SonntagsZeitung vom 08.11.2020
In der Not entdecken die Vereine das kostenbewusste Denken und reduzieren die Ausgaben für neue Verträge um bis zu 51 Prozent - der positive Wandel in der Super League kann dem Image des Schweizer Fussballs nur gut tun
Samuel Burgener, Thomas Schifferle, Christian Zürcher
Ein bisschen verdutzt war er schon. Spielerberater Dino Lamberti sass mit einem Clubpräsidenten zusammen, als dieser Papiere hervorholte, jeden einzelnen Budgetposten samt Mindereinnahmen vorrechnete und schliesslich endete: «Den Betrag, den ihr fordert, können wir unmöglich bezahlen.» Corona hat die Clubfinanzen ergriffen, dieser Verein kämpft um sein Überleben.
«Was will ich da sagen?», fragte sich Lamberti. Dank seiner Überredungsarbeit akzeptierte der Mandant den tiefer dotierten Vertrag. «Ich glaube an Karma», sagt Lamberti, die gute Tat soll sich einmal auszahlen. Trotzdem handelt er die Möglichkeit aus, bei einer Entspannung der Wirtschaft den Lohn zu erhöhen. Lamberti glaubt nicht nur an Karma, er ist auch Geschäftsmann.
Vielleicht auch darum ist er ein guter Fiebermesser der Branche. Er hat für Raffael, Gökhan Inler oder Marcel Koller Millionenverträge ausgehandelt, er hat ein grosses Netzwerk aufgebaut und ist seit 25 Jahren im Geschäft. Ein Geschäft, das ihm noch kein schlechtes Jahr beschert habe, sagt er. 2020 ist wohl das erste. Er erkrankte im Mai an Corona und lebt noch immer ohne Geschmackssinn - alles Karton. Corona hat sein Leben verändert. Und es scheint, dass die Seuche auch zu einem Wandel im Fussballgeschäft geführt hat.
Basel und YB haben sich von Grossverdienern getrennt
Es wird auf einmal gespart. Die fehlenden Fans in den Stadien und der Mangel an Geld haben die Fussballwelt anders denken gelehrt. Das mag bei Bayern München David Alaba nicht daran hindern, ein Angebot von 17 Millionen Euro pro Saison als fehlende Wertschätzung anzusehen und darum zurückzuweisen. Alabas Hochmut ging um die Welt. Mit der Folge, dass der Ruf des Fussballs leidet und sich in der Schweiz verzerrte Vorstellungen festsetzen. «Die Volksmeinung, der Schweizer Fussballer verdiene zu viel, bringt man wohl wegen Lohnexzessen in grossen Ligen nicht weg», sagt Claudius Schäfer.
Als CEO der Swiss Football League hat er Einblick in alle Verträge, weil die Clubs sie bei seiner Abteilung offenlegen müssen. Im Mai berechnete die Liga die Durchschnittslöhne der Spieler, in der Super League kam sie auf einen Betrag von 13’800 Franken im Monat, in der Challenge League auf 3800 Franken.
Inzwischen kennt Schäfer neue Zahlen. Demnach hat die Mehrheit der 20 Clubs der beiden Profiligen ihre Lohnkosten bei neuen Verträgen «um 19 bis 51 Prozent gesenkt». In Basel gibt es mit Zdravko Kuzmanovic und Marcel Koller zum Beispiel zwei Grossverdiener weniger, Kuzmanovic kam bis zu seinem Rücktritt auf 2,5 Millionen im Jahr, Marcel Koller geschätzt auf 1,5 Millionen. In Bern ist mit Guillaume Hoarau der teuerste Angestellte von der Lohnliste verschwunden, er hatte einen Fixlohn von 1,2 Millionen. Solche Beträge können und wollen sich die beiden Grossclubs nicht mehr leisten. Pajtim Kasami zum Beispiel wollte zwar unbedingt zu YB, am Ende unterschrieb er in Basel - für ein Zehntel von Kuzmanovics Gehalt.
«Wir erhalten Rückmeldungen, dass fast alle Clubs Druck auf ihre Spieler ausüben», sagt Lucien Valloni, der Präsident der Spielergewerkschaft. «Spieler mit laufenden Verträgen werden um Lohnreduktionen gebeten. Dabei gibt es einige Spieler selbst in der Super League, die einen tieferen Fixlohn haben als eine Angestellte an der Migros-Kasse.»
Spielervermittler Lamberti setzt höher an als Schäfer und Valloni, er beziffert den Durchschnittslohn in der Super League auf 200’000 bis 300’000 Franken im Jahr, inklusive Prämien und Boni. Der Durchschnittslohn aber werde sinken, ganz klar, findet auch er. Sein Branchenkollege Michel Urscheler erzählt von vier Vereinen, die gute Löhne zahlen würden: Basel, YB, Sion und Zürich. «In allen anderen spielen die meisten für 8000 Franken brutto», sagt er. Hoarau gehört nicht dazu, der 36-Jährige hat sich bei Sion dem Vernehmen nach eine Altersrente von monatlich 20’000 Franken gesichert.
