Presseschau

Schweiz am Wochenende vom 30.01.2021

Das lange Warten auf den Durchbruch

Das Beispiel von FCB-Youngster Yannick Marchand zeigt, dass nach der Freude über den ersten Profivertrag viele schwierige Phasen warten.

Jakob Weber

Viele träumen davon, die wenigsten schaffen es. Profifussballer werden ist nicht einfach. Selbst aus den Nachwuchsakademien der Klubs schafft es nur ein kleiner Prozentsatz in die 1. Mannschaft. Beim FC Basel sind es mit durchschnittlich drei Spielern pro Jahrgang noch relativ viel.

Yannick Marchand ist einer, der es geschafft hat. In den U-Mannschaften des FCB und der Schweizer Nati war Marchand Captain. Als 18-Jähriger bekommt er einen Profivertrag. Doch der heute 20-Jährige musste lernen, dass auch das keine Garantie für regelmässige Einsätze im Eins ist. Das ist erst nach drei langen und schwierigen Jahren der Fall. Die Geschichte eines Durchbruchs in sechs exemplarischen Phasen.

Phase 1: Kicken, kicken, kicken

Yannick Marchand kommt am 9. Februar 2000 zur Welt und wächst gemeinsam mit seiner älteren Schwester in Aesch auf. Als Kind hat er einen ausgeprägten Bewegungsdrang. Über seinen Vater Georges landet er beim FC Aesch. Doch schon 2009 wird der FCB auf das Talent aufmerksam, und der kleine Yannick trägt erstmals Rotblau. Für die Eltern bedeutet das ab sofort Tausende Fahrten von Aesch ins Joggeli zum Training. Meist bringt ihn Mutter Mirjam, und Vater Georges holt ihn ab. Auch an unzählige Turniere ins Ausland begleiten ihn die Eltern. Mirjam Marchand sagt: «Wir haben durch Yannick vieles erlebt.» Dafür gab es nur wenige freie Wochenenden.

Auch Ungewissheit ist ein ständiger Begleiter. Denn halbjährlich stehen Standortgespräche an. Dann heisst es für Eltern und Söhne: Geht es weiter? Oder nicht? Während viele seiner Freunde den Verein irgendwann verlassen müssen, weil das Talent aus Sicht der FCB-Verantwortlichen nicht mehr reicht, übernimmt Marchand immer mehr eine prägende Rolle. Oft trägt er die Captain-Binde seiner Teams. «Er hat schon immer Verantwortung übernommen. Er war im Kopf stets weiter als andere Spieler», erklärt Robin Hänggi, ein Mitspieler und Freund aus Jugendzeiten. Ab der U15 spielt Marchand auch für sein Land. Bereits jetzt wird ihm eine Profikarriere in Aussicht gestellt. Doch noch ist es ein langer Weg.

Phase 2: Der erste Vertrag

Am 19. April 2018 unterschreibt Yannick Marchand seinen ersten Profivertrag beim FCB. Der damalige Kaderplaner Remo Gaugler kam damals auf den Junior zu. Marchand bezeichnet das heute noch als eine «Riesenehre» und als «Motivationsschub». Die stolzen Eltern begleiten ihn zur Unterschrift auf die Geschäftsstelle.

Doch rein sportlich ändert sich für Marchand erst einmal nicht viel. Wie bereits vorher trainiert er ab und zu mit den Profis mit und absolviert die Spiele in der U18. Im Sommer darf der damals 18-Jährige mit ins Trainingslager an den Tegernsee. «Es war sehr speziell, die Spieler plötzlich mit Vornamen anzureden», sagt Marchand. Doch daran gewöhnt er sich schnell. «Die Mannschaft geht super mit jungen Spielern um. Da wird einem die Integration einfach gemacht», sagt Marchand.

Auch neben dem Platz spürt Marchand erste Konsequenzen. Menschen werden auf der Strasse plötzlich auf ihn aufmerksam, sprechen ihn an und bitten ihn gelegentlich auch um ein Foto. Doch die plötzliche Bekanntheit verändert Marchand nicht. Er sagt: «Den Anstand hast du zu Hause gelernt.» Dass er sich Zeit nimmt und den Leuten mit Respekt gegenübertritt, ist für ihn auch in jungen Jahren schon selbstverständlich.

Phase 3: Das Debüt

Am 15. Mai 2019, gut ein Jahr nach seiner Vertragsunterschrift, steht Yannick Marchand am 34. Spieltag gegen Luzern ein erstes Mal im Kader der 1. Mannschaft. «Allein das war schon mega», erinnert er sich. Als Trainer Marcel Koller ihn dann Mitte der zweiten Halbzeit zu sich winkt, wird Marchand plötzlich «brutal nervös».

Die Anspannung legt sich aber schnell, nachdem er das Feld betreten hat. «Zdravko Kuzmanovic hat neben mir gespielt und mir geholfen. Doch ich erinnere mich noch, dass ein Riesenfehlpass von mir fast zu einem Gegentor geführt hat», sagt Marchand. Egal, der FCB gewinnt 3:2. Marchand wird anschliessend wie jeder Debütant beim FCB damals in der Kabine durch ein Spalier getrieben und mit ein paar Klapsern auf den Kopf im Kreis der Super-League-Spieler willkommen geheissen. Der Traum ist wahr.

