Tages-Anzeiger vom 29.01.2021
Ljubo Milicevic: Zürich, Basel, Thun und YB waren seine Clubs in der Schweiz. Gierige Investoren, Verletzungen und eine tiefe Depression prägten seine Karriere. Mit der Vergangenheit hat der Australier (39) Frieden geschlossen - doch vom Fussball will er nichts mehr wissen.
Reto Kirchhofer
Ljubo Milicevic sitzt am Strand, spürt den Sand auf seiner Haut, riecht das Salz in der Luft und meldet vom anderen Ende der Welt: «Ich bin eine gechillte Version meiner selbst.»
Im Februar wird Milicevic 40. Sonnengebräunter Teint, tätowierte Arme, struppiges Haar, Typ Surferboy. Doch Milicevic hat aufgehört mit Surfen. Er möchte nicht mehr mit den Wellen konkurrieren. Möchte frei sein von Wettbewerb und Wettkampf. Frei von jeglichem Konkurrenzdenken. Es hat ihn als Fussballprofi 20 Jahre lang begleitet.
Fünfeinhalb Saisons verbrachte er in der Schweiz. Das Haar war kürzer, weniger struppig. Geblieben ist die markante, eingedrückte Nase. Sie klebt im Gesicht wie ein Symbol für den Fussballer Milicevic, der «mental an die Wand gefahren» wurde, wie er es formuliert.
Ein bisschen Kicken am Strand? «Keine Chance»
Ljubo Milicevic galt als Jahrzehnttalent. Nicht nur in seiner Heimat Australien. Mit 16 Jahren ging er ans Sportinternat in Canberra, mit 19 wurde er zum jüngsten Torschützen in einem australischen Meisterschaftsfinal. Er träumte von Weltmeisterschaften, von der Champions League. Fragt ihn heute jemand, ob er mitspielt, bloss ein bisschen Kicken am Strand, lehnt er ab: «Keine Chance.» Eine Ausnahme macht er bei den Kindern seines Bruders. «Aber sonst gebe ich keinen Scheiss mehr auf Fussball. Er liess mich zu einer Person werden, die ich nicht mehr sein möchte.»
Interviews hat Milicevic keine mehr gegeben, jegliche Anfragen aus dem Fussball abgeblockt, seit er im Juli 2018 auf Instagram seinen Rücktritt verkündete. Die Botschaft war kurz und simpel: «It’s over.» Dazu ein Bild, welches ihn im Dress des FC Thun zeigt.
Mit den Berner Oberländern spielte er in der Champions League. Bundesligisten und Premier-League-Vertreter machten Avancen. Alles lief nach Traum. Trotzdem war es in Milicevic finster. Er kämpfte mit Depressionen. Zum ersten Mal erfasste ihn die Dunkelheit im Winter 2001/2002. Die Leidensgeschichte beginnt in Zürich.
Die Unterschrift mit Folgen beim FCZ
Um die Jahrtausendwende spielt Milicevic mit Ivan Ergic bei Perth Glory. Als Ergic in Basel anheuert, empfiehlt er seinen Ex-Teamkollegen dem FCZ-Manager Erich Vogel, sagt, Ljubo könne man blind verpflichten - «der ist besser als ich». Vogel und Zürich schlagen zu, obwohl der Spieler verletzt ist: Vierjahresvertrag, diffuse Klauseln, Kostenpunkt 500’000 Franken.
Das Geld wird von einem Investor aufgebracht. Er sichert sich Beteiligungen am allfälligen Weiterverkauf, sieht im 20-jährigen Australier ein Renditeobjekt. «Diesen Vertrag hätte ich nie unterschreiben dürfen», sagt Milicevic. «Ich war jung, naiv, wollte nach Europa.» Er spricht von Betrügern, korrupten Menschen. Deren Namen will er nicht in einem Artikel über sich lesen.
