Presseschau

NZZ vom 27.08.2020

Ciriaco Sforzas zweites Leben

Kaum einer hat sich im Fussball so verwandelt wie dieser Trainer – genügt das für den Job beim FC Basel?

Flurin Clalüna

Ciriaco Sforza war in den letzten Jahren ein Phantom des Schweizer Fussballs. Manchmal tauchte er irgendwo auf einem Rasen auf, dann verschwand er wieder. Man sah ihn glücklich mit einem Kinderwagen in der Stadt Zürich, dann wieder in einer Beiz im Aargau, wo er stundenlang Kaffee trinken konnte, offenbar ganz mit sich im Reinen. Sforza schwankte jahrelang zwischen freiwilligem Rückzug und dem Vergessenwerden. Man sprach zwar immer respektvoll über ihn als Spieler, weil es einen wie Sforza in der Schweiz kaum je gegeben hat, keinen mit diesem Instinkt, keinen mit diesem Gespür für das Spiel. Keinen schwierigeren vielleicht auch. Der Spruch des FC-Bayern-Managers Karl-Heinz Rummenigge, Sforza sei ein «Stinkstiefel», klebt an ihm wie Pech.

Und irgendwann waren auch die Meinungen über ihn als Trainer gemacht: Er würde als Coach nie so erfolgreich werden, wie er es als Fussballer gewesen sei. Und er schien sich damit abgefunden zu haben. Sforza ging nach Wohlen und nach Thun, er war mehr als drei Jahre lang arbeitslos, bevor er 2019 in Wil ins Trainerleben zurückkehrte. Es war, als ob sich Sforza mit den Kleinstädten angefreundet hätte, ähnlich vielleicht wie Murat Yakin, der in Schaffhausen zufrieden scheint.

Ein neuer Mensch

Nun bekommt Sforza als Trainer in Basel eine Chance, mit der er wohl nicht mehr gerechnet hat. Am Mittwochabend bestätigte der FCB, was verschiedene Medien bereits vermeldet hatten: Sforza bekommt einen Zweijahresvertrag, gültig ab 1. September. Im Communiqué lässt er sich so zitieren: «Der FC Basel hat über die Grenzen hinaus Geschichte geschrieben. Mein Ziel ist es, weitere erfolgreiche Kapitel hinzuzufügen, national wie international.» Der Präsident Bernhard Burgener sagt: «Er passt perfekt in unser Konzept.»

Als 50-Jähriger will Sforza doch noch erfüllen, was er als Jungtrainer prophezeit hat. Der FCB mag nicht mehr der FCB von vor ein paar Jahren sein. Aber an einer besseren Adresse arbeitete Sforza noch nie. Damals als Trainerneuling hatte er gesagt: «Es wäre gelogen, zu behaupten, dass ich als Trainer nicht die gleichen Ziele verfolge wie als Spieler, nämlich so viele Titel und Erfolge wie möglich zu erreichen.» Und das hiess: Sforza strebte wieder eine Weltkarriere an. Er spielte für den FC Bayern und für Inter Mailand, aber als Coach kam alles ganz anders. Seine Trainerkarriere verlief irgendwie rückwärts. Sforza stieg mit 36 Jahren in der Schweiz gleich ganz oben ein, beim FC Luzern in der Super League, und danach verlor er nicht nur den Karriereplan aus den Augen, sondern ein Stück weit auch sich selber.

Es gab eine Zeit, als man sich ernsthaft Sorgen um Sforza machte. Einmal spazierte er im grauen Trainingsanzug ziellos durch ein Einkaufszentrum in einem Zürcher Industrievorort. Er sah nicht gut aus, ausgebrannt von seiner Arbeit als Trainer bei den Grasshoppers und erschöpft von privaten Problemen. Das war im Sommer 2012. Damals wurde Sforza von einer Sinnkrise getroffen. Er war misstrauisch, fühlte sich verfolgt und verschickte verzweifelte SMS-Nachrichten, wenn er sich missverstanden fühlte. Sforza war am Tiefpunkt der Karriere. Aus heutiger Sicht war es auch ein Wendepunkt. Aus dem unnahbaren, arrogant wirkenden Spieler und Jungtrainer wurde nicht nur ein anderer Typ, sondern ein neuer Mensch. Es war eine der erstaunlichsten Verwandlungen der Schweizer Fussballgeschichte.

Sforza begann sich in einer Weise zu öffnen, wie es im Fussballgeschäft nicht oft vorkommt. 2015 gab er im «Tages-Anzeiger» ein Interview und sprach so unverblümt über seine psychischen Probleme wie kaum jemand vor ihm. Sforza ging in Therapie. Später sagte er: «Früher hatte ich wenig Vertrauen in andere. Heute muss ich auch nicht mehr dauernd hinter mich schauen, ob da irgendwo etwas Schlechtes lauert. Ich bin mit wenig zufrieden.»

Sforza hatte aufgehört, seine sensible Seite zu unterdrücken. Später sprach er offen über seinen 2017 verschiedenen Vater Fortunato. Sforza hatte dessen Sterbeprozess begleitet, «da ist auch menschlich etwas mit mir passiert. Heute sehe ich vieles anders», sagte er. Was wichtig sei in seinem Leben und was nicht. Vielleicht übertrieb er die Offenheit fast schon. Man konnte mit Sforza auf einem Sofa zusammensitzen, er legte einem den Arm auf die Schulter und sagte: «Ich meine das ganz von Herzen.» Aber Sforza meinte ehrlich, was hin und wieder etwas esoterisch daherkam. Er hatte sich verändert und wollte, dass es alle wissen. Es hat lange gedauert, bis er wieder zu sich gefunden hat. Als er vor ein paar Monaten auf der Geschäftsstelle des FC Wil sass, sagte er: «Es ist der zweite Anlauf in meiner Trainerkarriere.» Er sei nun wieder bereit.

