Presseschau

Basler Zeitung vom 07.12.2019

«Du lernst es, indem du frei bist, mit dem Ball zu tun, was du willst»

Edon Zhegrova zog mit 15 wegen des Fussballs nach Belgien, spricht vier Sprachen und ist der neue Spektakelmacher beim FCB. Im Gespräch erklärt der 20-jährige Kosovare seinen Weg - und seine Dribbelkünste.

Oliver Gut

Edon Zhegrova, es heisst, Sie seien nicht nur am Ball talentiert, sondern auch mit Fremdsprachen. Warum unterhalten wir uns dann nicht auf Deutsch?

Edon Zhegrova: Das geht leider noch nicht. Aber beim nächsten längeren Interview mit Ihnen wird es gehen.

Wirklich?

Ja, ich denke schon. Verstehen tue ich schon fast alles, es ist dem Flämischen nicht unähnlich. Selber immer die richtigen Worte zu finden, dauert aber etwas länger.

Gehen Sie in den Unterricht?

Nein. Ich lerne es, indem ich mit den anderen Menschen rede. Ich bin ein kommunikativer Typ.

Welche Sprachen beherrschen Sie bereits?

Albanisch, Französisch, Flämisch, Englisch.

Fliessend?

Ich würde schon meinen.

Ihre Deutschland-Zeit reichte nicht, um Deutsch zu lernen

Das war eher eine Frage des Alters. Ich bin zwar in Deutschland geboren, aber lebte nur im ersten Jahr meines Lebens dort. Dann endete der Krieg in meiner Heimat, und wir kehrten nach Kosovo zurück, wo ich in Pristina aufwuchs.

Jedenfalls, bis Sie 15 Jahre alt waren

Richtig. Dann ging es mit der Familie nach Belgien.

Warum?

Aufgrund des Fussballs. Meine Eltern und ich befanden, dass es für meine Entwicklung förderlich wäre, Kosovo zu verlassen. Die Clubs in Kosovo waren weniger gut organisiert, und die Infrastruktur ist auch ein Problem. Also folgten wir dem Ruf aus Belgien, was sehr speziell war. Kein Junior aus Kosovo hat so etwas zuvor gewagt.

Sie gingen zu Standard Lüttich.

Das stimmt eben nicht ganz. Ja, ich ging mit meiner ganzen Familie wegen Standard Lüttich nach Belgien. Der Club war auf uns zugekommen. Doch als der Schritt beschlossen war, wechselte bei Standard der Präsident. Und so kam es, dass ich gar nie bei Lüttich im Club war, obwohl es das noch heute überall heisst. Mein erster Club in Belgien war St. Truiden. Dann Genk.

Wie war das für Ihre Geschwister, dass alles dem ältesten Kind untergeordnet wurde?

Für die Eltern war es spezieller als für meinen jüngeren Bruder und meine jüngere Schwester. Die integrierten sich sofort, gingen zur Schule, waren rasch begeistert und heimisch. Die Eltern mussten sich mehr daran gewöhnen. Auch wenn mein Vater von Beginn an Arbeit beim Club hatte.

Die Geschichte erinnert an Lionel Messi, der als Teenager mit seinen Eltern aus Argentinien nach Barcelona kam. Man nennt Sie den Kosovo-Messi

und Lionel Messi ist mein Lieblingsfussballer! Ja, die Geschichte ist nicht alltäglich.

Seit wann nennt man Sie den Kosovo-Messi?

Seit jener Zeit. Die AC Milan organisierte ein Camp in Pristina. Da wurde ich als bester Junior von 200 Spielern ausgewählt. Ich trainierte dann auch eine Woche in Mailand. Man befand, ich bewege mich ähnlich wie Messi. Daher kommt der Name.

Wie fühlt man sich da: Wie der Grösste - oder einfach grausam unter Druck?

Weder noch. Ich gebe nicht viel auf meinen Übernamen. Natürlich ist es irgendwie eine Ehre. Aber ich bin nicht Lionel Messi und werde es auch nie. Ich bin ich. Mit meinem eigenen Fussball-Stil. Ich kopiere niemanden, sondern spiele einfach so, wie ich es am besten kann.

Ihr Stil sind Dribblings in hohem Tempo

Ja. Ich weiss, dass ich das kann.

Warum können Sie es?

Ich weiss es nicht. Es ist einfach passiert. Wenn dir der liebe Gott ein Talent gibt, dann machst du einfach. Ich habe das Dribbling nie bewusst trainiert. Es war einfach da, ganz natürlich.

Also haben Sie es nicht im organisierten Clubfussball gelernt.

Nein. Ich habe immer so gespielt, solange ich denken kann. In Pristina, auf der Strasse. Mit vielen anderen Kindern. Und manchmal, wenn keiner da war, spielte ich halt alleine gegen die Wand. Ich denke, so etwas kannst du nicht bewusst lernen. Du lernst es, indem du einfach frei bist, mit dem Ball zu tun, was du willst. Auf der Strasse war ich frei. Und ich war in meiner Freizeit ständig mit dem Ball auf der Strasse.