Beim FCZ wird der Verteidiger Opfer eines Machtkampfs zwischen Manager Vogel und Trainer Georges Bregy. So erzählt das ein früherer Clubangestellter. Vogel verlässt den Letzigrund. Milicevic ist verletzt und aussen vor, wohnt monatelang im Hotel, fühlt sich im Stich gelassen vom Club, vermisst die Heimat, hat weder in der Garderobe noch auf dem Teamfoto Platz. In seinem Innern fühlt es sich an, als habe jemand um ihn herum die Vorhänge zugezogen. «Zum ersten Mal erfasste mich diese Spirale aus Verletzungen und Dunkelheit.»
Im Juli 2002, nach überstandener Verletzung und guten Trainings, holt Bregy den Verteidiger ins Team. Milicevic sagt zum Trainer: «Ihr habt mich neun Monate lang weder angesehen noch mit mir gesprochen. Ich war nicht gut genug für euch, als ich verletzt war. Nun kriegt ihr mich auch nicht, wenn ich ins Fliegen komme.» Er läuft davon, weigert sich, für den FCZ zu spielen, findet Unterschlupf in Basel.
Ein Sportchef: «Mit Milicevic wollte man Spiele treiben»
Beim FCB fühlt er sich gut behandelt, kommt aber in der Innenverteidigung nicht am Duo Murat Yakin/Marco Zwyssig vorbei. Er wird an Thun ausgeliehen, dort mit Verzögerung zum Stammspieler. Thun beendet das Championat auf Platz zwei, qualifiziert sich 2005 sensationell für die Champions League.
Der Verteidiger hat endlich Halt gefunden, ihm ist wohl im Team, in der Stadt, Freundschaften entstehen, die bis heute anhalten. Nur: Frei von mentaler Last ist Milicevic nicht. Vom Investor wird er unter Druck gesetzt, er solle anderswo einen höher dotierten Vertrag unterschreiben. Ein Mittelsmann spannt die Fäden, hofft ebenfalls auf Profit. «Ich wurde die ganze Zeit manipuliert. Das machte mich kaputt.» Ein langjähriger Sportchef erinnert sich: «Sie haben Milicevic überall angeboten und unheimlich viel Geld verlangt. Er war ein guter Typ. Aber du hast gespürt, dass um ihn herum einiges nicht stimmt. Mit ihm wollte man Spiele treiben.»
Zu schaffen macht Milicevic auch, dass im Team die Prämien für das Erreichen der Champions League ungleich verteilt werden, einige dreimal mehr erhalten. Die Kritik äussert er lautstark.
Die dunkelste Phase seines Lebens - zwei Jahre Isolation
Eine weitere Anekdote erzählt ein ehemaliger Thun-Profi: Der Trainer, mittlerweile ist Heinz Peischl im Amt, habe zu den Spielern wiederholt gesagt, sie würden homosexuelle Pässe spielen. Nur einer sei in der Garderobe aufgestanden - Milicevic: «Was soll das? Hast du ein Problem mit Homosexuellen?» Peischl habe die Worte nie mehr verwendet.
Milicevic sagt: «Man kann mir vieles vorwerfen. Aber ich stand ein für die anderen, für mich, wenn ich etwas als ungerecht empfand.» Vielleicht wird er auch deshalb Captain - in Thun, nach seinem Wechsel im Sommer 2006 auch in Bern.
Bei YB hat nicht nur das Wort des Australiers Gewicht. Bald wiegt er über 100 Kilogramm - weil er die Depressionen mit Schokolade bekämpft. Trainer Gernot Rohr und ein paar Mitspieler wollen helfen. Doch Milicevic tut, was er in Zürich, in Basel, in Thun getan hat: Er lässt sich nicht helfen - «der Kopf liess es einfach nicht zu». Sportlich setzt er den unrühmlichen Rekord des frühesten Platzverweises in der höchsten Schweizer Liga: 20. August 2006, Aarau - YB, Rot nach 52 Sekunden.
