Presseschau

Tages-Anzeiger vom 04.03.2021

Ein Punkt mitten in die aufgewühlte Basler Seele

Nach der Stocker-Suspendierung: Der FC Basel gibt gegen die Young Boys so etwas wie ein Lebenszeichen von sich. Das 1:1 ist trotzdem das sechste Basler Pflichtspiel in Serie ohne Sieg.

Florian Raz

Es hat etwas von einer Trauerstätte. Ein «Mahnmal» wollten Anhänger des FC Basel auf dem Barfüsserplatz errichten, heisst es auf den sozialen Medien. Dort, wo sonst Meistertitel und Cupsiege gefeiert werden, liegen seit Mittwochnachmittag Fan-Devotionalien. Gegen Abend stellt noch jemand Kerzen auf. Es sieht aus, als sei jemand gestorben in diesen Tagen, in denen der FCB wieder einmal den Puls einer Region bestimmt hat.

Es ist eine merkwürdige Mischung, die sich in Basel breitgemacht hat vor dem Gastspiel des Meisters aus Bern: Angst, Wut, Resignation - alles ist mit dabei. Und über allem steht die Ratlosigkeit darüber, was da eigentlich gerade abgeht beim einstigen Schweizer Serienmeister.

Eine Art rotblauer Steigerungslauf in die Tiefe hat zu diesen Gefühlswallungen geführt. Das 2:6 im Cup gegen Winterthur, 19 Punkte Rückstand auf die Young Boys in der Liga und die Suspendierung des Captains Valentin Stocker gehören dazu. Vor allem aber sind es die Gerüchte um den Einstieg eines englischen Investorenkonsortiums, die die Volksseele aufrütteln.

Sforza ist plötzlich das Gesicht des FCB

Und mittendrin im perfekten Basler Sturm ist einer das öffentliche Gesicht dieses FCB geworden, der das eigentlich gar nicht sein kann: Ciriaco Sforza. Der Trainer, der in der Anhängerschaft in etwa so viel Begeisterung auslöst wie ein Glas ausgegossener Sirup, das erst drei Tage nach dem Kindergeburtstag unter dem Sofa entdeckt wird.

Sforza wirkt manchmal ehrlich davon überrascht, was ihm da in Basel alles um die Ohren fliegt. Aber er hat sich im internen Machtkampf mit dem alten Basler Helden Stocker durchgesetzt.

Darum liegt eine spezielle Frage über der ersten Partie nach dem Knall: Folgt die restliche Mannschaft dem Trainer - oder solidarisiert sie sich im stillen Protest mit dem beurlaubten Captain?

Und der FCB auf dem Feld folgt nicht der pessimistischen Stimmung, die sich in der Stadt breitgemacht hat. Natürlich treten die Basler auf wie der Underdog, der sie inzwischen gegen die Young Boys ja ohne Frage sind. Defensiv, zurückgezogen. Mit einer gehörigen Portion Ehrfurcht vor der gelbschwarzen Maschine, die zuletzt in der Europa League gegen Leverkusen bewiesen hat, wie gut ihre Teilchen ineinander greifen. 61 Prozent Ballbesitz wird für die Young Boys am Spielschluss ausgewiesen.

Basel nimmt, was es kriegen kann

Aber die Basler rollen sich wenigstens nicht gleich auf den Rücken und geben auf. Ja, sie gehen sogar in der 20. Minute durch ein wunderbares Weitschusstor ihres Winterzugangs Darian Males in Führung. Völlig entgegen dem Spielverlauf. Aber wer sich in der Lage des FCB befindet, nimmt, was er kriegen kann.

YB ist durch den Gegentreffer kurz im Stolz gekränkt. Wie sehr die Berner danach das Tempo, die Zweikampfstärke, den Druck erhöhen können, zeigt, wie weit sie sich inzwischen von den Baslern entfernt haben.

Das 1:1 durch Sandro Lauper vier Minuten nach der Basler Führung ist die logische Folge. Es ist bereits der vierte Treffer des 24-Jährigen seit seinem Comeback nach langer Verletzungspause. In dieser Phase muss man sich etwas Sorgen machen um den FCB, der bei 13 Verletzten, einem gesperrten Innenverteidiger und einem suspendierten Captain praktisch mit seinem letzten Aufgebot antritt.

Aber Basel gelingt nach der Pause, was vermutlich derzeit das höchste der Gefühle ist für Sforzas Mannschaft in einem Duell mit YB: Die Basler nehmen den Bernern die Lust an diesem Spiel.

Irgendwann mag YB nicht mehr anrennen

Irgendwann nach einer Stunde scheint es YB leid zu sein, gegen die rotblaue Mauer anzurennen. Die Offensivspieler bleiben nach verlorenen Bällen stehen, anstatt ins Gegenpressing zu gehen. Die Köpfe scheinen sich langsam in Richtung der kommenden Aufgaben gegen Ajax Amsterdam zu verabschieden.

Und so entstehen Räume für Basler Konter. Mit etwas mehr Klasse oder auch Selbstlosigkeit im richtigen Moment könnte der FCB jetzt sogar das Siegtor schiessen. Und so sagt der neue FCB-Captain Pajtim Kasami: «Ich weiss nicht, ob wir einen Punkt gewonnen haben oder zwei verloren.»

Wobei die Reaktion der Basler nach Schlusspfiff doch recht unzweideutig ist: Das ist ein Zähler, den die Mannschaft mit Handkuss mitnimmt. Auch wenn die Basler jetzt seit sechs Pflichtspielen ohne Sieg sind und dabei bloss drei Punkte gewonnen haben. Die Ansprüche in Basel sind in den letzten Wochen gesunken.

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