NZZ am Sonntag vom 21.02.2021
Der FCB-Trainer kämpft in den Basler Krisentagen wieder einmal um sein Ansehen und seine Zukunft. Vieles erinnert unheilvoll an seine Zeit bei den Grasshoppers. Von Flurin Clalüna ?
Erst ein halbes Jahr ist Ciriaco Sforza Chefcoach des FC Basel. Und schon hat ihn sein Schicksal wieder eingeholt: Es scheint ihm einfach nicht zu gelingen, der Trainer zu werden, der er so gern sein möchte. Die Zweifel, die bei seiner Amtseinführung erst vorsichtig geäussert wurden, werden in der Krise lauter. Was ausser seiner internationalen Spielerkarriere legitimiert Sforza eigentlich, einen grossen Klub zu trainieren? Wäre Sforza nicht der Fussballer Sforza gewesen, niemand wäre auf die Idee gekommen, ihn als Coach für den FC Basel zu verpflichten. Sein Name ist sein Schicksal. Er profitiert davon und leidet darunter, Ciriaco Sforza zu sein.
Ehemaligen Mannschaftskollegen ergeht es ähnlich, Stefan Effenberg oder Lothar Matthäus zum Beispiel, auch sie haben ihren Ruf als Spieler nicht ins Trainerleben hinüberretten können. Der 50-jährige Sforza hat sich dies noch nicht eingestanden. In diesen Krisentagen nach dem 2:6 im Cup gegen Winterthur kämpft er wieder einmal um sein Ansehen und seine Zukunft, wie er es oft tun musste, manchmal bis zur Erschöpfung.
Das Missverständnis
Die, die Sforza gut kennen, ahnten schon im Sommer, dass alles ein grosses Missverständnis sein könnte: Ein Klub, der seit Jahren nicht zur Ruhe kommt, engagiert aus der Wiler Provinz einen fast vergessenen Trainer, der eine zweite Chance braucht. Mit Sforza und dem FC Basel kamen zwei zusammen, die gegenseitig auf Hilfe hofften, um sich aus ihren Dilemmata zu befreien. Aber gesundet sind beide nicht. Es ist Ernüchterung eingekehrt, das ist das Mindeste, das sich über ihr Verhältnis nach einem halben Jahr sagen lässt. Daran ändert auch das öffentliche Statement des FCB-Präsidenten Bernhard Burgener nichts, trotz allem weiterhin an Sforza festhalten zu wollen.
Am besten war Sforza in den Kleinstädten Wil oder Wohlen, dort war er mit sich im Reinen und geschützt vor zu grossen Erwartungen. In Basel aber kommt er in ein Umfeld, das seine Schwächen sichtbar macht. Ein kriselnder Verein, der schlecht kommuniziert oder ganz schweigt, trifft auf einen Trainer, der sich schwertut, sich in der Öffentlichkeit mitzuteilen, auch wenn er sich noch so sehr bemüht. Das ist ein gefährliches Muster, das an Sforzas Zeit bei den Grasshoppers erinnert, wo er vor rund zehn Jahren als Trainer arbeitete. Was passiert, wenn man ihm die Vereinspolitik weitgehend überlässt, kann man an der damaligen Transferbilanz von GC ablesen. Über 80 Spieler kamen und gingen in seiner knapp dreijährigen Amtszeit. Der FC Basel hat keinen Sportchef. Sforza sagt zwar: «Ich habe in Basel noch nie einen Transfer erledigt.» Aber sein Einfluss ist gross, und er hat viele Wünsche erfüllt bekommen. Sogar solche, die der Jugendpolitik des Vereins widersprechen.
Damals GC, heute der FCB: Es ist Sforzas Tragik, dass er sich immer die schwierigste Aufgabe zumutet, die im Schweizer Fussball gerade ansteht, und sich dabei überfordert. Es sind Vereine, die so sehr mit sich selber beschäftigt sind, dass sich ihre Trainer oft einsam fühlen müssen. Dabei ist Sforza einer, der Harmonie und Struktur ganz besonders nötig hätte.
Der frühere GC-Manager Erich Vogel hatte recht, als er sagte, Sforza sei ein Trainer, den man sehr eng führen muss. Sonst kann er sich nicht entfalten. Und sonst geschieht, was in Basel in diesen Tagen besonders spürbar wird: dass sich Sforza mehr und mehr zu verlieren droht. So wie ihm das schon früher passiert ist, bis er nicht mehr weitermachen konnte und zum Aufgeben gezwungen wurde.
Am Freitag sagt er vor den Medien: «Ich bin ruhig und klar.» Er sagt den Satz eher zu sich selber, wie eine Art Autosuggestion. Es ist Sforzas Mantra, seit er in Basel begonnen hat. Sein Vorgänger Marcel Koller war trotz aller Unruhe tatsächlich ruhig und klar. Sforza versucht es bloss zu sein und scheitert mit jedem verlorenen Spiel mehr daran. Er spricht nach dem Spiel gegen Winterthur von einer «Katastrophe» und sagt: «Es scheisst mich an.» Der Mannschaft habe die «Geilheit» gefehlt. Wer die Kontrolle über seine Sprache verliert, verliert auch seine Autorität. Und diese ist bei Sforza ohnehin schon zerbrechlich, weil niemand genau weiss, wie ernst ihn die Mannschaft nimmt – besonders die erfahrenen Spieler wie Valentin Stocker, Fabian Frei oder Pajtim Kasami, die im Ausland schon mit anderen Trainerpersönlichkeiten arbeiten durften. Dass Sforza sie von der Seitenlinie mit seinen Zurufen behandelt wie unmündige Junioren, soll in der Kabine schon zu Verstimmungen geführt haben.
Aber solange sich Sforza überhaupt einbringt, ist noch nicht alles verloren. Vor zehn Jahren trat er als GC-Trainer im Derby gegen den FC Zürich in einen inneren Streik und hörte auf zu coachen. Die Grasshoppers verloren 0:6. Sforza fand damals, er habe etwas Gutes getan. Es war das erste Mal, als man sich fragte, wie Sforza die Welt um sich herum wahrnimmt. Es sind Fragen, wie man sie sich heute auch wieder stellen kann.
Der gepackte Koffer
Nach der Niederlage gegen den FC Winterthur versammelten sich rund 100 Fans bei der Tiefgarage des St.-Jakob-Stadions und protestierten – auch gegen den Trainer. Ciriaco Sforza aber sprach von einer «sehr guten Aussprache». Das Feedback sei gut rübergekommen, es sei ein Zeichen der Anhänger, dass sie hinter dem Verein stünden, «wir gehören alle zusammen».
Das sehen nicht alle so. Die Fans hatten einen Rollkoffer für ihn auf den Trainingsplatz gestellt und eine Etikette aufgeklebt, auf der verklausuliert eine Rücktrittsforderung stand: «Sforza erlöse unsere Basler Seele.»