«Alles für mich»

Während seiner Arbeitslosigkeit fuhr Sforza wochenlang mit seiner Harley über die Berge und mit dem Motorboot übers Wasser; er lehnte Stellenangebote ab und lebte erstmals seit Jahrzehnten ohne Berufsfussball; er kam zu Atem, und irgendwann kehrte die Lust zurück. Denn etwas hat er sich immer bewahrt, und es gibt auch niemanden, der das bestreitet: sein Gespür für den Fussball. Diese Gabe, auf dem Rasen Dinge zu sehen, die anderen verborgen bleiben. Seine Intuition für die Entwicklung junger Spieler auch. Vor allem deshalb hatten sie ihn nach Wil geholt. Und deshalb bekommt er nun auch die Chance beim FC Basel, der in ihm den Ausbildner sieht, der ihm vorschwebt.

Sforza bringt vieles mit, das ihn zu einem guten Trainer macht. Aber es gibt auch Schwächen, die ihn daran hindern. Sforza ist kein guter Kommunikator, Kameras sind nicht seine Freunde, auch wenn er sich noch so grosse Mühe gibt. Am Mittwochmittag sagte er in einem kurzen Interview mit dem «Blick»: «Es ist der FC Basel, der ein grossartiger Verein ist. Und es ist eine Chance für mich. Ich bin mit dem Herzen dabei und gebe alles für mich.»

Er gebe alles für sich: Das wollte er so natürlich nicht sagen. Sondern, dass er alles für den Verein gebe. Aber manchmal drückt er sich so missverständlich aus, dass er schwierig zu verstehen ist. So wie in seiner Zeit bei den Grasshoppers, als er sagte, er mache keine krummen Kurven. Oder als ein Radiosender in Endlosschlaufe einen Satz von Sforza ausstrahlte, wie er sich verhaspelte, als er sagen wollte, man müsse jetzt die Ärmel hochkrempeln.

Das ist alles nicht so schlimm. Aber man fragt sich: Sforza sieht auf dem Platz zwar, was andere nicht sehen. Aber kann er es auch vermitteln? Wenn es ihm gelingt, sein Fussballverständnis auf seine Spieler zu übertragen, ist er ein besonderer Coach. Sforza war schon früher ein beliebtes Opfer. In den neunziger Jahren wurde er von der Fernsehsendung «Verstehen Sie Spass?» veralbert, als man ihm weismachte, der FC Bayern wolle ihn verkaufen. Sforza verstand die Welt nicht mehr.

Missverständnisse gab es einige in Sforzas Karriere, eine Episode wird er nie mehr los. Es geschah vor sieben Jahren, als der «Blick» auf der Frontseite schrieb, Sforza werde neuer YB-Trainer. Ein paar Stunden später stellten die Young Boys in Bern Uli Forte als Coach vor. Und Sforza musste sich fragen, warum ihm immer wieder solche Sachen passieren. 2018 war es ähnlich. Mehrere Online-Medien meldeten, Sforza werde Trainer des FC Lugano. Auch das war eine Falschmeldung. Der Lugano-Präsident Angelo Renzetti sagte später: «Es tat mir sehr leid, Sforza abzusagen. Ich hätte ihm so gern geholfen und die Hand gereicht. Er möchte so gern in den Spitzenfussball zurückkehren. Er war eigentlich für alles bereit.» Die Episode zementierte das Bild eines mitleiderregenden Ciriaco Sforza, der alles dafür tun würde, sich noch einmal als Trainer beweisen zu dürfen.

Vor ein paar Jahren hat er einmal gesagt: «Ich bin ein total anderer Mensch. Ich nehme mir Zeit, habe keinen Stress mehr.» Und jetzt gerät er in Basel ausgerechnet in ein Umfeld, das anspruchsvoller nicht sein könnte. Der langjährige Fussball-Manager Erich Vogel hatte einst über Sforza gesagt, er sei ein talentierter Trainer, aber man müsse ihn sehr eng führen. Ohne Leitplanken verirre sich Sforza. Beim FC Basel mit seiner Führungsschwäche trifft Sforza auf einen Verein, der sich für ihn als besonders kompliziert erweisen könnte.

«Zu lieb»

Vor fünf Jahren gab Sforza der NZZ ein Interview, in dem er sagte: «Mein Fokus ist: Trainer sein. Das Taktisch-Technische ist meine Aufgabe. Ich schaue, dass in der Kabine Ordnung herrscht, das Teamwork stimmt, vertraue meinen Assistenten. Oben in der Geschäftsstelle will ich nichts zu tun haben. In Kontakt stehe ich schon mit ihr, aber ich will mich nicht einmischen, so wie ich es bei GC tun musste, nie mehr. Eigentlich wusste ich das schon damals. Aber ich war zu lieb.» Herzlich und freundlich ist Sforza immer noch, aber vielleicht ist er heute wirklich reifer, als er damals war. Es ist seine Hoffnung. Und die des FC Basel.

Zurück