Presseschau

Basler Zeitung vom 19.06.2020

Die Zeichen stehen auf Zuspitzung

Während der öffentliche Druck zunimmt, macht die Führungsspitze des FC Basel keine Anstalten, sich auf eine Diskussion über eine Zukunft ohne sie einzulassen. Was ist davon zu halten und wie geht es weiter?

Oliver Gut und Tilman Pauls

Wohin des Weges, FC Basel? Diese Frage stellt sich mehr denn je: Erstmals in der rotblauen Geschichte hat die Muttenzerkurve die Führungsspitze am Mittwoch zum Rücktritt aufgefordert: Präsident und Besitzer Bernhard Burgener soll ebenso geordnet das Feld räumen wie die Holding-Verwaltungsräte Peter von Büren und Karli Odermatt und die AG-Verwaltungsräte Roland Heri und Massimo Ceccaroni. Einzig David Degen wurde explizit ausgeschlossen, da erst seit Herbst 2019 im Amt. Ebenso klar fiel die Antwort in einem offiziellen Communiqué aus: Die Forderung wurde zurückgewiesen.

Erledigt oder gelöst ist damit gar nichts. Vielmehr stellt sich eine Reihe von Fragen nach diesem ereignisreichen Tag.

Wer ist die Muttenzerkurve?

Es gibt keine klare Antwort auf diese Frage - auch nicht von denjenigen, die sich in irgendeiner Form der Muttenzerkurve zurechnen. Geografisch handelt es sich um die Fans, die einen Stehplatz im Sektor D des St.-Jakob-Parks haben. Das dürften mehr als 10’000 Personen sein. Die Heterogenität ist dabei enorm: In der Muttenzerkurve finden sich vom Jugendlichen bis zum Erwachsenen im fortgeschrittenen Alter Menschen jeglicher Couleur.

Die Kurve ist auch Heimat der Ultrabewegungen, genauso, wie sie viele Mitglieder der elf offiziellen Fanclubs aufweist. Der gemeinsame Nenner ist die leidenschaftliche Verbundenheit zu Rotblau. Zum Club wohlverstanden, nicht zwingend zu seinen offiziellen Vertretern.

Dasselbe gilt auch für einen kleineren Teil, der offiziell als Muttenzerkurve auftritt und die gleichnamige Website bewirtschaftet. Diese Gruppierung wird von Insidern auf mehrere Hundert Personen geschätzt, deren Heimat neben der Kurve auch der Saal 12 ist, das bekannteste Fan-Lokal. Sie ist hervorragend organisiert, unterhält etwa eine Choreo-, eine Kommunikations- oder eine Juristen-Gruppe und betreibt auch die Plattform-Bar vor dem Stadion. Auch diese Gruppierung weist vom Schlägertypen bis zum Anwalt alle möglichen Menschen auf.

Wer sind die Urheber der Forderungen?

Die Forderungen stammen aus diesem kleineren, organisierten Teil der Muttenzerkurve. Welche Namen sich hinter dem Schreiben verbergen, lässt sich nicht eruieren, da die Gruppierung bei all ihren Aktionen grossen Wert auf Anonymität legt.

Das heisst: Die Forderungen decken sich nicht 1:1 mit dem Denken der gesamten geografischen Muttenzerkurve oder gar aller Anhänger. Auch aus der Kurve haben sich bereits viele Fans von diesen Forderungen distanziert. Ebenso wenig lässt die Haltung der Gruppierung auf die Meinung der Mitglieder schliessen.

Gleichzeitig ist es aber auch so: So heterogen, wie sich die Urheberschaft zusammensetzt, kann sie durchaus ein Abbild der vorherrschenden Meinung rund um den FC Basel sein. Denn bei allen Wortmeldungen darf nicht vergessen werden: Die Mehrheit schweigt. Aber jeder hat eine Meinung.

Handelt es sich um einen Schnellschuss?