Constantin senkt die Ausgaben um rund 4 Millionen
Im Wallis hatte Präsident Christian Constantin schon im Frühjahr auf die Pandemie reagiert und sich von Grossverdienern wie Doumbia, Djourou und Kouassi getrennt, im Sommer gab er Pajtim Kasami und Ermir Lenjani ab. Dafür holte er Neue wie Dennis Iapichino und Ivan Martic. «Wenn der Markt in seiner Hochblüte ist, muss ich solchen Spielern 20’000 bis 23’000 Franken pro Monat bezahlen», sagt Constantin, «jetzt sind es noch 12’000 bis 15’000.» Seine Lohnkosten hat er innert eines Jahres um ein Viertel gesenkt, das macht rund 4 Millionen.
Solidarität ist in diesen Zeiten zum Schlagwort geworden. Solidarität steht für Sparen. Wie schwierig ist das für die Spieler? Ein Führungsspieler, seit Jahren beim gleichen Club, er will anonym bleiben, sagt: «Es ist gar nicht so schwierig. Wir müssen nun solidarisch sein, es geht nicht anders. Es ist wie bei dem Restaurant um die Ecke. Es hat weniger Einnahmen, also muss man helfen, damit es nicht kaputtgeht.»
Das Denken ist nicht bei allen Teamkollegen gleich ausgeprägt. Wohl die Hälfte hat eine Verbundenheit zum Club und sieht es so wie er. Doch es gibt auch solche, die erst seit einem halben Jahr beim Club sind. Oder jene mit Familie und auslaufendem Vertrag. «Diese Spieler sind eher skeptisch, sie muss man ins Boot holen. Das Wichtigste ist, dass man eine Lösung findet, die für alle passt.»
In Basel stellt CEO Roland Heri fest, dass sich durch die Krise der Ton bei Vertragsverhandlungen geändert hat. «Er ist verständnisvoller geworden, auch sachbezogener und freundschaftlicher. Das ist eine gute Entwicklung.» Der FCB hat seine Ausgaben in den vergangenen Monaten um rund 10 Millionen Franken senken können: bei den Löhnen, der Infrastruktur, ohne Entlassungen.
Heri spricht von «nötigen Flurbereinigungen» der Branche, von einer «Gesundung dank Corona». Man könnte es im Fall von Basel aber auch Speck nennen, den er abschnitt. Speck, den der FCB als Schweizer Spitzenverein mit internationaler Ausstrahlung angesetzt hatte. In guten Zeiten nützlich, in schlechten fast tödlich. Nun geht es zurück zum Basismodell, obschon der FCB immer noch die Vision hat, junge Spieler mit Gewinn zu verkaufen. Die fixen Übernahmen von Arthur Cabral und Edon Zhegrova kosteten im Sommer rund 7 Millionen. «Es braucht die richtige Balance», sagt Heri. Diese Ausgabe konnte sich der Verein nicht zuletzt dank der Verkäufe von Jonas Omlin und Omar Alderete für 13 Millionen leisten.
Je länger man mit Heri spricht, umso klarer wird, dass er nicht an eine reine Selbstrettung der Clubs glaubt. Nur Sparen reicht nicht. Es braucht die angebotenen Bundesgelder. Und Heri geht noch einen Schritt weiter, er macht das geschickt, er spricht nicht von A-fonds-perdu-Beträgen, sondern von der Wichtigkeit eines Vereins wie dem FCB für eine Region. Dem Club als Kulturgut. Das sei es doch wert, unterstützt zu werden. «Ich fordere nichts, doch ich möchte diese Diskussion anregen.»
Bevor sich die Behörden damit befassten, müssten die Clubs transparenter werden. Der Fussball soll keine Blackbox mehr sein, sondern glaubwürdig und offen. So könne Vertrauen wachsen. «Wir müssen uns nun darauf vorbereiten. Die Behörden sollen mehr von uns wissen», sagt Heri. Was genau? Das wisse er noch nicht, die Forderungen der Behörden seien noch unklar. Sicher ist: Der Persönlichkeitsschutz gelte auch für Spieler und ihre Löhne, doch mehr Informationen über die Bandbreite der Gehälter seien zum Beispiel denkbar.
Granit Xhaka allein verdient mehr als das St. Galler Team
Ähnlich wie Heri redet auch Matthias Hüppi in St. Gallen. Der Präsident ist ein Meister und Verfechter der offenen Kommunikation, nach innen wie nach aussen. 8 Millionen Franken betragen die Lohnkosten für die 1. Mannschaft. Allein Granit Xhaka verdient bei Arsenal mehr. Hüppi hat den Politikern die Salärstruktur erklärt. Dass die Jungprofis den gleichen Grundlohn haben. Dass bei ihnen «keiner verhungert», wie er es sagt, aber auch keiner bis an sein Lebensende ausgesorgt hat, wenn er bei St. Gallen spielt. «Dem Image des Fussballs kann nur helfen, wenn man transparent ist», sagt Hüppi.
Sein Verein ist solide aufgestellt. 1,75 Million betrug der Gewinn in der Saison 2019/20. Die Eigentümer sprachen eine Kapitalerhöhung von 2,5 Millionen. Der Rückhalt durch die Fans ist gross, fast 9000 haben sich trotz der Ungewissheit wegen Corona eine Saisonkarte gekauft. «Ein Darlehen beim Bund wollen wir erst beanspruchen, wenn es nicht mehr anders geht», sagt Hüppi, «wir wollen keine Schulden machen.» Er ist nicht einer, der Forderungen wie A-fonds-perdu-Gelder stellen will. «Im Normalfall führen sie nie zum Erfolg», sagt er. Und doch ist seine Absicht klar: Er tut alles, um in der Not Verbündete zu haben.