NZZ vom 01.04.2021
David Degen kämpft mit allen Mitteln um den FC Basel. In ihn wird viel projiziert – aber könnte er den Klub überhaupt führen?
Benjamin Steffen
David Degen ist vom Partner zum Rivalen geworden. Der bisherige 10-Prozent-Besitzer will als Nachfolger von Bernhard Burgener neuer Haupteigentümer des FC Basel werden. Degen hat sein Vorverkaufsrecht gezogen, am Montag verhinderte er mit einer superprovisorischen Verfügung die Aktienübertragung von Burgener an eine andere Gesellschaft. Seither liegt der Fall vor dem Zivilgericht Basel-Stadt. Und alle fragen sich, ob Degen recht bekommt und den FCB wird führen dürfen.
Was aber nicht weniger drängend scheint: Kann er das überhaupt, den FCB führen?
Degen war Fussballprofi, im Nachwuchs des FCB, später auch in der ersten Mannschaft, danach in Mönchengladbach, bei YB und wieder im FCB, 2014 trat er zurück, mit fünf Meistertiteln und siebzehn Länderspielen. Wie sein Zwillingsbruder Philipp hatte er etwas, was ihn als Fussballer über den Durchschnitt hinaushob. Aber im FCB erlangte er nicht die Bedeutung von Alex Frei, Marco Streller oder Benjamin Huggel, den personifizierten Urbaslern.
Er galt als laut oder wahlweise vorlaut, immer irgendwie in heller Aufregung, so wird er auch heute noch beschrieben. In Erinnerung ist er als etwas ungestümer Spieler, breite Brust, viel Kraft, technisch nicht unbegabt, manchmal etwas kopflos, manchmal überheblich wirkend, immer willensstark, fast immer polarisierend.
Und jetzt steht er wieder auf der Bühne, mit diesen Ecken und Kanten, mit diesem Ehrgeiz, der womöglich dazu führt, dass er im FCB bedeutender wird als Frei, Streller, Huggel jemals zuvor. David Degen ist überzeugt, dass es möglich ist, einen Schweizer Fussballklub selbstfinanziert zu betreiben, mit Spielertransfers und allem drumherum, Sponsoring, Catering.
Auch diese Haltung wirkt ziemlich ambitioniert, es gibt vor allem die gegenteiligen Beispiele – und als grosse Ausnahmen primär die Schweizer Meister des letzten Jahrzehnts, die Young Boys der Gegenwart und den FCB der Vergangenheit, bis 2017, den Degen als Spieler miterlebte. Als Degen im September 2019 als Teilhaber im FCB einstieg, sagte er in einer Medienrunde, er kenne den Fussball nicht als Verlustgeschäft. Wer ihn heute darauf anspricht, wie es gehen soll, bekommt eine einfache Antwort: nicht mehr ausgeben als einnehmen.
Wenn’s so einfach wäre.
Die grösste Diskrepanz
Noch ist er nicht dazu verpflichtet – aber früher oder später wird er mehr Transparenz schaffen müssen, über sein Geschäftsmodell, über sein Team. Was bis jetzt einzig auffällt: eine Diskrepanz zwischen den Auftritten im juristischen und jenen im kommunikativen Bereich. Rechtlich wirkt er gut beraten, darauf verweisen auch Insider; und davon zeugt der Coup mit der superprovisorischen Verfügung, die er Anfang Woche gegen Burgener erreichte.
Eher unbedarft wirkte hingegen, wie er sich Mitte März via Instagram gegen die Enthüllung wehrte, er habe sich 2019 schon bei GC beteiligen wollen. Degen taxierte die Neuigkeit als «Blödsinn» – worauf die «BZ Basel» einen schriftlichen Beweis für Degens Interesse an GC lieferte. Danach übernahm Dani Büchi, der ehemalige CEO der Energy-Gruppe (Radio), ein Beratungsmandat für Kommunikation und Strategie – was nicht verhinderte, dass Degen am vergangenen Samstag ein persönliches Kärtchen postete, das er an Burgener geschrieben hatte. Diese Veröffentlichung der privaten Rücktrittsaufforderung legte die Frage nahe, ob Degen auch künftig polarisieren wird wie eh und je als Fussballer.
Degen gilt als wiss- und lernbegierig, und er müsste diese Eigenschaften auch dazu nützen, dass er zurückhaltender wird und offen für Ratschläge, wenn er mit erst 38 Jahren die Führung des grössten Schweizer Fussballklubs übernähme. Deshalb: Kann er das?
Vor vier Jahren gab es dieselbe Frage, als Streller mit dem Beginn der Ära Burgener das Amt des Sportdirektors übernahm. Streller war ein Basler Volksheld, viel mehr als Degen, doch in Degen wird dieser Tage ebenso viel projiziert wie einst in Streller. Der ehemalige Captain Streller vereinte Sympathien weitum, Degen hingegen ist nicht der Wunsch aller Basler – er ist vielmehr der Wunsch aller verzweifelten Basler, die im Gegensatz zu ihm kein Vorkaufsrecht auf den FCB haben. Romantiker verdrängen die Skepsis, die angesichts des einstigen Werbens um GC erwacht ist: dass der FCB vielleicht mehr Investment als Herzenssache wäre, ein Vehikel, das eng mit der Spieleragentur SBE verknüpft wäre, die Degen bis zum Einstieg im FCB 2019 mit dem Bruder Philipp führte.