Nein. Die Muttenzerkurve schreibt es in ihrer Mitteilung ja selbst: «So befanden wir uns auch in den letzten Monaten in einem intensiven Austausch mit unterschiedlichen Exponenten.» Und selbstverständlich stehen die Vertreter der Fans nicht erst in den letzten Monaten, sondern schon seit der Übergabe an Bernhard Burgener in Kontakt mit der Führung.

Entsprechend hat man die Entwicklung des Clubs lange beobachtet und sich bedeckt gehalten. Warum die Fans ausgerechnet jetzt, wenige Tage vor der Wiederaufnahme der Saison, weitere Unruhe in den Verein bringen, ist nicht geklärt. Es ist anzunehmen, dass die Meldung über den Rekordverlust von fast 20 Millionen Franken im 2019 und die Aussagen Burgeners im «Blick» der Auslöser für die Forderung waren.

Dass der Präsident trotz der finanziellen Schieflage erklärt, dass alles nach Plan laufe und ihm der Spagat zwischen sportlichem und wirtschaftlichem Erfolg gelungen sei, dürfte dazu geführt haben, dass die wohl schon länger vorbereiteten Forderungen nun publiziert wurden.

Sind die Forderungen berechtigt?

Die Argumentation der Kurve leuchtet ein: In einem angemessenen Ton werden alle Kritikpunkte der letzten Jahre aufgeführt: Brigger, eSports, Koller, Finanzen und nicht zuletzt der Vertrauensverlust der Fans in die Führung.

Die Forderung, dass die Führung zurücktreten muss, muss man nicht unterstützen, aber es ist das gute Recht der Muttenzerkurve, diese Forderung zu stellen. So wie es übrigens auch das gute Recht des FCB ist, diese Forderungen zurückzuweisen. Rechtlich gehört die Mehrheit der FC Basel 1893 Holding AG und damit auch die Mehrheit der Profifussball-Abteilung (FC Basel 1893 AG) schliesslich Burgener.

Auch wenn es im Profisport einzelne vergleichbare Beispiele gibt: Die Forderung, dass die Phase des Übergangs von externen Personen aus der Fangemeinde und dem Umfeld des Clubs begleitet wird und dass richtungsweisende Entscheide in der Mitgliederversammlung zur Genehmigung vorgelegt werden, darf man in dieser durchwegs basisdemokratischen Form als realitätsfern bezeichnen.

Was ist Bernhard Burgeners Antwort?

Es gibt keine. Jedenfalls keine direkte, die öffentlich publiziert worden wäre. Anstatt dass der Präsident oder die Mitglieder der Führungscrew persönlich geantwortet hätten, verschickte der Club noch am selben Abend ein Communiqué - quasi im Namen des FC Basel. Darin wurde die Forderung der Muttenzerkurve mit dem Verweis auf die anstehenden sportlichen Aufgaben und die Verpflichtungen gegenüber den Mitarbeitern, Anhängern und Sponsoren zurückgewiesen.

Wie ist dieses Communiqué zu werten?

Kritisch. Die Muttenzerkurve hat sich zu einer öffentlichen Forderung entschlossen, die es so von ihr in der Vereinsgeschichte noch nie gab. Burgener, Heri und Co. genügten wenige Stunden, um diesem Anliegen eine Absage zu erteilen. Und das ohne Not: Die Muttenzerkurve forderte ja keinen sofortigen Rücktritt, sondern wünschte sich eine wohlüberlegte, konstruktive Lösung zwischen vielen Parteien. Burgener hätte also auch Zeit gehabt, um sich mit den anderen FCB-Führungspersonen intensiv zu beraten und mit den Urhebern der Forderung sowie den Mitgliedern das Gespräch zu suchen, bevor man einen Entschluss in der Sache fasst.

