SonntagsZeitung vom 21.06.2020
Die Muttenzerkurve verlangt den Rücktritt des Verwaltungsrats - das ist eine Entwicklung mit Sprengkraft
Florian Raz
Basel Es ist ein Donnerknall, als die Muttenzerkurve am Mittwoch ein Schreiben auf ihre Website stellt. Die 1000 Wörter sind Anklageschrift und Urteil zugleich. Sie beschreiben die Ära von Bernhard Burgener als Besitzer und Präsident des FCB so vernichtend, dass als Zusammenfassung 9 Buchstaben reichen: «Zit zum goo!», lautet der Titel. Zeit, zu gehen.
Nun haben nicht einmal beim FCB die Fans in der Kurve die Macht, den gesamten Verwaltungsrat zum Rücktritt zu zwingen. Aber die Muttenzerkurve hat mit ihrer Forderung die nächste Stufe des rotblauen Machtkampfes gezündet. Es ist eine mit Explosionskraft.
Dabei gab es ja schon zuvor genügend Streitpunkte innerhalb des Vereins. CEO Roland Heri und Sportchef Ruedi Zbinden haben das Heu selten auf einer Bühne. Minderheitsaktionär David Degen ist Zbinden gegenüber ebenfalls kritisch eingestellt. Dazu formiert sich auf der Geschäftsstelle Widerstand gegen die externen Berater der Firma Chameleo AG, die auf Anweisung von Präsident Burgener beim FCB tätig sind. Burgener ist zugleich Verwaltungsratspräsident der Chameleo AG.
Dass die Spieler vergessen haben, dass sie der Club im Streit um den Corona-Lohnverzicht öffentlich an den Pranger gestellt hat, darf getrost bezweifelt werden. Und über allem schwebt drohend das Problem, dass der FCB dringend frisches Kapital braucht, um über den Oktober hinaus liquide zu bleiben. Das alles würde schon reichen, um den Club an den Rand der Handlungsunfähigkeit zu bringen. Da kann er sich einen weiteren Konfliktherd eigentlich nicht leisten. Aber nicht nur darum kann der Protest der Kurvenfans für den FCB so gefährlich werden.
Böse Erinnerungen an das FInale 2006
Es gab in diesem Jahrtausend schon einmal eine Zeit, in der sich in Basel Clubführung und Kurve entfremdeten. Der Streit kulminierte am 13. Mai 2006. An jenem Abend, an dem der FC Zürich mit einem Tor in der 93. Minute den Meistertitel gewann. Die anschliessenden Ausschreitungen wurden von SRF live in die Schweizer Stuben geliefert und bekamen den Titel «Schande von Basel».
Dank cleverer Entscheidungen und viel Arbeit ging der FCB gestärkt aus jener dunklen Nacht hervor. Weil der Club in der Folge viel Zeit in den Dialog mit den Ultras investierte und so eine Basis des Vertrauens schuf. Diese verhindert nicht alle Gewalt und nicht jeden Mist, der in einer Kurve gebaut wird. Aber sie kann viele potenzielle Konflikte lösen, bevor sie gewaltsam zum Ausbruch kommen.
Die neue Führung unter Bur gener hat diesen wichtigen Dialog nicht abgebrochen. Es ist ihr etwas noch Schlimmeres passiert: Sie hat trotz regelmässiger Treffen mit der Kurve deren Vertrauen verloren. Was bezeichnend für die gesamte Ära Burgener ist: Kommunikation ist die herausragendste Schwäche seines FC Basel.
Nun ist auch die Muttenzerkurve nicht einfach zu fassen. Ihre Mitteilungen schreibt sie konsequent anonym. Trotzdem tritt sie gegen aussen als einzige Stimme einer heterogenen Menge an FCB-Fans auf. Wobei sie natürlich nicht alle rund 6500 Menschen vertreten kann, die bei einem Heimspiel im Sektor D des St.-Jakob-Parks stehen und sitzen. Ihre Stimme ist vor allem jene der verschiedenen Fan-Gruppierungen, die in der Heimkurve mit- und nebeneinander leben.
Doch so heterogen die Muttenzerkurve auch zusammengesetzt sein mag - sie ist durchaus gut organisiert. Sie bietet Anhängern des FCB eine Rechtshilfe an. Sie betreibt hinter dem Stadion eine Bar. Sie schickt vor einem Cupfinal Mitglieder nach Bern, um den Ort zu rekognoszieren, an dem sie sich laut Weisung der Polizei versammeln soll. Sprich: Wer die Kurve gegen sich hat, hat sicher kein einfaches Leben als FCB-Präsident.
Hat Degen sogar viel mehr als ein Vorkaufsrecht?
Kommt dazu, dass sich Burgener im Oktober den Mitgliedern des Vereins FC Basel zur Wiederwahl stellen muss, wenn er Präsident bleiben will. 2019 erhielt er noch 65 Prozent der Stimmen. Schon das war eine Ohrfeige. Jetzt scheint eine Abwahl möglich. Auch wenn die meisten Vereinsmitglieder nicht aus der Kurve stammen.
Vermutlich wäre es cleverer, wenn Burgener im Oktober freiwillig auf den Präsidententitel verzichten würde. Der Verein FC Basel hält sowieso nur 25 Prozent der Aktien der FC Basel 1893 AG, zu der die Profifussballer des FCB gehören. Burgener würde mit seiner FC Basel Holding AG weiterhin 75 Prozent an der 1893 AG halten - und könnte den FCB weiterhin nach seinem Gusto führen. Denn wenn er nicht will, kann niemand Burgener zwingen, seine Aktien an der FC Basel Holding AG zu verkaufen. Nicht einmal die Kurve.
Wenn jemand einen Hebel hätte, dann wäre das noch am ehesten David Degen. Dem ehemaligen FCB-Spieler gehören seit September 2019 zehn Prozent der Holding AG. Es gibt Gerüchte, dass Degen nicht nur ein Vorkaufsrecht hält für den Fall, dass Burgener seine Aktien abgeben will: Degen soll sogar ein Kaufsrecht besitzen. Er könnte Burgener also die Aktien jederzeit zu bereits festgelegten Konditionen abkaufen.
Degen und Burgener haben sich zu den entsprechenden Gerüchten nie geäussert.