Presseschau

NZZ vom 07.04.2021

Was auf dem Platz ist, bleibt nicht auf dem Platz

Die Beleidigung gegen den FCB-Spieler Kalulu hat Konsequenzen – und zeigt über den Fussball hinaus

Benjamin Steffen

Die Fussballstadien sind leer, keine Fans, kein Lärm, gar nichts, Nüchternheit total – und doch ereignete sich am Ostermontag eine Geschichte, die mit Nüchternheit gar nichts zu tun hatte.

Am Dienstagmittag veröffentlichte die SRG eine Stellungnahme «in eigener Sache». Es ging darum, dass tags zuvor beim Fussballspiel FC Basel - FC Vaduz über ein Aussenmikrofon eine rassistische Äusserung hörbar gewesen war. Der französische FCB-Spieler Aldo Kalulu war als «Bananenpflücker» bezeichnet worden – und wer vor dem Fernseher sass, hörte es. Interne SRG-Abklärungen ergaben, dass die Beleidigung von einer Person getätigt worden war, die für eine externe Firma im Auftrag der SRG gearbeitet hatte. Am Dienstag gab die SRG bekannt, mit dem betreffenden Unternehmen kein Auftragsverhältnis mehr einzugehen.

Es ist ein ewiger Kampf des Sports, des Fussballs im Speziellen – wenn es Ausschreitungen ausserhalb der Stadien gibt oder Fan-Märsche et cetera: dass die Exponenten verzweifelt darauf hinweisen, die Ereignisse seien doch bloss das Abbild eines gesellschaftlichen Phänomens. Dieser «Fall Kalulu», vielmehr der «Fall SRG», steht exemplarisch für diese Bemühungen des Sports, die Verantwortung für Fehlverhalten nicht allein tragen zu müssen.

Man hört alles

Oder um Klischees zu bemühen: Die Beleidigung gegen Kalulu stammte nicht von einem betrunkenen Fan und nicht von einem Fussballer, der nicht über das Spielfeld hinausdenkt – sondern von einem Arbeiter wie Hinz und Kunz, der ebenso gut in einem Fotogeschäft oder beim Bäcker anzutreffen wäre.

Im Juni 2020 war Aiyegun Tosin, der nigerianische Stürmer des FC Zürich, in St. Gallen von einem Zuschauer rassistisch beschimpft worden. Bis Ende Jahr war die Person nicht ausfindig zu machen, die Behörden stellten die Untersuchung ein. Im Januar 2021 sollen im Bundesligaspiel Union Berlin - Leverkusen rassistische Beleidigungen unter den Spielern gefallen sein, betroffen war vor allem Leverkusens Nadiem Amiri. Auf die Frage eines TV-Reporters, ob er «mehr Licht ins Dunkel bringen» könne, sagte Amiris Teamkollege Kerim Demirbay: «Ne, das ist nicht meine Art – mach ich nicht.» Und auf die Nachfrage, ob er etwas mitbekommen habe, sagte Demirbay, er habe Respekt vor beiden involvierten Spielern – «was auf dem Platz ist, bleibt auf dem Platz».

Aber es ist ein Ausfluss der leeren Corona-Stadien: Was auf dem Platz ist, bleibt eben nicht auf dem Platz. Man hört, was Trainer aufs Feld schreien, was sich Mit- und Gegenspieler zurufen – und man hört offensichtlich, was Leute am Spielfeldrand denken. Und was am Ostermontag nicht auf dem Platz blieb, zeigte gleichsam eine Machtlosigkeit des Sports: Es war kein Beleg dafür, dass der Rassismus im Fussball besonders ausgeprägt wäre – vielmehr tendierte es zu einem Beispiel für Alltagsrassismus.

Die bitterste Erkenntnis

Und so kommen einmal mehr grundsätzliche Fragen auf, was vorgelebt wird, nicht nur in den Stadien, unter den Fans, in Teams, sondern auch in der Gesellschaft. Darin liegt die bitterste Erkenntnis des jüngsten Vorkommnisses, dieser Beleidigung mit einer seelenruhigen Stimme: dass so vielen Fans, die sich am Ostermontag nicht im Stadion befanden, sondern daheim vor dem Fernseher, vorgeführt wurde, wie manche unter uns bei der Arbeit denken.

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