Egal, wie dieser ausgefallen wäre: Man hätte damit signalisiert, dass man das Anliegen ernst nimmt. Die rasch verfasste Absage hingegen ist bei all den höflichen Worten eher als Zeichen der Geringschätzung zu deuten. Dazu passt auch, dass im Communiqué keine Fehler eingeräumt werden. Die Rede ist lediglich vom Verständnis, dass man dafür habe, dass nicht jeder Fan mit allen Entscheidungen der Führung einverstanden sei.

Ist damit das letzte Wort gesprochen?

In keinem Fall. Spätestens an der Generalversammlung im Oktober wird sich zeigen, wie sehr die Meinung jener Muttenzerkurve-Anhänger, welche die Forderungen verfassten, sich mit derjenigen der FCB-Mitglieder deckt. Nur: Bernhard Burgener, Roland Heri und Co. täten gut daran, nicht bis dahin zuzuwarten.

Die Zurückweisung an sich sowie deren rasche Kommunikation könnte abermals viele vor den Kopf stossen. Und es ist nicht auszuschliessen, dass sich die Abneigung eines Teils der Anhängerschaft künftig anders äussert, wenn man vonseiten des FCB nicht zumindest den ernsthaften Dialog sucht.

Dass Burgener und seine Crew dies auch so sehen, muss bezweifelt werden. Probleme auszusitzen, wäre nicht zum ersten Mal die Taktik. Womöglich glaubt man, in Ruhe die sportlichen Resultate abwarten zu können, zumal ja auch keine Zuschauer im Stadion zugelassen sein werden. Alles verbunden mit der Hoffnung, dass die Resultate und auch die Finanzen sich in den nächsten Wochen derart positiv entwickeln, dass der Wind zugunsten der aktuellen Club-Führung dreht und diese bei der GV bestätigt wird.

Welche Chance bietet diese Forderung Burgener?

Jene eines geordneten, aufrechten Rückzugs, begründet mit dem Wunsch der rotblauen Basis. Er könnte nicht nur Hand zu einer Lösung ohne ihn bieten, sondern sogar aktiv zu dieser beitragen. Mit Sicherheit liesse sich seine geäusserte Idee von einer Übergabe in Basler Hände weiterverfolgen. Und vielleicht gäbe es sogar einen Weg hin zur Stiftung, die Burgener als Wunschvorstellung nannte. So oder so wäre es die Chance, zumindest imagemässig - und womöglich auch finanziell - erträglich aus der ganzen Geschichte herauszukommen.

Dass Burgener den ersten Schritt in dieser Angelegenheit macht, scheint aber unwahrscheinlich.

Welche Szenarien bleiben?

Viele. Sie beginnen bei der Glättung der Wogen durch eine wundersame sportliche Entwicklung. Inklusive Partizipation an den Honigtöpfen der Champions League, welche temporär zumindest wirtschaftliche und damit wohl auch klimatische Beruhigung brächte. Sie setzen sich fort über eine Rückbesinnung der Führung in Bezug auf die jüngste Rückweisung und einen gemeinsamen (oder auch einsamen) Weg hin zur Ablösung Burgeners und seiner Mitstreiter. Und sie halten auch Varianten einer weiteren Zuspitzung der finanziellen und atmosphärischen Situation bereit, vom Schrecken ohne Ende bis hin zum Ende mit Schrecken.

Die bisherigen Erfahrungen und Tendenzen, gepaart mit der Logik, lassen eine Verschlechterung der Situation wahrscheinlicher erscheinen: Nach allem, was man in den letzten Jahren über Burgener gelernt hat, lässt er sich durch Kritik und Rücktrittsforderungen nicht beeindrucken, sondern zieht sich noch weiter zurück. Zumal er Fehler kaum eingesteht oder daraus Lehren zieht. Und nach allem, was man über das Fussballgeschäft weiss, spiegeln sich Unruhe und Uneinigkeit hinter den Kulissen früher oder später auch im Geschehen auf dem Rasen.

Dass sich jedoch Burgeners eigene Metapher erfüllt, wonach Helden zuerst leiden müssen, bevor sie obsiegen und in voller Pracht erstrahlen: Es ist kaum vorstellbar.

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