Das Handy explodiert an diesem Abend. Zahlreiche Freunde und Fans freuen sich mit dem Eigengewächs über sein Debüt. Und Marchand, höflich wie er ist, beantwortet sie eine nach der anderen.

Phase 4: Die Ungewissheit

Doch auch mit dem Debüt ist der Durchbruch noch lange nicht geschafft. «Anschliessend kam die schwierigste Phase», sagt Marchand. Im kommenden Jahr steht er nur zweimal im Profi-Kader und bekommt nur fünf weitere Minuten Einsatzzeit. Eine neue Situation, denn in der Jugend spielte Marchand eigentlich immer: «Man denkt, nach dem Debüt kommt der grosse Durchbruch. Doch das ist nicht so», sagt er heute.

Marchand macht sich Gedanken, warum er nicht spielt. Von der Tribüne aus denkt er gelegentlich, dass er die eine oder andere Situation vielleicht besser gemacht hätte als die Kollegen auf dem Rasen. Doch in Gesprächen mit einem Mentaltrainer und seiner Familie erkennt Marchand, dass er seinen Fokus auf die eigene Leistung setzen muss, dass er Geduld braucht. Er sagt sich: «Wenn man debütiert hat, hat man gewisse Qualitäten. Die muss man einfach immer wieder zeigen.» Doch das kann Marchand vorerst nur im Training tun. Oder an den Wochenenden bei der U21. «Es war sehr wichtig, die Minuten zu bekommen», sagt er, der in dieser Zeit auch auf Koller zuging und ihn bat, wenigstens im Nachwuchs spielen zu dürfen.

Phase 5: Der Durchbruch

Dann kam Corona. Yannick Marchand nutzt den Unterbruch, um an seinen Schwächen zu arbeiten. Den Fitnessplan absolviert er gewissenhaft. So legte der vorher eher schmächtige Bub an Muskelmasse zu. Nach der Wiederaufnahme steht Marchand fast immer im Kader und kommt zu weiteren Einwechslungen. Er debütiert in der Europa League gegen Frankfurt, spielt anschliessend auch im Finalturnier gegen Donezk und im Cup-Final gegen YB sogar von Anfang an. «Es gab keine speziellen Gründe, warum ich nach Corona plötzlich spielte», sagt Marchand. Captain Valentin Stocker lobt in dieser Phase öffentlich Marchands Mut. Im Gegensatz zu vielen anderen jungen Spielern übernehme er Verantwortung und spiele auch mal den riskanten Diagonalpass.

In diese Phase fällt auch die Vertragsverlängerung. Zwei Tage nach dem Spiel gegen Frankfurt unterschreibt Marchand ein zweites Mal beim FCB, und zwar bis 2023. Er bekommt nicht nur mehr Geld, sondern auch ein gutes Zeichen, dass der Verein mit ihm auch in Zukunft etwas vorhat. Marchand ist aber keiner, der mit seinem Profilohn angibt. Bodenständig ist das Wort, das immer wieder ertönt, wenn man mit Weggefährten über ihn redet. Das Teuerste, was er sich gegönnt hat? «Ein schöner, etwas teurerer Rucksack.» Zu Hause im Elternhaus zahlt er bis zu seinem Auszug im kommenden Februar pünktlich seine Miete. In Zukunft wird er mit seiner Freundin die erste gemeinsame Wohnung beziehen.

In der FCB-Kabine hält sich Marchand, der laut Mama Mirjam zu Hause gerne ausgelassen singt und tanzt, noch zurück. «Ich werde Fabian Frei jetzt nicht sagen, dass er das Material schleppen muss», sagt Marchand, der schon gerne Sprüche macht. «Aber nicht vor der ganzen Mannschaft.»

Phase 6: Die Bestätigung

Dass Ciriaco Sforza neuer FCB-Trainer wird, macht für Yannick Marchand «keinen Unterschied». Natürlich weiss auch er, dass junge Spieler unter ihm vielleicht bessere Chancen haben als unter Koller. Doch Marchand sagt mit einer erstaunlichen Reife: «Ein neuer Trainer ist für alle Spieler wieder eine Chance, egal ob jung oder alt. Du musst Leistung zeigen.»

Und das darf er. Nach einem langwierigen Bandscheibenvorfall und zehn Wochen ohne Fussball setzt Sforza direkt auf ihn. Ende letzten Jahres spielt Marchand sechsmal in Folge für den FCB. Gegen Vaduz schiesst er am 12. Dezember 2020 sein erstes Tor. Durch den Ausfall von Taulant Xhaka hofft Marchand, auch für den Rest der Saison eine wichtige Rolle zu spielen. Doch statt komplett auf ihn zu setzen, leiht der FCB im Januar mit Amir Abrashi einen Xhaka-Ersatz und damit einen weiteren Konkurrenten aus. Für Marchand bedeutet das, dass er bis zum finalen Durchbruch weiter geduldig sein muss.

Zurück