte, dass meine Freundin und meine Familie abgesichert sind.

Wie ist es mit der Vergänglichkeit als Fussballer, sind Sie sich dieser bewusst?

Dieser bin ich mir sehr bewusst. Ich machte manchmal 50, 60 Matches in der Saison. Ich hatte gar nicht die Zeit, alles zu reflektieren, ich kann mich an vieles nicht erinnern. Aus dieser kurzen Zeit als Fussballer, diesen 10, 15 Jahren – da gibt es noch viel zu verarbeiten. Darauf freue ich mich: nach der Karriere diese Emotionen nochmals zu durchleben.

Wollen Sie immer noch ein Restaurant eröffnen nach der Karriere?

Ich habe viele Träume, aber Kaffee, Essen, das ist etwas, das ich sehr gerne mache, das könnte ich mir vorstellen. Aber ich denke immer: Es hat noch Zeit. Fussball ist etwas, das ich relativ gut kann, das will ich machen, solange ich mich fit und wohl fühle. Und ich nicht das Gefühl habe, der Fussball sauge mir die Energie aus.

Was wäre es für ein Restaurant?

Wahrscheinlich würde ich mir jemanden suchen, der die vietnamesische Küche beherrscht oder die japanische. So etwas in Richtung Fusion-Kitchen. Ich habe mich da in Berlin in etwas hineingesteigert, immer wieder versucht, neue Sachen herauszufinden, ging an freaky Orte.

Sie wohnen in Luzern und pendeln nach Basel.

Ich nutze die Zeit im Auto, um nachzudenken. Wann nimmt man sich heute noch richtig Zeit, um nachzudenken? Ab und zu komme ich an und muss mir meine Gedanken notieren. Wohin wir in die Ferien gehen könnten, was wir Gemeinnütziges tun könnten in der Weihnachtszeit. Oder einfach eine coole Idee für die Mannschaft.

Wo wäre Ihr Restaurant, in Luzern oder in Basel?

Wenn Sie mich heute fragen, wäre es wohl eher in Basel. Ich erlebe die Leute hier offener, die Nähe zur Grenze, es hat mehr junge Leute. Es könnte aber auch in Luzern sein. Oder in Berlin. Aber das ist nichts für die nächsten paar Jahre, ein Restaurant braucht viel Energie, da hätte ich kein Wochenende mehr frei. Und das habe ich jetzt schon.

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