Diese Freiheit geniessen Sie im bezahlten Fussball nicht. Wie oft sagt Ihnen Marcel Koller, Sie sollen doch bitte endlich den Ball abspielen?

Das kommt im Training schon vor (lacht). Das Training ist ja dazu da, sich zu verbessern. Und ich muss mich noch in vielen Dingen verbessern. Zum Beispiel meinen schwächeren, rechten Fuss. Und ja: Die richtige Balance zu finden zwischen Dribbling und Pass, gehört auch dazu.

Sie wissen also, dass Sie mehr passen sollten.

Ich weiss, dass ich meine Balance diesbezüglich verbessern muss. Aber es ist ja nicht so, dass die Trainer nicht wollen, dass ich dribble. Im Gegenteil: Alle Trainer haben mir immer auch gesagt, ich solle meine Stärken im Eins-gegen-eins ausspielen. Ich habe das Selbstvertrauen und die Fähigkeit dazu - also tue ich es.

Wie treffen Sie die Entscheidung zu dribbeln oder zu passen?

Das geschieht nicht bewusst, sondern instinktiv.

Die Zuschauer lassen Sie so nie kalt: Manchmal staunen alle, manchmal ärgern sie sich, wenn Edon Zhegrova am dritten Gegenspieler hängen bleibt. Ärgern Sie sich auch?

Natürlich. Da denke ich dann schon, ich hätte besser abgespielt. Aber hängen zu bleiben gehört dazu, wenn man im Eins-gegen-eins erfolgreich sein will.

Wie viele Gegenspieler in Folge haben Sie denn in Ihrer Karriere in einer einzelnen Szene schon ausgedribbelt?

In einer Szene? Schwierig zu sagen, das waren vielleicht mal fünf Gegenspieler.

Im Profifussball?

Natürlich im Profifussball! Bei den Junioren waren es sicher auch schon acht.

Der Fussball ist Sport - aber auch Show. Und das Stadion eine Bühne. Ist Ihnen dies bewusst, geht es manchmal auch darum, wie die Show ist?

Nein, es geht in meinem Leben nur um Fussball. Aber ich weiss schon, was Sie meinen. Ich weiss: Die Menschen kommen in erster Linie ins Stadion, um ihre Mannschaft spielen zu sehen. Aber ein bisschen kommen sie auch, um unterhalten zu werden, also wegen der Show. Und ja: Wenn ich mit meiner Art zu spielen etwas dazu beitragen kann, dann mache ich das gerne. Aber meine Spielweise entspringt einzig dem Wunsch, auf dem Fussballplatz erfolgreich zu sein.

Sie sind also kein Showman, der gerne auffällt? Auf Ihrem Instagram-Account gab es bis vor kurzem Bilder von Ihnen mit nacktem Oberkörper am Pool oder mit cooler Sonnenbrille im schicken Automobil

Es geht mir nicht darum, aufzufallen. Aber ich denke, es gehört heute gerade bei jungen Menschen und im Fussball dazu, dass man einen eigenen Stil entwickelt. Ich tue, worauf ich Lust habe, solange es niemandem schadet. Wenn das bedeutet, dass ich solche Bilder auf Insta stelle, dann ist das so. Und wenn ich sie wieder wegnehme, nehme ich sie wieder weg. Fertig.

Da kam also nicht die Kommunikationsabteilung vom FCB auf Sie zu und fand: Du tust dir damit keinen Gefallen.

Nein. Ich bin jung. Da postet man halt einfach Dinge auf Instagram. Jetzt sind diese Fotos weg, weil es so für mich stimmt. Aber wenn ich in Zukunft wieder ähnliche Fotos auf mein Profil stelle, dann stimmt es für mich genauso.

Zuletzt beim 3:0 gegen die Young Boys stimmte in Ihrem Spiel ziemlich viel und Sie sorgten für beides: Erfolg und Show.

Ja. Aber wichtig war der Erfolg.

War es das beste Spiel Ihrer bisherigen Karriere?

Wahrscheinlich. Es war sicher eines meiner besten Spiele. Es war aber vor allem ein sehr wichtiges Spiel für den FCB und ein sehr wichtiges Resultat. Es war wichtig zu zeigen, dass wir besser als YB sind.

Sie glauben, dass der FCB in dieser Saison besser als YB ist und Meister wird?

Ja, davon bin ich überzeugt. Auch wenn wir alle die Geschichte kennen und grossen Respekt haben vor YB: Ich finde, wir verdienen es, auf dem ersten Platz zu stehen. Denn wenn alles stimmt bei uns, dann sind wir meiner Meinung nach spielerisch besser als die Berner.

Dann, wenn Zhegrova am Flügel spielt

Nein. Egal, wer spielt.

Sie mussten lange auf so ein Spiel wie gegen die Young Boys warten. In Belgien, aber auch in Basel.

Das macht nichts. Ich bin geduldig. Und ich arbeite hart dafür. Und die YB-Partie hat mir gezeigt, dass sich Geduld und Arbeit auszahlen.

Sie haben also kein Problem damit, dass Sie beim FC Basel bislang nicht zur ersten Wahl des Trainers gehört haben?