Milicevic sagt, er hätte sich gewünscht, in Bern an seine Leistungen mit Thun anzuknüpfen. «Es ging nicht. Ich war mental am Ende, mein Herz und meine Seele waren weg.» Der Verteidiger sieht nur einen Ausweg: zurück in die Heimat. Er löst den Vertrag auf, ist spätestens jetzt kein Renditeobjekt mehr. Es folgen drei Engagements in Australiens A-League. Immer wieder streiken Kopf und Körper. Manchmal lebt, sitzt und schläft er tagelang auf dem Sofa, lässt Trainings und Spiele sausen. «Komplettes Burn-out, einmal mehr. Ich war mindestens 10 Kilogramm zu schwer, hielt mich an der Wand fest, während ich auf die Waage stand. So versuchte ich die Scham darüber zu verbergen, was aus mir geworden war.»
Mit dem Wechsel zu Hajduk Split erfüllt sich der Sohn kroatischer Einwanderer einen letzten sportlichen Wunsch. Als Milicevic Split und Kroatien verlässt, verlässt er den Fussball «in Gedanken endgültig». Zwar unterschreibt er, mittlerweile 32, im Sommer 2013 bei Perth Glory. Doch nach wenigen Wochen ist er weg, für niemanden mehr sicht- und erreichbar. Es folgt die dunkelste Phase seines Lebens.
Milicevic verschliesst sich den Mitmenschen. Isoliert sich selbst von den Eltern, dem Bruder, der Schwester. Konsumiert Süssigkeiten und Pornografie. Nimmt weder Anrufe entgegen, noch öffnet er die Tür, wenn es klopft oder klingelt. Zwei Jahre lang. Er sagt: «Menschen sind dazu geschaffen, Emotionen und Gefühle auszutauschen. Damals hätte ich auch ein Backstein sein können.»
Im Fernsehen läuft die Fussball-WM 2014. Er hätte Teil des australischen Teams sein können, denkt Milicevic. Und beginnt, das Erlebte zu verstehen, bewusst zu verarbeiten. Im Kopf macht es klick, «Gehirn durchgespült», sagt Milicevic. Er habe das Spitzensportmodell aus dem Speicher gelöscht. Ein Modell, in dem der Wert eines Menschen am Erfolg und an materiellen Dingen gemessen werde. «Ich lernte endlich, all die Erwartungen und den Druck gehen zu lassen.»
Step by step füllt er den Körper mit Leben: Liegestütze, Yoga, Meditation. Nochmals kehrt er zurück auf den Fussballplatz, gibt nach zwei Engagements in unterklassigen Ligen offiziell den Rücktritt - «it’s over».
Am Bondi Beach das Paradies gefunden
Mittlerweile führt Milicevic in Sydney eine Kaffeebar. Am Bondi Beach an bester Lage. Gleich um die Ecke liegt sein Apartment: antike Lampen, Vintage-Möbel, kein Fussballtrikot, kein Bild aus der Profizeit. «Dieses Leben habe ich hinter mir gelassen.»
Milicevic hat gelernt, differenziert zurückzublicken. Verbitterung verspürt er keine mehr. «Ich durfte die Welt bereisen, in vollen Stadien spielen. Heute weiss ich: Ich gehöre zu den Glücklichen. Es fühlt sich an, als hätte ich viele Leben gelebt.» Das jetzige beschränkt er bewusst auf einen kleinen Kreis: Apartment, Kaffeebar, Strand, eine Handvoll ihm nahestehende Leute. That’s it. «Jeder Mensch hat seine Version des Paradieses. Das hier ist meine.»
Selbst im Paradies wird es ab und an finster. Milicevic hat den Fussball hinter sich gelassen, nicht aber die Dunkelheit. Doch sie umklammert ihn nicht mehr, legt sich eher wie ein warmer Mantel um ihn. Weil er die negativen Gedanken akzeptiert, aber nicht mehr zulässt, dass sie sein Leben kontrollieren. «Auf Instagram und Facebook schüren wir die Erwartung, man müsse immer glücklich sein. Bullshit! Es ist okay, sich schlecht und hilflos zu fühlen», sagt Milicevic. «Gute und schlechte Emotionen kommen und gehen. Solange du geerdet bist, hast du eine bessere Chance, durchs Leben zu kommen.»
Ljubo Milicevic sitzt am Strand, spürt den Sand auf seiner Haut, riecht das Salz in der Luft und meldet vom anderen Ende der Welt: «Ich bin geerdet.»