Presseschau

Schweiz am Wochenende vom 04.07.2020

Vom Ungewollten zum Königstransfer

Céline Feller

Arthur Cabral belebt und begeistert Basel wie lange niemand mehr. Wer ist der junge Mann, der einst auf Klubsuche musste? Ein Porträt.

Fenômeno. So nennen sie in Brasilien den besten Stürmer, den sie je hatten: Ronaldo. Den Dicken. Den Alten. Den, der sich via PSV Eindhoven zu Barcelona, Real Madrid und Inter spielte. Den, der die Seleção 2002 zum Weltmeistertitel schoss.

Fenômeno. So nennt beispielsweise Fabian Frei in den sozialen Medien den aktuell besten Stürmer, den der FC Basel im Kader hat: Arthur Cabral. Der 22-jährige Brasilianer. Der Torgarant des FCB. Die Lebensversicherung gar. 14 Tore hat Cabral in nur 29 Spielen erzielt, ausserdem sechs vorbereitet. Lange hat kein Spieler das Basler Publikum mehr so fasziniert. Mit seiner Bulligkeit, seiner Präsenz, seiner dennoch bewundernswert feinen Technik und natürlich seinem Torriecher. «Er ist kein typischer Brasilianer», sagt sein Trainer über ihn. «Er reibt sich auf, sucht und braucht Zweikämpfe. Und seine Tore sind speziell. Das in Lugano war ein bisschen wie früher, erzielt mit der Spitze», schwärmt Marcel Koller. Nicht nur er hat gemerkt: Arthur Cabral hat etwas Spezielles. Er hat Attribute, die auch Ronaldo, das ­Fenômeno, auszeichneten.

Die eigene Schüchternheit und der Ehrgeiz des Vaters

Arthur Cabral muss lächeln. Es ist ein Lächeln, in dem ein bisschen Stolz mitschwingt. Aber auch viel Demut. Er wolle sich doch nicht mit Ronaldo vergleichen. «Das Niveau, auf dem er spielte,...phu», sagt er, und deutet nach oben. Arthur Cabral bewundert den brasilianischen Über-Stürmer. Schon seit je. Er sei der beste Spieler, den er je in seinem Leben gesehen habe. «Ronaldo ist pura tecnica», sagt er, derweil er sich selbst als «kräftiger» beschreibt. «Vom Stil her bin ich wohl eher wie ­Adriano», sagt der Stürmer, als er am Donnerstag erstmals seit seiner Ankunft in Basel im September seine Lebensgeschichte vor den Medien erzählen soll. Erst seit Montag ist klar, dass der FCB den Spieler nach seiner ­Leihe definitiv übernehmen wird. Fast vier Millionen kostet er, wie Sportchef Ruedi Zbinden offenlegte. Eine grosse Summe in schwierigen Zeiten. Aber eben auch ein Königstransfer. Aktuell auf dem Platz, dereinst in den Vereinskassen.

So überzeugt und voller Selbstvertrauen Cabral auf dem Platz auftritt, so bescheiden tritt er daneben auf. Die Vergleiche mit Ronaldo und Adriano, dem grössten und einem grossen Stürmer seiner Heimat, fallen Cabral nicht leicht. Zwar habe er sich gebessert, aber: «Früher war ich extrem schüchtern.» Eine Eigenschaft, die ihm Wege versperrte. Denn der Mann, der mittlerweile Begehrlichkeiten in Europa weckt, den FCB belebt und fasziniert wie lange niemand mehr, hatte früher zu kämpfen. Mit sich, dem Fussballbusiness und seinem vor Ehrgeiz strotzenden Vater. Der heutige Basler Königstransfer war einst ein Ungewollter. Abgewiesen von diversen Profiklubs, weil er nicht genügte. Weil er zu zurückhaltend war. Weil er sich nicht anpassen konnte.

Geschichten, die bei diesem kleinen Phänomen, das Arthur Cabral in Basel geworden ist, kaum vorstellbar sind. Gerade auch, wenn sein Trainer sagt: «Er versucht, im Training immer Deutsch zu reden, sagt beispielsweise ‹Achtung›, wenn einer kommt. Er ist wirklich sehr gut integriert. Er will für sich immer alles geben und fordert auch von den Kollegen, dass sie mehr aus sich herauskommen.»