Nein. Der Trainer entscheidet - und als Profi musst du damit einfach umgehen können. Das bedeutet ja nicht, dass ich nicht spielen will oder nicht das Gefühl habe, dass ich spielen sollte. Aber du musst manchmal Geduld haben.

Zuletzt war Valentin Stocker gesperrt. Was, wenn der Captain wieder spielberechtigt ist: Können Sie auch auf einer anderen Position als im rechten Mittelfeld spielen?

Ja, natürlich. Das muss man ja können. Als Zehner oder linker Flügel ginge es bestimmt auch. Aber am stärksten bin ich schon über die rechte Seite.

Warum?

Ganz einfach: Ich habe eigentlich immer auf dieser Position gespielt. Hinzu kommt noch, dass ich von dort in die Mitte reinziehen und mit meinem starken linken Fuss abschliessen kann. Aber eben: Ich bin geduldig.

Diese Geduld soll Sie in Belgien nicht unbedingt ausgezeichnet haben. Es gibt da die Geschichte von Ihrem Wechsel zum FCB

Ja, ich weiss. Aber das war etwas anderes. Trainer Philippe Clement sah in mir nicht das, was etwa Marcel Koller sieht. Ich hatte das Gefühl, ich komme nicht weiter.

Es heisst aber auch, Sie hätten das Training bestreikt, um Ihren Leih-Transfer zum FC Basel zu erzwingen.

Diese Geschichte kenne ich. Aber sie ist schlicht nicht wahr. Ich habe mich noch nie geweigert, zu trainieren. Aber ich wollte weg. Und als der FCB sich meldete, da sagte ich intern auch klar, dass ich dorthin gehen will.

Im ersten Halbjahr in Basel spielten Sie dann allerdings auch nicht oft. Bereuten Sie den Wechsel zwischenzeitlich?

Nie. Der Club ist toll, die Menschen in Basel sind sehr angenehm. Und ich traf hier auf andere Spieler mit Wurzeln in Kosovo, die mir halfen. Da war Albian Ajeti. Und da ist bis heute Taulant Xhaka, mit dem ich viel Freizeit verbringe.

Wohnen Sie allein?

Ja. Meine Familie blieb in Belgien. Sie sehen also, sie haben sich da inzwischen alle längst zurechtgefunden. Jetzt war ich derjenige, der sich zurechtfinden musste. Aber eben: Durch Albian und Taulant war dies einfach. Und durch meine kommunikative Art.

Ist es für Sie etwas Besonderes, mit dem Bruder von Granit Xhaka zusammenzuspielen?

Es ist für mich vor allem etwas Besonderes, mit Taulant Xhaka zusammenzuspielen. Ob Granit oder er - ich verfolgte beide Karrieren bereits, als ich noch ein Junge war. In der Heimat sind sie beide Helden. Und ja, ich träumte davon, mit ihnen eines Tages zusammenzuspielen.

Interessieren Sie sich für Politik?

Nein.

Die vergangene Woche endete gegen YB toll - unter der Woche fuhren Sie jedoch nicht nach Krasnodar

Ja, es war kompliziert. Zu kompliziert

Russland anerkennt Kosovo nicht als Staat, stellt sich auf die Seite Serbiens, das Ihre Heimat noch immer als serbisches Staatsgebiet versteht. Sie hätten nach Belgrad reisen müssen, um ein Visum zu erhalten. Das wollten Sie nicht.

Ja, der Club und ich haben uns dagegen entschieden.

Also interessieren Sie sich ja doch für Politik

Na ja, ein bisschen interessiert sich wohl jeder Mensch für Politik. Aber es ging ja nicht nur um Belgrad. Die ganze Prozedur wäre für mich und den FCB sehr aufwendig gewesen - ohne zu wissen, ob ich dann auch ein Visum erhalte.

Was würde es für Kosovo bedeuten, wenn man sich für Euro 2020 qualifiziert?

Das wäre eine riesige Geschichte. Wir sind ein junges Land, das unglaublich viel aus so einem sportlichen Erfolg ziehen könnte.

Und für Sie als Nationalspieler?

Mit der Euro ginge ein Traum in Erfüllung. Wir sind eine junge Mannschaft, die es gut gemacht hat. Nun kommt es im März zum Vergleich mit Mazedonien. Ich glaube daran, dass wir bestehen und es schaffen können.

Und dann dribbeln Sie sich durch die EM, damit danach die nächste grosse Bühne folgt - und sich der FC Barcelona wieder bei Ihnen meldet

So ungefähr sieht das dann in meinen Träumen aus (lacht).

Barcelona soll sich schon mal interessiert haben.

Barcelona ist mein Lieblingsclub, Messi mein Lieblingsspieler Aber eben, wir reden von Träumen. Im Moment zählt nur der FC Basel. Ich wäre sehr froh, wenn meine Karriere beim FCB so weiterverlaufen würde wie zuletzt.

So, dass man Sie definitiv von Genk übernimmt, Sie auch nach dem Sommer hier spielen.

Genau. Das ist mein Ziel.

Und Ihre Interviews werden Sie dann auf Deutsch geben.

Ja, da bin ich mir ziemlich sicher.

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