Aber wer Burgener nach vier schwierigen Jahren nicht mehr an der Spitze sehen will, erkennt Degen als einzige Alternative. Es sind teilweise sicher auch Zwecksympathien, die ihn dieser Tage ereilen, von Fans jeglicher Couleur. Und zuletzt schlug sich auch Reto Baumgartner, der Präsident des Basisvereins FC Basel, auf Degens Seite. Baumgartner hatte schon nach der Suspendierung des Captains Valentin Stocker gesagt, er fühle sich «natürlich nicht» angehört. Am Mittwoch sagte er gegenüber der «Basler Zeitung», Burgener verhalte «sich leider wie ein Alleinherrscher». Und: «Bernhard Burgener hatte seine Chance, wieso sollte sie David Degen jetzt nicht bekommen?»
Sein Bestes, sein Herz
Degen spielt schon fast die Rolle des Winkelrieds in dieser Zeit der harten Bandagen, der Parolen hier und dort. Roland Heri, der FCB-CEO, sagte am Dienstag auf der Klub-Website, der «operative Alltag» des FCB sei durch die juristische Situation nicht tangiert – «von einer Blockade oder von einem Stillstand ist keine Rede». Aber so einfach ist es vermutlich nicht. Denn ebenso naheliegend ist der Gedanke, dass jeder Franken, den der FCB unter Burgener noch investiert, letztlich zu einem Franken für Degen würde, falls Degen vor Gericht recht erhält.
Spätestens das Feilschen und Ringen der letzten Wochen müsste Degen vor Augen geführt haben, welch grosse Kiste dieser FCB würde. Kann er das?
Vor drei Monaten beschrieb der frühere Sportdirektor Streller in der NZZ anschaulich, wie verzweifelt er sich in dieser Führungsrolle bald einmal fühlte. Er sagte: «Du sitzt im Büro und denkst: Ich gebe mein Bestes, ich gebe mein Herz – und es funktioniert nicht. Und ich weiss nicht, was ich machen soll.» Auch Degen wird sein Bestes geben, und auch er habe ein grosses Herz, heisst es. Gleichwohl bleibt die Frage, ob es ihm eines Tages nicht auch so gehen wird wie Streller: dass er zur Erkenntnis kommt, die Aufgabe unterschätzt zu haben.
Dagegen spricht, dass Degen generell als weniger gutgläubig gilt als Streller; dass er länger weg ist vom Profifussball und im Geschäftsleben schon diverse Erfahrungen sammelte, gute und schlechte; dass er entsprechend gut vernetzt ist, in der Fussballbranche und auch ausserhalb.
Also: Kann er das, den FCB führen?
Die Frage ist falsch gestellt. Denn Degen will den Klub offenbar gar nicht führen – er will besitzen. Er sieht sich nicht als Präsident, nicht als CEO, nicht als Sportdirektor – sondern einfach als Eigentümer und Verwaltungsratsmitglied mit dem Verantwortungsbereich Sport. So verlautet es jedenfalls aus Degens Umfeld.
Er scheint gewillt, starke Leute neben sich zu vereinen, im Verwaltungsrat, als potenzielle Geldgeber. Es soll Menschen geben, die bereit wären, nach der Übernahme finanziellen Support zu leisten, falls der Betrieb nicht kostendeckend läuft. Allesamt seien es Personen, die eine Verbundenheit mit Basel und dem FCB hätten.
Aus früheren Zeiten ist überliefert, dass es mit dem Rückzug der langjährigen Mäzenin Gigi Oeri einige Versprechen von vermögenden Baslern gab, die dem FCB Hilfe in Aussicht stellten – und sie danach doch nicht leisteten. Auch deshalb wäre dem Projekt Degen Transparenz förderlich: wenn es alsbald öffentliche und damit verbindliche Bekenntnisse der möglichen Basler Unterstützer gäbe.
Davon abgesehen gibt es erfahrungsgemäss selten Financiers, die bereit sind, Löcher zu stopfen, aber nicht mitzubestimmen. Mit anderen Worten: Je mehr Personen in den Unterhalt eines Klubs involviert sind, desto schwieriger ist er zu kontrollieren. Deshalb: Hat Degen die Gabe, den Gestaltungs- und Geltungsdrang anderer Personen zu moderieren? Und: sich selber ebenso zurückzunehmen, zumindest aus dem Alltagsgeschäft?
Wer zuerst?
Es ist davon auszugehen, dass sich der Eigentümer Degen früher oder später vom Trainer Ciriaco Sforza trennen würde. Aber in dieser Personalie wäre auch eine erste Bewährungsprobe zu sehen: Was würde Degen zuerst besetzen – das derzeit verwaiste Amt des Sportdirektors? Oder den Trainerposten?
Nach gängigem Verständnis müsste zuerst der Sportdirektor gewählt werden, dem danach die Suche des Trainers obläge. Ginge Degen so vor, wäre es ein erstes Zeichen, dass er es vielleicht kann: einen Fussballklub nicht zu führen, sondern zu besitzen.