Mit sechs oder sieben Jahren beginnt klein Arthur zu kicken. In ortsansässigen Klubs und der Schule, bereits ausgestattet mit feiner Technik. Fussball war immer die grosse Leidenschaft. Dabei hätte es auch anders kommen können. Sein Vater, ein hauptberuflicher Fussballtrainer, drückt Cabral früh in ebendiese Richtung. Würden andere aus Trotz den gegenteiligen Weg wählen, sagt er: «Es war schwierig. Aber am Ende war meine Liebe für diesen Sport doch stärker.» Auseinandersetzungen mit dem Vater gab es dennoch. Zuhauf. «Ich war erst sechs, als er zu Hause die Taktiktafel aufstellte und mir Dinge beibringen wollte», erinnert sich Cabral und verdreht die Augen. Etwas, was er immer wieder tut im Gespräch, wenn er sich nicht ganz wohl fühlt.

Trotz Diskussionen mit dem Vater spricht Cabral davon, immer «uma vida boa», ein schönes Leben, gehabt zu haben. «Mir hat es nie an etwas gefehlt.» Mit zwei älteren Schwestern – die Dritte, eine Nachzüglerin, ist erst vier Jahre alt – wächst er in Campina Grande im Nordosten Brasiliens auf. Mit 15 zieht es ihn davon, er will bei Profiklubs vorspielen, wird aber lange nicht genommen. Erst mit 16 bekommt er beim Ceará SC einen Profivertrag. Es ist ein Moment, in dem er lernt, seine Schüchternheit abzulegen. Auch, weil er erstmals alleine ist, weit weg von der Familie. Er reift, obschon er auch leidet, Heimweh hat. Erfahrungen, die ihm bei der Adaption in Basel helfen, wie er sagt. Und Momente, die es braucht, denn: Einen Plan B gibt es nicht. «Was ich sonst machen würde, ist nicht einfach zu sagen. Wahrscheinlich wäre ich in einer anderen Funktion im Fussball tätig.»

Hier Geschichte schreiben, dann den Traum erfüllen

Bei Ceará debütiert er mit 17, steigt aus der Serie B in die höchste Liga auf, gewinnt zwei Landesmeisterschaften und empfiehlt sich via Palmeiras São Paulo, wo er zwar kaum spielt, für den FCB. Seinen neuen Klub kennt er von der Champions League, «aber ich hätte nie gedacht, dass ich irgendwann hier spielen würde». Ohnehin kann er nicht rekonstruieren, wann er wusste, dass er es als Profi schaffen könnte. «Diesen einen Moment», sagt er und schnipst, «den gab es nicht. Es ist immer alles einfach passiert.» Schritt für Schritt, mit der Hilfe Gottes. Cabral betet vor jedem Spiel. «Nicht für Tore, die sollen mir nicht geschenkt werden. Aber für die Gesundheit.» Geschenkt wurden ihm die Tore nicht. Cabral ist ein Arbeiter mit beeindruckender Physis. Seine 1,86 Meter wirken grösser, wenn er vor einem steht. Er scheint nicht schüchtern, vielmehr präsent, im Moment.

Auch deshalb will er nicht viel über die Zukunft nachdenken. Er habe keine präferierte Liga, aber ja, die Premier League reize ihn. Und die Nationalmannschaft – «um sonho», ein Traum. Erst ein Spiel im Dress der U23 hat er absolviert, früher sei er nie interessant gewesen für die Auswahlen. Mit seinen Leistungen in Basel dürfte sich das ändern. Er wolle hier Titel gewinnen, Geschichte schreiben: «Das habe ich von Anfang an gesagt.» An seiner eigenen Geschichte schreibt er schon sehr erfolgreich. Möglich, dass sie ihn, wie einst el Fenômeno, von einem europäischen Spitzen-Ausbildungsklub in eine grosse Liga bringt.

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